Sunday, March 07, 2010

Was mich immer wieder wundert...

... ist die Fähigkeit mancher (naja, okay: vieler) Leute entweder den geschichtlichen Tatsachen gegenüber blind zu sein, oder geschichtliche Tatsachen aus dem Zusammenhang gerissen zu betrachten.

Wie oft durftet Ihr, geschätzte Leser, schon Sätze hören wie:
  • "Die Katholische Kirche und die Nazis haben zusammengearbeitet!"

  • "Papst Pius XII war Antisemit!"

  • "Hitler war schließlich Katholik..."
Wie oft schon versuchte man Euch zu beweisen, daß die Katholische Kirche den Nationalsozialismus in Deutschland dezidiert befürwortete,
  • ... weil es nach der Wahl 1933 Glückwunschschreiben von Bischöfen an Hitler gab.

  • ... weil die Zentrumspartei dem Ermächtigungsgesetz von 1933 zustimmte.

  • ... weil es ein Konkordat mit dem Vatikan gab.

  • ... weil Photos existieren, auf denen man Nuntius Orsenigo sieht, der Hitler die Hand schüttelt oder auf denen Bischöfe die Hand zum faschistischen Gruß heben.
Wie sah denn die Zusammenarbeit der Kirche mit den Nazis so aus?

Zum Konkordat sagt z.B. das Deutsche Historische Museum in Berlin:
    Hitlers Interesse an dem Reichskonkordat war machttaktischer Natur: Es diente mehr der propagandistischen Beschwichtigung der weitgehend ablehnend eingestellten katholischen Bevölkerung als einem wirklichen politischen Ausgleich zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus. Die einflußreiche Stellung der katholischen Kirche, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik vielfach als Kritikerin des Nationalsozialismus aufgetreten war, sollte so geschwächt werden. Ein weiteres bestimmendes Motiv war, die internationale Isolierung Deutschlands nach der Machtübernahme zu durchbrechen.

    ...

    Bereits im Herbst 1933 wurde klar, daß das Deutsche Reich sich nicht an das Abkommen halten würde. In den folgenden Jahren waren das katholische Verbands- und Pressewesen einer Vielzahl einschränkender staatlicher Maßnahmen ausgesetzt. Von 1935 bis 1937 steigerten diese sich zu den Verfolgungen katholischer Geistlicher in den Devisen- und Sittlichkeitsprozessen. Die Enzyklika "Mit brennender Sorge", mit der Papst Pius XI. (1857-1939) 1937 gegen die Konkordatsbrüche protestierte, konnte die zahlreichen Verhaftungen und Ausweisungen katholischer Geistlicher nicht stoppen.
Außer den "Sittlichkeitsprozessen" gab es eine massive Kirchenaustrittspropaganda, die Entfernung christlicher Symbole aus den Schulen und die Unterdrückung von Wallfahrten und Prozessionen und letztlich die Verhaftung und Hinrichtung nicht weniger katholischer Geistlicher. Ach ja: Im Dachauer Priesterblock waren übrigens 2579 der 2720 inhaftierten Geistlichen katholisch.

Jetzt fällt mir grade ein, daß die Kommunisten es ja dort, wo sie an die Macht kamen, ebenso hielten:
  • Verhaftungen und Schauprozesse (hier waren auch hohe Geistliche Opfer, siehe die Kardinäle Mindszenty und Wyszyński oder auch Beran (als er Erzbischof und noch nicht Kardinal war))

  • Kirchenaustritts-Propaganda

  • Versuche, die katholische Kirche in eine nationale, von Rom abgetrennte Kirche überzuführen ("Aktion K" in der Teschechoslowakei)

  • Unterdrückung von öffentlichen Manifestationen des christlichen Glaubens

  • Unterdrückung christlicher Symbole in öffentlichen Gebäuden

  • Staatlich gesteuerte Medien, die sich auf die vermeintlich unmoralische Lebensweise des katholischen Klerus konzentrieren
[Momentchen mal! Spreche ich noch von der Vergangenheit und von den Kommunisten?]

Betrachtet man die Fülle des vorliegenden Materials von der Zeit vor der nationalsozialistischen Machtergreifung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges, dann kann, nein muß man die Haltung der kirchlichen Vertreter als Nichtanpassung (bis hin zu offener Ablehnung, ja Feindschaft) bezeichen, unter dem Vorbehalt, daß es natürlich Ausnahmen gab, die aber keineswegs eine gegenteilige Beurteillung rechtfertigen. Diese Nichtanpassung ermöglichte es, einzelne Bläschen der Freiheit im Sumpf des Absolutheitsanspruches der Diktatur zu behaupten.

