Friday, June 04, 2010

Weiter geht's...

... bei Josef Bordat. Er hat den zweiten Teil einer kleinen Trilogie zur Religion im Spiegel der empirischen Sozialforschung veröffentlicht. Den ersten Teil findet Ihr hier. Einen kurzen am römsten-Kommentar zum ersten Teil gibt es hier.

Der zweite Teil ist hochinteressant und schließt mit dem knackigen Statement:
    Richtig interessant wird es, wenn die Daten nicht nur die Mär vom „bösen“, sondern auch die vom „dummen“, „engstirnigen“ und von der Kirche „unterdrückten“ Christen atomisieren, wenn sie eindeutig zeigen: Bildungsorientierung, Offenheit für fremde Kulturen und ein Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung zeichnen Christen wesentlich öfter aus als Konfessionslose. Oder aber, wenn sie das Vorurteil der Gefahr einer psychischen Deformation durch religiöse Erziehung („Indoktrination“) als ebensolches entlarven.

4 comments:

Le Penseur said...

@Alipius:
Naja, ich kann da nur bedingt zustimmen. Ich kenne superreligiöse Tradis (war lange genug bei dem Haufen), Neocons vom Opus-Dei-Lager, Cursillianer, Linkskatholen (uff!), Otto-Normalverbraucher-Katholen, konservative und Links-Evangelen, Taufscheinchristen unterschiedlichster Schattierung, Agnostiker und Atheisten — und in meiner Wahrnehmung (Bestimmung des Eigenstandorts so ca.: "rationalistischer Deist mit leichter Schlagseite zum Agnostizismus") ist schon eindeutig erkennbar, daß Tradiland, Neocon-Katholen und bibelfeste Protestanten sich eher nicht durch Offenheit auszeichnen, sondern für mich schon überwiegend eher psychisch deformiert wirken.

Ich muß Bordat auch widersprechen, was er da z.B. über die Tugendhaftigkeit schreibt:

Richtig interessant wird es aber bei den Items zur so genannten „Alltagskriminalität“. Während die meisten Menschen für gewöhnlich keine Gelegenheit haben, in die Versuchung zu kommen, Revolutionen mit Sabotageakten und Terroranschlägen zu organisieren, also die Frage nach der Legitimität politisch motivierter Gewalt sehr im Theoretischen bleibt, sieht das bei Delikten wie „Schwarzfahren“, „Steuerhinterziehung“ oder „Fahrerflucht“ anders aus. Dass man so etwas nicht tun darf, meinten 65, 58 bzw. 78 Prozent der Kirchennahen, bei den Kirchenfernen waren es nur 39, 31 resp. 65 Prozent. Auch bei anderen Straftatbeständen des „Alltags“ wie „Sozialleistungsbetrug“ (76 gegen 52 Prozent) oder „Unterschlagung von Fundsachen (Geld)“ (58 gegen 29 Prozent) liegen die Gläubigen in punkto Tugendhaftigkeit vor den Nicht-Gläubigen.

Angesichts der Unverschämtheit, mit der der Staat in mein Börsel greift, halte ich „Steuerhinterziehung“ oder „Sozialleistungsbetrug“ für moralisch legitime Schadloshaltung gegenüber einem mafiösen Fiskalstaat. Wer das anders sieht, soll halt weiter spenden (unsere Politmafia wird dadurch länger an der Macht gehalten, ach, wie lieb, danke!), aber mir keine Vorhaltungen machen ...

Der Herr Alipius said...

@ Le Penseur: Klar, diese Sonder-Blümchen kenne ich auch. Aber wenn die Umfragen wirkich repräsentativ waren, dann sehe ich da kein Problem. Kann natürlich sein, daß diese Gruppen nicht so vertreten waren. Es wäre interessant, da etwas mehr zu erfahren.

Es scheint ja so, als gehe es im Bereich Alltagskrimnalität nicht nur um Ihre persönliche Sicht auf den Staat, sondern auch um das Verhalten einzelner Staatsdiener. Hier wäre es wiederum interessant, herauszufinden, wie viele der Politiker, die für den mafiösen Fiskalstaat stehen, im Sinne der Umfrage als "Christlich" zu bezeichnen sind.

Für mich sind Steuerhinterziehung und Sozialleistungsbetrug etwas problematisch, wenn dadurch vielleicht Geld wegkommt oder wegbleibt, welches Leuten zugute kommen könnte, die es bedeutend dringender brauchen als ich.

Josef Bordat said...

I. Zum Thema Steuerhinterziehung etc.

Es gibt immer die Möglichkeit, Verhalten zu rationalisieren. Jedes Verhalten. Darüber brauchen wir nicht zu streiten. Ich kenne Leute, die sind in Debattierclubs, die machen das als Hobby. Einige davon sind Juristen. Rhetorik ist für ihre Arbeit sehr wichtig.

Dass „seine Steuern zahlen“ tugendhaft ist, wird in der Analyse vorausgesetzt. Ob das stimmt, ist nicht von der deskriptiven, sondern von der normativen Ethik zu klären. Sie muss zeigen, dass tugendhaftes Verhalten gutes Verhalten ist. Von der Meta-Ethik wäre zu klären, was das eigentlich bedeutet: „gut“. Das ist aber nicht Aufgabe der empirischen Sozialforschung.

