Saturday, January 30, 2010

Gänsefüßchen-Journalismus, die Zweite...

Elsa hat sich ja bereits des leicht tendenziösen Spiegel-Berichts über die wegen eines Homeschooling-Streits in die USA ausgewanderte Familie angenommen.

Der SPIEGEL hat zum Artikel auch eine Umfrage gestartet: Mathe bei Mutti - Soll es Eltern gestattet sein, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten?


Die möglichen Antworten und die Stimmenverteilung überraschen zum Teil: "Ja, denn Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht" - "Nein, kein Sonderrecht für Sekten"

Also erst einmal ist in unserer an allen Ecken und Enden nach Religionsfreiheit schreienden pluralistischen Gesellschaft eben jene Religionsfreiheit dann plötzlich entweder nur noch für 3 Prozent der Spiegelleser ein Menschenrecht oder hört zumindest da auf, wo sie Papa Staat den Einfluß auf die Kinder entzieht. Und dann sind Eltern, die ihre Kinder zu Hause unterrichten möchten, für den SPIEGEL automatisch Sektenmitglieder? Und das wird dann auch noch von 44 Prozent der Leser gefressen?

In Wien wird im Februar von den Sozialdemokraten eine Umfrage durchgeführt. Unter den 5 Fragen der Aktion "Wien will's wissen" findet man unter anderem auch diese:
    Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt.
    Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien?
Also, erstmal "Danke", liebe SPÖ, daß Ihr den Leuten noch Spielraum gebt, selbst nachzuforschen und nachzudenken. Die Fragestellung klingt ja mal gar nicht tendenziös-suggestiv...
    Internationale Studien zeigen, daß Zuschauer, die sich für das neue Sendeformat von DSDS aussprechen, einen Pizza-Hut-Verzehrgutschein von 100,-€ geschenkt bekommen.
    Sind sie für die Einführung des neuen Sendeformats von DSDS?
Also ehrlich...

In den USA zeigt ja schon alleine die öffentlich geführte Diskussion um das gute (oft höhere) Bildungsniveau nicht "staatlich beschulter" Kinder, daß man es beim Homeschooling zumindest mit einer nicht völlig hoffnungsfreien Alternative zu tun hat. Ich bin mir zwar persönlich nicht sicher, wie man den Mangel an Kontakt mit Gleichaltrigen wettmacht, aber vielleicht stellt sich der ja bei außerschulischen Aktivitäten wie Sport oder Theatergruppe oder Ministranten-Unterricht ein.

Viel wichtiger: "Ganztagsschule", so kann man auf der Webseite der Aktion nachlesen, bedeutet Unterricht und Betreuung in der sogenannten "verschränkten Form":
    Unterricht und Betreuung wechseln einander ab. Die Angebotselemente sind Unterricht, Mittagessen, Lernzeit und Freizeit. Die verpflichtenden Unterrichts- und Betreuungsangebote finden in der Zeit von 8 bis 16 Uhr statt, darüber hinaus gibt es bei Bedarf ein nicht verpflichtendes Betreuungsangebot bis 17.30 Uhr. Alle Kinder der Klasse bzw. Schule nehmen am verpflichtenden Unterrichts- und Betreuungsangebot teil.
Vielleicht sehe ich ja hier Gespenster, aber kann mir jemand sagen, wo da noch Platz bleiben soll für die Familie? Und was ist, wenn eines der Kinder in einen Sportverein gehen will? Funktioniert das dann nur, wenn das Training nach 16:30 Uhr stattfindet? Oder gibt's für solche Aktivitäten eine Befreiung von der "Betreuung" [Danke, Elsa! Gänsefüßchen machen Spaß!]? Möglich, daß ich schon paranoid werde, aber klingt das Ganze nicht nach einem klassischen Beispiel für "Nööööö, du! Das laß' mal! Selbsthilfe oder Selbstorganisation sollen angeblich eh nicht so gut sein! Und das Weiterreichen von nicht durch Großpapi EU abgesegneten "Werten" im privaten Bereich muß eh runtergeschraubt werden! Da ist es besser, wenn Eltern und Kinder weniger Zeit miteinander verbringen. Also laß' sein! Papi Staat macht das schon für dich..."?

4 comments:

Elsa said...

