Friday, February 12, 2010

Sex in der Wüste

Gestern bereits wies Stanislaus auf diesen Kommentar von Manfred Lütz zum Thema "Kindesmißbrauch" hin. Aus dem Artikel hier zwei Zitate:
    1970 erklärte der angesehene Sexualwissenschaftler Eberhard Schorsch unwidersprochen bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag: „Ein gesundes Kind in einer intakten Umgebung verarbeitet nichtgewalttätige sexuelle Erlebnisse ohne negative Dauerfolgen.“ Die linke Szene hätschelte die Pädophilen. Bevor sich Jan Carl Raspe in die RAF verabschiedete, pries er 1969 im „Kursbuch“ die Kommune 2, in der Erwachsene Kinder gegen deren Widerstand zu Koitierversuchen brachten. Bei den Grünen gab es 1985 einen Antrag auf Entkriminalisierung von Sex mit Kindern, und noch 1989 erschien im renommierten Deutschen Ärzteverlag ein Buch, das offen für die Erlaubnis von pädosexuellen Kontakten warb. In diesen Zeiten wurde insbesondere die katholische Sexualmoral als repressives Hemmnis für die „Emanzipation der kindlichen Sexualität“ bekämpft.

    ...

    Man muss ohne Scheuklappen die Erkenntnisse der Wissenschaft nutzen, sichernde und vorbeugende Maßnahmen ergreifen und für Transparenz sorgen. Jeder Bischof, der heute noch auf diesem Feld irgendetwas unter den Teppich kehren wollte, müsste von allen guten Geistern verlassen sein. Uns Deutschen aber ist zu wünschen, dass wir endlich den Mut besitzen, bei diesem ernsten Thema auf die üblichen Projektionen zu verzichten und die lange Zeit betriebene Verharmlosung von sexuellem Kindesmissbrauch in der gesamten Gesellschaft als einen Teil von unser aller Schuld anzunehmen. Ein Beispiel nehmen kann man sich da an Eberhard Schorsch, der sich 1989 von seiner leichtfertigen Aussage von 1970 öffentlich distanzierte.
Und auch noch ein Auszug aus Hans Conrad Zanders formidablem Büchlein "10 Argumente für den Zölibat", den Elsa dankenswerterweise postete (Ich wollte selbst was daraus bringen, aber mein Exemplar liegt im Stift):
    Wenn eine Gesellschaft von Spießern einer sexuellen Minderheit den Garaus machen will, dann tut sie das nicht bestialisch mit der Keule. Raffinierter in der Methode, wirksamer im Ergebnis ist eine inquisitorische Frage. In allen Skandalprozessen gegen Homosexuelle wurde diese Frage gestellt, immerzu die gleiche: "Sind die eigentlich böse oder sind sie krank?"

    Die Homosexuellen haben sich inzwischen verbessert. Sie sind jetzt eine "schützenswerte Minderheit". Aber die Spießer sind natürlich alle noch da. Nur haben sie sich inzwischen ein anderes Vorurteil in den Kopf stopfen lassen, nämlich den Aberglauben, Sex, gleich welcher, sei "das Eigentliche". Sex, gleich welcher, müsse unbedingt sein. Diesem neuen Vorurteil entsprechend haben sie sich für ihren Verfolgungsdrang eine neue Minderheit ausgesucht. Es ist die denkbar kleinste sexuelle Minderheit, an Zahl hundertmal kleiner als die Homosexuellen. Nur 18.663 Personen, nur 0,02 % der Bevölkerung gehören in Deutschland dieser Minderheit an. Das sind die Priester der Katholischen Kirche. Was die tun, ist viel skandalöser, als was die Homosexuellen je taten. Sie tun das Schlimmste, was ein Mann der sexuellen Leistungsgesellschaft antun kann. Sie tun gar nichts. Sie leben im Zölibat.

    Die Spießerfrage muss lauten: Sind die alle böse, oder krank? Sind das alles, wie man aus Paderborn hört, am "Zwangszölibat" leidende Zwangsneurotiker, oder sind das gar, wie man aus Österreich hört, lauter kriminelle Kinderschänder?
Schuldgefühle und ein unangenehm drückendes Gewissen kennt jeder Mensch. Schuldbekenntnisse, die dem Zweck der inneren Reinigung, der Vergebung und der Umkehr dienen, sind heute den meisten Leuten fremd. Klar, wenn es gut auf der politisch korrekten Welle schwimmt oder einfach nur publikumswirksam ist, dann haucht man auch mal ein tränenfeuchtes "mea culpa" unter betroffenem Beifall in die Kameras. Doch auch hier gilt es, scharf zu unterscheiden: Wenn der Papst um Vergebung für die weniger glorreichen Taten der Kirche im Laufe der Jahrhunderte bittet, dann ist das bestenfalls halbherzig, schlimmstenfalls eine Verhöhnung der Opfer. Warum? Weil seine Bitte um Vergebung weniger gilt als die der Anderen? Mitnichten. Warum dann? Weil er der Papst ist.

