Wednesday, February 24, 2010

Da schau her!

Aus der taz:
    Keine Anzeigepflicht bei Missbrauch

    Es gibt in Deutschland keine Anzeigepflicht für Fälle sexuellen Missbrauchs. Auch die katholische Kirche ist rechtlich nicht verpflichtet, die Staatsanwaltschaft einzuschalten, wenn sie von Missbrauchsfällen erfährt. Nach anfänglichen Irritationen hat dies am Mittwoch auch Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in einem Interview mit dem Deutschlandradio eingeräumt.

    Konkret geht es um die 2002 verabschiedeten Richtlinien der Bischofskonferenz "zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche". Dort heißt es: "In erwiesenen Fällen sexuellen Missbrauchs wird dem Verdächtigen eine Selbstanzeige nahegelegt und je nach Sachlage die Staatsanwaltschaft informiert."

    In den ARD-"Tagesthemen" am Montagabend fragte daher Moderatorin Caren Miosga die Justizministerin, ob es nicht besser wäre, wenn in jedem Verdachtsfall sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet würde. Darauf antwortete Leutheusser-Schnarrenberger: "Kindesmissbrauch ist ein Offizialdelikt, und da können nicht andere drüber entscheiden, ob dieses Delikt verfolgt wird oder nicht."

    Dabei vermischte sie in ungeschickter oder perfider Weise zwei Dinge: Fast jede Straftat ist ein Offizialdelikt, das heißt die Polizei muss ermitteln, sobald sie davon erfährt. Dennoch kann in Deutschland jedes Opfer und jeder Zeuge selbst entscheiden, ob es sein Wissen über eine bereits begangene Straftat an die Polizei weitergibt. Strafbar ist nur die Nichtanzeige "geplanter Straftaten". Und laut Strafgesetzbuch (§138) gilt auch dies nur bei Fällen wie Mord, Entführung oder Brandstiftung. Der sexuelle Missbrauch ist nicht erwähnt.

    ...

    Auch bei aktuellen Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester sind es oft die Opfer selbst, die eine Strafverfolgung nicht wünschen. Der renommierte Essener Psychiater Norbert Leygraf berichtete am Dienstagabend aus seiner Begutachtungspraxis mit aktuellem kirchlichem Missbrauch: In vier von sechs Fällen unerwünschter und aufgedrängter Zärtlichkeiten waren es die Opfer, die die Kirche drängten, keine Anzeige zu erstatten.
Für jemand, der offenbar seine Hausaufgaben nicht gemacht hat, reißt die gute Justizministerin die Kiemen ja ganz schön weit auf. Ob ihr da die Mitgliedschaft im Beirat der nicht eben als kirchenfreundlich bekannten Humanistischen Union Flügel verliehen hat?

6 comments:

Gregor said...

Ja nicht nur das, es gibt überhaupt keine Pflicht, bereits begangene Straftaten anzuzeigen, lediglich geplante Straftaten, die also noch abgewendet werden können, muß ich anzeigen, und auch dies nur bei außerordentlich schweren Straftaten, § 138 StGB. Zum Tätigwerden sind nur Staatsanwälte und ggf. deren Hilfsbeamte, also Polizisten, aufgrund ihrer besonderen Stellung verpflichtet. Das ist absolutes Ersti-Basiswissen für Juristen.

Gregor said...

Ach sehe gerade, das kam dann teilweise ja noch unten in dem Artikel, 'tschuldigung. Aber man hört diesen Unsinn ja im Moment immer wieder mal.

Lupambulus Berolinen. said...

Die interessante Frage ist natürlich: Warum hat Zollitsch nicht auf das peinliche Ultimatum verzichtet und stattdessen parallel zu seiner völlig gerechten und notwendigen Kritik eine Erklärung herausgegeben mit exakt dem Inhalt dieses taz-Artikels? Peinlich!

maternus said...

Es mag keine juristische Pflicht zur Anzeige solcher Unerfreulichkeiten geben. Aber es gibt die verdammte (sit venia verbo) moralische Pflicht, den eigenen Laden sauber zu halten. Und das erreicht man nicht, wenn Zustände wie bei Müller in Regensburg herrschen, der übergriffig gewordene Pädophile in der Soutane nicht etwa suspendiert und der Justiz zuführt, sondern lediglich woanderhin versetzt, wo er erneut in der Jugendarbeit (!!!) eingesetzt wird. Die Opfer und deren Angehörigen jedoch läßt man an einer Mauer aus Hochmut und Schweigen verhungern. Derlei Beispiele sind Legion!

Mich ärgert soetwas ungemein und es macht mich zornig, gerade weil ich die Kirche liebe. Mit wenigem könnte die Kirche ihre eigenen moralischen Ansprüche so überzeugend darstellen als mit der schonungslosen Wahrheitsliebe und Aufklärung dieser Vorfälle. Die überdies ihre erste Sorge den Opfern zuwenden muß und nicht den Tätern.

Der Herr Alipius said...

Logo, über die moralische Bringschuld brauchen wir gar nicht zu streiten. Ich kriege auch immer einen ganz dicken Hals, wenn ich solche Geschichten lese und bin - dort, wo Fälle von eindeutiger Schuld vorliegen - auch für Sorge um die Opfer und nicht für den Schutz der Täter.

Anonymous said...

Maternus, kennst du persönlich Opfer? Ich schon. Und da war es in einem Fall sehr verständlich, dass die Eltern zwar durch eine energische Intervention beim Bischof dafür gesorgt haben, dass der betroffene Kaplan sein Unwesen nicht weitertreiben konnte, aber auf den Staatsanwalt dankend verzichtet haben. Und sie hätten vermutlich nichts unternommen, wenn sie damit hätten rechnen müssen, dass das Ordinariat sich an die Polizei wendet.

ANDERERSEITS: Klar ist, dass es da in der Vergangenheit schwerwiegendes Fehlverhalten gegeben hatte, wenn nämlich die zuständigen Leute im Ordinariat bzw. der Bischof höchstselbst Druck auf die Opfer und ihre Familien ausgeübt haben, NICHT zur Polizei zu gehen. Gegebenenfalls auch begleitet von einer Geldzahlung für entstandene und noch erwartbare Therapiekosten u.ä., die dann aber durchaus zugleich eine Art Schweigegeld wurde. Man müsste versuchenn (hier bestünde möglicherweise echter Bedarf einer Weiterentwicklung der jetzigen DBK-Leitlinien), die Kriterien für diese Fälle deutlich zu präzisieren. Aber letztlich geht es nie ab ohne die Tugend der Prudentia (Klugheit), die Fall für Fall entscheiden muss. Nicht ohne Grund heißt es ja eigentlich nicht Rechts-"Wissenschaft", sondern eben Juris-"Prudentia".