Die sind doch alle so blöd vom Spiegel.
Bea hat mich neulich sogar auf das Blog einer Atheistin hingewiesen, die homeschooling macht. Natürlich ist das keine Spezialität von "christlichen Sekten"!
Aber sauber das Ergebnis von 3 % an der Menschenrechtsstelle.
Genauso hatte ich mir das vorgestellt.
Ich denke, der Spiegel könnte langsam mal andenken, ein staatliches chinesisches Nachrichtenmagazin aufzubauen.

Raphaela said...

Nicht nur die Frage nach dem Sportverein stellt sich. Wo bleibt noch Zeit für die Klavierstunde? Oder müssen die Landesmusikschullehrer in Zukunft ihre Arbeitszeiten in die Nacht hinein verlegen, damit sie ihr volles Pensum an Unterrichtsstunden nach 17:00 absolvieren können? Und wie verträgt sich das dann mit deren Familien?

Aber das ist wohl wurscht, denn ein Instrument lernen wollen ist ja eh so grauslich elitär, oder?

feline said...

Mich treibt es gerade an, mal was zur offenen Ganztagsschule zu sagen, allerdings bezieht sich das nur auf NRW, aber da geht mir schon der Hut hoch…

"Internationale Studien zeigen, dass die Ganztagsschule der entscheidende Erfolgsfaktor für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie darstellt sowie das Bildungsniveau der Bevölkerung deutlich hebt."


Wer hat diese Studie in Auftrag gegeben ?????

Also,
in Deutschland wurde die OGATA (Offenen Ganztagsschule) nach dem Pisaschock mal wieder per Blitzentscheid eingeführt.

Die Praxis zeigt, die Kinder werden betreut, in der Regel von ungelernten Kräften (eben billig / 400 € Kräfte) und diese wechseln dann auch immer wieder die Stelle sobald was interessanteres in den Blickwinkel rückt.
Die Praxis zeigt:
Die Kinder “verkurst” und haben keine Möglichkeit dauerhafte, beständige Bindungen aufzubauen!!!!!
Jeder der sich mit Pädagogik beschäftigt weiß wie wichtig Bindungen für Kinder und Jugendliche sind.

Das wird sehr deutlich in der Resilienzforschung hervorgehoben.
So, und was machen die Politiker? Nix, ist nämlich billiger.
Und was das Fass zum überlaufen bringt….
Eltern müssen (per Gesetz) die volle Stundenzahl buchen, damit sie überhaupt die Möglichkeit haben einen Platz zu erhalten.
Für viele –vor allem Mütter – bedeutet das, dass sie Ihre Berufstätigkeit wieder aufgeben müssen, wenn sie gewillt sind ihr Kind an beispielsweise 3 Nachmittagen selber zu betreuen und vielleicht, statt um 17 Uhr, schon um 14.00 Uhr abholen wollen.

Was die Fremdbetreuung angeht…
Meine Erfahrung ist, dass viele Eltern die Erziehung der Kinder gerne an den Staat abgeben, damit diese im Falle des Scheiterns auch die Verantwortung tragen.
Einige wenige kämpfen darum, dass Sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf umsetzen können. ( Eben Betreuung an 2 Tagen in der Woche und den Rest zu Hause).

So, und was die religiöse Erziehung angeht….

Ich denke es müssen Wege gefunden werden, damit Eltern einen Kontakt zu den Seelsorgern bekommen.
Viele Familien sind nicht gläubig, einige die es sind, finden den Kontakt nicht.
Ich erlebe es täglich.
Eltern die eine christliche Erziehung wünschen sorgen dafür.

Den anderen ist es egal.
Ich denke, dass für den zweiten Teil Möglichkeiten geschaffen werden müssten in Kontakt mit den Seelsorgern zu kommen und das möglichst niederschwellig.
Aber auch das, so ist meine Erfahrung, ist ein schwieriges Unternehmen.

Anonymous said...

Das ZDF hat dazu mal eine Sendung aus der Reihe 37° gebracht, die man sich - wenn man Zeit hat - hier anschauen kann:

http://37grad.zdf.de/ZDFde/inhalt/22/0,1872,7938742,00.html?dr=1

Von wegen Bildungsqualität - der "homegeschoolte" Junge war dann in der Abschlussprüfung an einer staatlichen Schule Klassenbester.

Und wieso werden mir ständig Ganztagsschulen als gesellschaftliches Allheilmittel verkauft? Ich lege viel Wert darauf, selbst in einem bisweilen anstrengenden Beruf Zeit mit meinen Kindern zu verbringen - kein Lehrer oder Betreuungsprogramm kann die Familiengemeinschaft ersetzen.