Der Papst ist die Reizfigur, die den kleinbürgerlichen Sex-Haben-Müssern praktisch täglich in den Meiden begegnet und dabei oft den Finger in sehr schmerzende Wunden legt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Niemand - auch nicht der Heilige Vater - sagt, daß Sex nicht etwas Großartiges ist. Aber warum ist Sex großartig? Weil er zwei Personen gestattet, zu einem Ziel zu kommen. Was ist dieses Ziel? Ist es lediglich "der Höhepunkt"? Man sollte es meinen, wenn man sich den Umgang mit der Sexualität heutzutage anschaut.

Was ist die causa finalis des Geschlechtsaktes?

Christus erinnert die Pharisäer daran, "daß der Schöpfer am Anfang die Menschen als Mann und Frau geschaffen hat, und daß er sprach: 'So wird der Mann den Vater und die Mutter verlassen und sich seinem Weib verbinden und diese zwei werden zu einem Fleische werden' (καὶ ἔσονται οἱ δύο εἰς σάρκα μίαν)" (Mt 19,4).

Da ist die Verbindung des Mannes mit der Frau. Und sie werden zu einem Fleisch. Wie kann man dieses eine "Fleisch" verstehen? Das Neue Testament lehrt, daß Christus seine Worte reichlich präzise wählte. Hätte er nicht bzgl. der Verbindung des Mannes mit der Frau auch den Schluß ziehen können, sie werden zu "einem Geist" oder "einer Seele" oder "einer Person"? Vielleicht hätte er dies. Aber wie so oft beim "Was würde Jesus dazu sagen" ist hier die Spekulation viel langweiliger, als das geziemende Reagieren auf das, was sich nun einmal dem Verstand bietet: "Fleisch". Wo - wenn nicht im Augenblick der Geburt des gemeinsamen Nachwuchses - manifestiert sich dieses eine "Fleisch" grandioser? Mann und Frau kamen zusammen, sie gingen eine Verbindung ein, und als Resultat dieser innigsten aller Verbindungen schlüpft neun Monate später krähend das eine "Fleisch" hervor. Somit drängt sich als erste causa finalis des Geschlechtsaktes die Zeugung von Nachwuchs auf.

"Aber dies ist doch ein Mensch!" könnte man nun einwerfen. "Warum hat Christus denn dann nicht wenigstens gesagt, daß Mann und Frau zu einer Person werden oder zu einem Menschen?" Weil "Fleisch" hier fundamentaler ist. Es ist das, "was aus dem Fleisch geboren wird" (Jn 3,6). Es meint, wie Luther schreibt: "...den ganzen Menschen / mit Leib und Seele / mit Vernunft und allen Sinnen / Darum / daß alles an ihm nach dem Fleisch trachtet." Es ist der "fertige" Mensch, allerdings im Zustand des puren, ungeschliffenen, vor-moralischen Trachtens nach Wärme, nach Nähe, nach der Mutterbrust. Und hier finden wir die zweite causa finalis, welche unmittelbar auf die erste folgt und mit ihr in einem so engen Zusammenhang steht, daß die Erste ohne die Zweite nicht denkbar ist: Das Ziel des Geschlechtsaktes ist die Zeugung von Nachwuchs. Und der einmal gezeugte Nachwuchs muß im Elternhaus behutsam auf seinem Weg hinaus aus diesem sich nur auf das Fleischliche beziehenden Zustand des Trachtens begleitet und dabei erzogen werden.

[Die Begriffe im vorigen Absatz sind natürlich etwas gefährlich. Ich will nicht behaupten, daß ein Embryo keine Person ist. Ich will aber auch nicht in eine komplexe philosophische Debatte über Begriffe mit auch juristischen Implikationen eintreten. Um hier Klarheit zu schaffen, lasse ich den Präsidenten der Päpstlichen Akademie für das Leben, Erzbischof Rino Fisichella, sprechen: "... implizit wird betont, daß der Embryo eine Würde besitzt, die charakteristisch für die Person ist". Nach Aussage eines vatikanischen Bioethik-Dokuments kann in der Entwicklung des Menschen vor und nach der Geburt "weder eine Änderung seines Wesens noch eine Gradualität des moralischen Wertes behauptet werden".]

Das wahrhaft Verrückte ist, daß diese beiden Ziele der Sexualität natürlich allen Menschen bewußt sind, denn sie sind Teil der menschlichen Natur. Es genügt, sich zu überlegen, welches der eine Platz auf der Welt ist, an dem das männliche Spermium seinen Job erledigt, um zu erkennen, was das eigentliche Ziel der Sexualität ist.

