Ich kann mich heute nicht mehr genau daran erinnern, wann mir zum ersten Mal bewußt wurde, daß es in der Katholischen Kirche Priester gibt, die Kinder sexuell belästigen. Ich kann mich aber noch an meine Reaktion erinnern: Es war eine Mischung aus einem ungläubigen "Da will mich jemand verarschen!" einem naiven "Aber wieso? Der ist doch Priester!" und einem tieftraurigen "Ausgerechnet Kinder!"
Wie an anderer Stelle bereits einmal erwähnt, wurde ich mit eingebautem Vertrauen in Männer mit schwarzen Soutanen und kleinen, weißen Flecken unterm Kinn geliefert. Kann nicht erklären, was das ist und warum es so ist, weiß aber, daß es so ist. Ich persönlich bin immer gut damit gefahren. Schon bevor ich mich dazu entschloß, Augustiner-Chorherr zu werden, gab es fünf Priester in meinem Leben, die mich auf die eine oder andere Art geprägt hatten.
Der Erste (bzgl der Rangfolge) ist mein lebenslanges Vorbild. Es ist jener Redemptoristen-Pater, den ich hier und hier bereits einmal kurz vorstellte. Es ist schwierig, nicht verblendet oder gehirngewaschen zu klingen, wenn man von einem besonderen Menschen berichtet. Es ist im Grunde wie beim Verliebtsein. Was wird man mir da draußen abkaufen? Was wird man mir mit hochgezogenen Brauen durchgehen lassen? Was wird man milde lächelnd als schamlose Übertreibung eines nervösen Hormonbündels abtun? Ich werde daher auch nicht viel sagen, außer daß, wenn mehr Priester wären wie er, die Kirche ein bedeutend hellerer Ort wäre. Er ist derjenige, der meine Berufung in den Overdrive kickte (auch, wenn zwischen dem Tag, an dem ich ihn kennenlernte und dem Tag, an dem ich Novize wurde, 21 Jahre liegen). Er ist derjenige, der mich in den größten Kampf mit mir selbst schickte. Denn er ist dafür verantwortlich, daß mir ständig simultan zwei Gedanken durch den Kopf schossen: "Wenn Priester so sein können, dann kann ich niemals Priester sein!" und "Wenn Priester so sein können, dann will ich auch Priester werden!" Tja, mach dir als 15-jähriger Rotzlöffel darauf mal 'nen Reim! Aber irgendwann kapierte ich dann, daß es nicht primär darum geht, schon würdig und heiligmäßig zu sein (so wie er), sondern darum, sich stets zu bemühen, würdig und heiligmäßig zu werden (so wie ich es dann versuchte und versuche).
Der Zweite (ab hier geht's chronologisch weiter) ist mein Gemeindepfarrer (den ich eigentlich vor der #1 kennenlernte). Der hat mich über gut ein Jahrzehnt intensiv begleitet, bis ich dann in diese obligatorische "Kirche ist doof"-Phase fiel. Der war aus einem etwas anderen Holz geschnitzt. Er war ausgesprochen umtriebig und hansdampfig, hatte sicherlich auch seine schwierigen Momente, da seine Autorität nicht so natürlich war und er sie manchmal ein wenig pushen mußte. Er konnte - wenn er wollte und mußte - ganz arg doll böse gucken. Er war aber zumindest für mich als Jugendlichen eigentlich genau der Richtige. Er war selbst erst Anfang Vierzig, als er zu uns kam und er konnte mit den Jüngeren ganz gut. Er fuhr auch immer mit in die Sommerlager, kickte munter beim Fußball mit und bleibt mir in Erinnerung als das, was man wohl so als ganz normalen katholischen Pfaffen mit Stärken und Schwächen bezeichnen kann. Ich traf ihn kurz, nachdem ich in Klosterneuburg eingetreten war, noch einmal. Er hat sich äußerlich eigentlich nicht groß verändert, aber er wirkte irgendwie gereift, was mich freute.