Man hat in der Studie Beispiele gewählt, von denen man annahm, dass die Zuschreibung von „tugendhaft“ und „nicht tugendhaft“ von den meisten Menschen geteilt wird, dass es also den meisten Menschen grundsätzlich „gut“ erscheint, Steuern zu zahlen, auch dann, wenn sie es nicht tun wollen oder auch selbst nicht (in vollem Umfang) tun. Man nahm das auch deswegen an, weil es sich dabei um Tatbestände handelt, deren Strafbarkeit den meisten Menschen wohl bekannt ist. Man hätte ja auch Fälle aus dem komplizierten Urheberrecht nehmen können, aber da ist den meisten eben nicht klar, dass es z.B. verboten ist, ohne Zustimmung (und Nennung!) des Autors Texte komplett auf die eigene Website zu übernehmen, weil das technisch so schön einfach geht (um mal einen Fall zu nennen, der mich manchmal betrifft).

Im Lichte eines „bösen Systems“, das mit der Steuer am Leben erhalten wird, stellt sich natürlich die Frage, ob diese Position („Steuern zahlen ist gut.“) noch zu halten ist. Die Zuschreibung von gut/böse zum Steuerzahlen hängt also vom Urteil über das damit ermöglichte politische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale Handeln des Staates ab.

Ich halte Steuerhinterziehung nicht nur für illegal, sondern auch für illegitim. Ich bin kein Konventionalist oder Rechtspositivist (sage also nicht: Sie ist illegitim, weil sie illegal ist.), sondern katholisch-naturrechtlich orientiert, doch als Begründung liefere ich jetzt weder die Aufforderung Christi („gebt dem Kaiser“) noch thomistischen Gehorsam dem „guten Fürsten“ gegenüber (dem im Anschluss an Römer 13 und an den universalen Heilsplan Gottes qua Amt eine gewisse Güte unterstellt werden muss), sondern empfehle einen Blick auf Kant, der die Unterscheidung von Legalität und Legitimität mit der Trennung von Recht und Moral (Rechtslehre und Tugendlehre) ja erst ermöglicht hat (als Thomist könnte man auch sagen: „eingebrockt“ hat).

Ich glaube, Steuerhinterziehung hielte Kant wohl für ein in beiden Systemen falsches Verhalten. Und ich denke, er hätte damit Recht. Illegal ist es, weil es unrecht ist, illegitim ist es, weil es ungerecht wirkt. Denn: Das Verhalten ist ohne gravierende negative Folgen nicht verallgemeinerbar. Genau das jedoch fordert Kant für unser Verhalten: dass es verallgemeinerbar sein muss, dass es zur Pflicht (zum „allgemeinen Gesetz“) erhoben werden kann (Kategorischer Imperativ). Alle Menschen sollten in vergleichbarer Situation so handeln dürfen bzw. müssen (noch mal: Kant spricht von einem Gesetz(!), das auf der Basis meiner Handlungsmaxime stehen können muss.).

Nun ist ja, wie gesagt, Moralität etwas anderes als Legalität. Und wir müssen Kant ja auch nicht folgen (obwohl ich die Verallgemeinerbarkeit für ein sehr kluges Kriterium halte). Es könnte ja durchaus Ausnahmen geben. Doch sollte man sich diese selbst herrichten? Ich kenne aber beispielsweise Leute, die den prozentualen Anteil an Militärausgaben von der erklärten Steuer abziehen, eben weil sie dieses staatliche Handeln nicht unterstützen möchten (und dann aber auch die rechtlichen Konsequenzen zu tragen bereit sind!). Ich kann das als Akt der Gewissensfolge akzeptieren. Niemand sollte gegen sein Gewissen gezwungen werden, Steuern zu zahlen (oder sonst etwas zu tun). Aber das Gewissen muss man schulen und prüfen. Ernsthaft.

[...]

Josef Bordat said...

II. Zum Thema „psychische Deformation“ etc.

Hier gibt Teil 3 Auskunft, der soeben erschienen ist. Ob die „über 200 Studien“ alle repräsentativ sind, wie genau die Fragen formuliert waren usw. (also all das, was in einer wissenschaftlichen Arbeit zu prüfen wäre und Püttmann sicherlich in seinem Buch auch prüft), kann ich nicht sagen.

Es ist zudem freilich immer möglich, Gegenbeispiele zu finden. Empirische Sozialforschung beseitigt nicht alle Zweifel und sorgt auch nicht für unhintergehbare All-Aussagen, sondern liefert Erkenntnisse über gesellschaftliche Verhältnisse. Dass es weniger FDP-Wähler unter den Hartz IV-Empfängern in Sachsen-Anhalt als unter den Inhabern Düsseldorfer Werbeagenturen gibt, bedeutet nicht, dass es keine FDP-Wähler unter den Hartz IV-Empfängern in Sachsen-Anhalt gibt. Oder CDU-Wähler unter den Inhabern Düsseldorfer Werbeagenturen. Man darf die Daten also auch nicht überbewerten (verabsolutieren), sondern man muss sie als das nehmen, was sie sind: Indikatoren von Trends und Tendenzen.


Alipius: Viel Erfolg bei der abschließenden Prüfung und Gottes reichen Segen!

Josef Bordat