Monday, November 02, 2009

Das unskandalöse Kruzifix

    Und in keinem anderen ist das Heil zu finden. Denn es ist uns Menschen kein anderer Name unter dem Himmel gegeben, durch den wir gerettet werden. (Apostelgeschichte 4,12)
Ich war eben ein wenig in unserer kleinen Kapelle und habe für die Seelen unserer Verstorbenen gebetet. Irgendwann sah ich zum wiederholten Male zum Kruzifix auf und erinnerte mich an die vielen Debatten, welche der plastisch dargestellte Gekreuzigte auslöst. Das gipfelte im Mai dieses Jahres im Kruzifix-Streit, ausgelöst durch einen Kermani-Text, der als persönliche Reflektion sehr authentisch und ergreifend ist, mit seinen Aussagen über das Kruzifix allerdings nicht immer komplett bullshit-frei daherkommt. Aber auch abseits der ganz großen Schlagzeilen stößt man immer wieder auf den "Skandal des Kreuzes". In Österreichs Tageszeitungen habe ich in den vergangenen Jahren drei oder viermal vom Kruzifix als "gräßliches" oder "widerwärtiges" Symbol lesen dürfen und auch privat taucht eine entsprechende Diskussion immer wieder mal auf.

Aber warum sorgt das Kruzifix für soviel negative Stimmung? Kermanis Unterstellung, Martyrium werde hier bis hin zum Pornographischen zelebriert und eine Kruzifix-Darstellung sei Gotteslästerung und Idolatrie, laß ich ihm gerne als persönlichen Eindruck durchgehen. Aber mehr als dies steckt auch nach 18 Mal überdenken und durchleuchten für mich nicht dahinter. Die vox populi vermutet oft sado-masochistische Lust am Leid oder ein Desinteresse gegenüber dem Schrecken derjenigen, die plötzlich und ohne Vorwarnung ein Kruzifix erblicken. Ist natürlich auch beides Blödsinn.

Denkt es einmal so: Was, wenn der Durchschnitts-Nichtkatholik, der Normal-Kirchenkritiker und die "Taufschein reicht!"-Meute sich beim Anblick eines Kruzifixes auf mehr einließen, als eine angelernte und reflexartige Ablehnung? Was, wenn der Kreuzestod Christi nach ein wenig Stille für diese Leute plötzlich so real wird, wie das vor ihnen hängende Kruzifix? Was, wenn sie sich darauf einlassen, vor ihren Augen ein Stück eingefrorener Menschheitsgeschichte zu sehen? Dann werden sie sich plötzlich an den Rest der Geschichte erinnern: Auferstehung, Himmelfahrt, Versprechen Seines Bei-uns-Seins und Seiner Wiederkunft. Vergebung und Erlösung für alle Menschen. Für alle! Das stinkt nicht nur übel nach Alleinseeligmachender und nach Ausschließlichkeit, sondern zwingt natürlich auch zum Nachdenken über das eigene Leben. Über all die tausend Male, die wir Christus immer und immer wieder ans Kreuz genagelt haben, weil wir uns gegen ihn stellten. Niemand ist so tumb, daß er nicht spürt, wenn er sich gegen Andere oder gegen sich selbst versündigt. Niemand ist innerlich so tot, daß er den am Kreuz hängenden Heiland nicht hört: "Für DICH!"

Aber viele sind so bequem, daß sie lieber dieses Angebot ignorieren, als daß sie sich die Mühe machen, einen neuen und besseren Weg zu beschreiten und sich zu ändern.

Der eigentliche Skandal des Kreuzes in der heutigen Zeit ist das Unskandalöse des Kruzifixes: Es will nicht Andere zur Sünde verleiten (skandalon), sondern zur Freiheit führen. Das ist in der Tat ein "Skandal", paßt diese Nachricht doch so gar nicht in den tausendstimmigen Chor der Verführer, dem man sich auf unserem Kontinent in unserer Zeit ausgesetzt sieht.
    "Was? Da werden wirkliche Freiheit und ewige Erlösung angeboten? Wenn ich mir überlege, daß ich nur für ein bißchen Promiskuität meine Gesundheit, für ein wenig Stolz meine Ehe hergeben mußte, dann will ich gar nicht wissen, was DAS kosten soll! Und außerdem: Das hat ja meine Oma schon gemacht. Ich bin viel aufgekärter!"
So oder ähnlich mag es bewußt oder unbewußt in vielen Leuten klingen. Wir haben viel Arbeit vor uns!

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