Für den Dritten muß ich kurz eine Einleitung vorschieben: Ich habe von 1987 bis 1989 in Freiburg im Breisgau Zivildienst gemacht. Ich war in der "Nachbarschaftshilfe" bei einer evangelischen Gemeinde. Größtenteils bedeutete dies für alte Omis und Opis Kohlen aus dem Keller holen (waren stellenweise noch recht alte Häuser), Einkäufe machen, zum Arzt fahren, mit ihnen Spazieren gehen, sie ein wenig im Rollstuhl durch die Natur schieben oder auch einfach mal nur einen halben Nachmittag mit ihnen rumsitzen, Kaffe trinken und quatschen. Es war eine ziemich schöne Arbeit, da sie mir sehr dabei behilflich war, einen Einblick in die Welt alter Leute zu bekommen. Naja, jedenfalls kam es eines Tages im Pfarrsaal der evangelischen Gemeinde zu einer Szene, die sehr gut in einen Film paßt, der sich mit Klischees beschäftigt. Es war irgendein Pfarr-Cafe-Nachmittag. Und es ging sehr klischeehaft evangelisch zu. Alles hübsch Grau in Grau, gedämpfte Stimmen und Stimmung, dürre Gestalten mit überwiegend ernsten Mienen und mittendrin ein ziemlich gelangweilter Alipius. Und dann steppt auf einmal der Bär. Kommt da ein Kerl rein, fast einsneunzig groß, ein Bauch, der ihm wie ein prall vom Wind geblähtes Segel stramm vorauseilt, Stiernacken, runde rote Wangen, fröhliche Miene, dröhnende Stimme, ohrenbetäubendes Lachen, pechschwarzer Anzug und Kalkleiste. Der Herr Pfarrer aus der katohlischen Gemeinde nebenan stattete der Frustmeute einen Besuch ab. Ich schwöre, der hat den Raum nicht betreten, er hat ihn sich eher übergestreift wie einen Mantel. Sofort war ein Rudel von Jubel-Käthen zur Stelle, die den Römling unverholen anschmachteten, seinen weltmännisch vorgetragenen Andekdoten lauschten, sich über seine Scherzchen amüsierten und darauf bestanden, daß "Hochwürden" unbedingt noch ein Tässchen Kaffee nimmt. Ich dachte, ich bin im falschen Film, bzw. im richtigen, da ja Klischee-Zeit war. Naja: Klar, daß der Kerl mich interessierte. Ich ging dann (es war grade meine "Kirche oder nicht?"-Zeit) auch mal wieder vorsichtig in die Sonntagsmessen und fühlte mich eigentlich ganz zu Hause. Ich lernte den Herrn Pfarrer dann auch persönlich kennen. Wir trafen uns öfters auf der Straße und hielten ein Schwätzchen und ich ging ihn auch manchmal im Pfarrhaus auf einen Kafee besuchen. Wir plauderten eigentlich über alles, außer über meine Zukunft. Und dann gab's da diesen Tag, wo er mir von seinem Weg zum Priestertum erzählte und dabei auf das Freiburger Priesterseminar zu sprechen kam. "Da wird's ihnen gut gefallen!" schloß er seine Erzählung. Hä? Wie bitte? Was? Hatte ich da richtig gehört? Ich hatte nie erwähnt, daß ich an einer Berufung herumknabbere und der redet ein paar Mal mit mir und riecht, woher der Wind weht? Das war nur ein Satz, aber es war ein Schlag, den ich noch Jahre später spürte.
Der Vierte war Pfarrer in der Gemeinde, zu der ich gehörte, als ich in Düsseldorf meine eigene Wohnung bezog. Ich lernte ihn schnell persönlich kennen und es klickte auch ganz gut. Er ist neun Jahre älter als ich, also gab es einen Generationenkonflikt im strengen Sinne schon mal nicht. Er war auch Einer, dem ich mich berufungsmäßig nicht anvertrauen mußte. Mehr noch: Er hielt die Flamme nicht nur am Leben, sondern entfachte vorsichtig und geschickt das Feuer, welches mich schließlich nach Klosterneuburg führte. Als Priester ist er der Hammer. Gnadenlos gute Predigten, beeindruckendes Auftreten, gute Bildung, ein Zelebrant wie aus einem Lehr-Video und dazu knatschkatholisch! Er wurde über die Jahre zu einem guten Freund, der mich mit seinen Gebeten und guten Wünschen immer unterstützt.