Natürlich: Die Kirchenfeinde, die sich an Bildchen hochziehen, auf denen ein junger Joseph Ratzinger ein HJ-Mützchen trägen, auf denen Kirchenvertreter das Händchen heben, auf denen Orsenigo Hitler die Hand schüttelt oder auf denen Nonnen den Führer Kaffee einschenken, werden sich nicht für die andere, die größere und menschlichere Seite des Geschichte interessieren, wenn sie nicht wirklich die Freiheit und den Mut besitzen, diese Seite auch tatsächlich sehen und verstehen zu wollen.

Am Beispiel Pius XII kann man leicht erkennen, daß der Mythos, der manchmal Geld, manchmal Erleichterung beim Umsetzen politischer und gesellschaftlicher Ziele, immer aber moralische Hoheit verspricht, unbedingt aufrechterhalten werden muß.

Es zeigt sich einmal mehr, daß die katholische Kirche es den Leuten nicht einfach macht und einfach nicht recht machen kann. Sie wird angeklagt oder verfolgt oder beschimpft oder verhöhnt von Nazis und Kommunisten, von Arabern und Juden, von Schwulen und Heteros, von Protestanten und Katholiken. Jede dieser Gruppen mag ein für sie selbst schlüssig ausschauendes Argument besitzen, welches dieses Verhalten rechtfertigt. Denn jede dieser Gruppen kocht ein eigenes Süppchen, in welches die Katholische Kirche als Zutat so überhaupt nicht hineinpaßt. Aber jede dieser Gruppen begeht den Fehler, von gefallenen und sündigen Menschen entweder sofort auf die Kirche als solche zu schließen oder zumindest hinter ihren verschlossenen Türen "Strukturen" zu vermuten, die solche Fehler ermöglichen, wenn nicht fördern. Daß dies bilig ist, ist klar. Aber es ist eben auch so verdammt einfach und verlockend, daß nur wenige die Größe besitzen, diese Spiel nach einer Zeit zu durchschauen und nicht mehr mitzumachen. Zumal ja immer auch der Aspekt des Ablenkens von der eigenen Schuldhaftigkeit hinzukommt, mit welchem man sich enorm beruhigen und reinwaschen kann.

Schaut Euch die oben beschreibenen Symptome noch einmal an:
  • Versuche, eine von Rom losgelöste Kirche aufzuziehen (WsK)

  • Fokussierung auf die Skandale (wirkliche oder vermeintliche) innerhalb des Klerus und Dauerberieselung mit diesbezüglichen "Nachrichten" (Kindesmißbrauch, vermeintlich "skandalöse" Statements von Bischöfen oder Pfarrern)

  • Entfernung christlicher Symbole aus öffentlichen Gebäuden (Italien, Deutschland, Spanien)

  • Verbot von Manifestationen des persönlichen christlichen Glaubens (England)

  • Versuch der Einschränkung der Redefreiheit selbst innerhalb kirchlicher Gebäude und über christliche Themen (Canada, Schottland)
Sie kommt aus verschiedenen Richtungen und wird von verschiedenen Ideologien getragen. Aber wir sollten uns langsam darauf einstellen: Die nächste Welle der Verfolgung baut sich auf (und bedient sich dabei leider viel zu oft der Methoden, die sie verurteilt, wenn sie sie beim Anderen zu erkennen glaubt).

Es wird spannend.

2 comments:

Anonymous said...

Dazu exemplarisch: http://de.wikipedia.org/wiki/Philipp_Jakob_Mayer

Gwunderi said...

(Auch) die 2579 katholischen Priester in Dachau waren Pacelli alias Pius XII. herzlich egal.

Vor 1933 schloss die kathol. Kirche SA-Leute von allen Sakramenten und vom Gottesdienst aus.
Erst nachdem Pacelli (über die Zentrumspartei) dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt und darauf das Reichskonkordat zustande gebracht hatte, das den Bischöfen u.a. einen Eid unbedingter Treue gegenüber dem Reich abverlangte, waren sie wieder zugelassen, ja herzlich willkommen.
Und erst darauf konnte man Jagd auf die "Treuebrüchigen" machen, jetzt nach der Legitimierung der Diktatur und Stillegung des Gewissens eine Minderheit.

Was aber wenn auch Pacelli (Pius XII.) anstelle einer Stillegung zu einer Aufrüttelung der Gewissen aufgerufen hätte? Wie es sein Vorgänger Pius XI. mehrmals tat und ebensoviele Male von Pacelli daran gehindert wurde?