Klar, jetzt kommt natürlich der Einwand, daß Sex aber viel zu klasse ist, als daß man sich auf die paar Mal beschränken möchte, die einem bei strikter Einhaltung der katholischen Lehre noch bleiben. Fremdgehen ist schon gar nicht drin, selbst wenn der/die Andere so viel heißer ist als das, was daheim wartet. Und dann ist man ja auch oft alleine aber hat trotzdem irgendwie "Lust", aber Masturbation ist ja auch nicht erlaubt. Also im Grunde alles Kacke!

Es lohnt sich aber, sich mit der katholischen Auffassung der menschlichen Sexualität vertraut zu machen, um wenigstens ein Gespür dafür zu bekommen, was es bedeutet, die Grauzonen geschickt zu umgehen, in denen die menschliche Natur und der Mensch als Person Gefahr laufen, die Würde an der Schlafzimmertüre an den Nagel zu hängen. Sex, wenn man ihn auf die Ebene eines Leistungssports mit mechanisch zu erzielendem höchstmöglichen Lustgewinn reduziert, erzeugt einen Widerspruch: Der Mensch, geschaffen als Wesen, welches zum Anderen tendiert, setzt genau dann eine Blockade, wenn er entweder ohne den Anderen zum Höhepunkt kommt oder sich einerseits auf so innige Weise mit dem Anderen vereint, aber andererseits dabei nicht an das wahre Ziel der Vereinigung denkt, sondern nur an seinen Gewinn. Und es besteht immer die Gefahr, daß aus einem Gewinn an Lust ein Sich-Verlieren an die Sucht wird.

Aber da es nunmal ein vermeintlicher Gewinn ist, muß dieser verteidigt werden. Da aber andererseits der ungezügelte Umgang mit der Sexualität zu eben den Fehltritten führt, die Lütz in seinem Kommentar beschreibt, und da diese Fehltritte langsam aber sicher ihre häßlichen Früchte ziegen, ist das kollektive Gewissen der ehemaligen Befürworter des "Wer zweimal mit der Gleichen pennt..." oder des Kinder-Koitus mittlerweile belastet. Und da zeitgleich mit der sexuellen Revolution das Bewußtsein für die eigene Sündhaftigkeit und die Notwendigkeit der Beichte und der Absolution immer weiter abnahm, können heute die wenigsten Menschen sich von ihren damaligen Fehlern distanzieren, so wie Eberhard Schorsch es tat. Es ist ja auch gar nicht ausführbar. Die meisten der damaligen Sex-Wilden waren ja keine Personen, die im Licht der Öffentlichkeit standen. Man müßte heute schon so etwas einführen, wie eine "Ich habe Sex mit Kindern befürwortet"-Aktion, die der "Wir haben abgetrieben"-Kampagne von 1971 gleicht. Wobei ja auch auf dem damaligen STERN-Titelblatt nur prominente Damen zu sehen waren und das Geständnis weniger auf Schuldgefühle zurückzuführen war, sondern eher auf einen trotzigen Stolz, geltendes Recht gebrochen zu haben.

Wie dem auch sei: Es ist - zumindest für mich - nicht nur wahrscheinlich, sondern gilt eigentlich als gesetzt, daß es ein stillschweigendes Bewußtsein über die Fehler gibt, die damals während er sexuellen Revolution gemacht wurden. Gleichzeitig fehlt aber der Mut, "die lange Zeit betriebene Verharmlosung von sexuellem Kindesmissbrauch in der gesamten Gesellschaft als einen Teil von unser aller Schuld anzunehmen".

Die Kirche regt in ihren Dokumenten direkt oder indirekt dazu an, diese Schuld anzunehmen. Das tut weh. Die Kirche hat aber in ihren eigenen Reihen Mitarbeiter (Priester UND Laien), die selbst nicht die Finger von Kindern lassen können. Und schon haben wir den universell einsetzbaren Buhmann, der der Gesellschaft dabei behilflich ist, von der eigenen Schuld abzulenken, ja, diese unter den Teppich zu kehren. Einfach mit dem Finger auf den Katholischen Klerus zeigen, vor allem auf sein Vorzeigegesicht, der Papst. Denn sie leben zölibatär. Sie spielen das Spielchen nicht mit. Sie sind Spielverderber.

Ich sollte erwähnen, daß es hier nicht um Verharmlosung der Fälle von Kindesmißbrauch durch katholische Priester geht. Das sollte eigentlich klar sein, aber sicher ist sicher. Es geht schlicht und einfach um die Frage, wie wir ALLE mit diesem Thema umgehen und ob es sich auf lange Sicht rentieren wird, immer nur den einfachen Weg zu gehen. Ich bestreite weder die Schuld der Priester, die diese schrecklichen Verbrechen begingen, noch die Schuld der Kirche in ihrem oft halbherzigen Umgang mit dem Thema. Aber ich möchte dazu auf den Anteil an Schuld hinweisen, den die gesamte Gesellschaft zu tragen hat.

2 comments:

Stanislaus said...

Ähm, klasse daß man beim klicken auf meinen Namen auf Deinem Blog landet *gg*

Der Herr Alipius said...

Oops! Schon repariert!