Den Fünften lernte ich über den Vierten kennen, denn sie sind alte Studienfreunde. Er ist ein Faß an Bildung, hat eine Assoziationsebene jenseits der Sauerstoffgrenze und kennt die aberwitzigsten Details im Bereich Kultur und Religionen. Mit ihm gibt's keine langweilige Sekunde. Dazu ist er ebenfalls knatschkatholisch und wirkt trotz seines Wissens überhaupt nicht arrogant. Zwar verbessert er die Leute ständig, wenn sie falsche Informationen herausposaunen, aber zumindest ich merke, daß er dies nicht tut, weil er seine Überlegenheit demonstrieren will, sondern weil diese Art von Ungenauigkeit ihm offenbar wirklich physische Schmerzen bereitet und er den Leuten einfach dabei behilflich sein will, ihr Wissen zu vermehren.
Warum plappere ich hier meine Priesterliste herunter? Weil ich, stellvertretend für andere Leute, denen es vieleicht ebenso ergeht, etwas loswerden möchte: Ich habe in meinem Leben viele Priester kennengelernt, einige von ihnen gut bis sehr gut. Und alle die Priester, die ich gut kennenlernte, waren mindestens einigermaßen anständige Kerle, wenn nicht mehr. Wenn ich nun in Internetforen oder in den Kommentaren von Online-Artikeln oder in Zeitungen sehe, mit wieviel Haß sich manche Leute in pauschalen Urteilen über die Kirche und ihre Priester ergehen, dann ist das für mich schwer zu ertragen. Im Grunde meines Herzens fügt es mir tatsächlich ein wenig Leid zu. Ja, okay, ich geb's zu. Ich mach ja sonst nicht gerne auf Heulsuse und laß die Tempo-Tücher normalerweise stecken, aber in diesem Fall - wo es in der öffentlichen Debatte ja meist auch nur darum geht, was wer warum grade ganz intensiv spürt, Du - werf ich halt mal gnadenlos die Tatsache in den Pott, daß die Haßtiraden gegen Kirche und Priester auch nicht grade Kuschel-Einheiten sind und eine Menge Leute sehr verletzen. Das mag ein No-Brainer sein, aber so, wie momentan das Thema behandelt wird, scheint es sich nicht überall herumgesprochen zu haben. Jetzt gehe ich nicht davon aus, daß irgendwer aus dem Kreis der Kirchen-Pauschalverurteiler hier reinschaut oder - für den Fall, daß es geschieht - er oder sie sich eines Besseren belehren lassen. Aber es mußte halt mal gesagt werden.
5 days ago
2 comments:
Das war schön
Gerne berichte ich als Laie auch über meine Erfahrungen. Mein "erste Pfarrer" ist mittlerweile hochbetagt. Er ist bis heute für mich das Urbild eines gütigen und würdigen heiligmäßigen Priesters. Einer, den sogar Evangelische für Ihren Pfarrer hielten. Gleichzeitig aber auch vornehm-distanziert, immer im schwarzen Anzug, als Priester erkennbar.
Der zweite ein Deutschrumäne, leidenschaftlich und cholerisch, mit Anpassungsschwierigkeiten in der westlichen Welt. Aber immer in Soutane, als Priester erkennbar.
Der dritte ein richtiger Konzilspriester, immer in Zivil. Als Person ebenfalls ein Choleriker und leidenschaftlich, um nicht zu sagen, schwierig. Einer der alles umkrempeln will, mit revolutionärer Ader. Aber dann wieder so konservativ. Vielleicht verkörpert er in seiner Gespaltenheit sogar prototypisch die vielen Priester der Konzilszeit. An der Auseinandersetzung mit ihm bin ich gewachsen. Seine profiliert-widersprüchliche Figur half mir, meinen Standpunkt zu finden, auch im Gegensatz zu ihm.
Danke für's Teilen!
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