Saturday, May 15, 2010

"Aufklärbar"...?

Unter dem Titel "Wer sich nicht bewegt, ist tot" schreibt Evely Finger in der aktuellen Ausgabe der ZEIT dieses:
    Schick signalisiert, daß nicht nur das aufmüpfige Kirchenvolk, sondern die Kirche in Gestalt ihrer Würdenträger bereit ist, über ihr Verhältnis zur modernen Welt zu diskutieren. Die Kirchenaustritte, deren Zahl im katholischen Süden Deutschlands beängstigend zunimmt, sind ja der Beweis, daß vatikanische Aufklärungsrhetorik nicht überzeugt, so lange sie nur auf Mißbrauchsfäle zielt. Es geht darum, ob Kirche als solche aufklärbar ist. Aufklärbarkeit aber heißt zuerst Kritikfähigkeit. Und daß nun ein Erzbischof als berufsmäßiger Verwalter religiöser Dogmen sich kritikfähigk zeigt, ist ein harter Rückschlag für die römischen Reaktionäre. Das ist fast schon ein Aufruf zur friedlichen Revolution.
Weiter vorne wird Erzbischof Schick wegen seiner Aussagen zum Zölibat auch noch "heldenhaft" genannt.

Dies ist der Vorteil einer Institution, die sich zumindest nicht in all ihren Gliedern der "modernen Welt" an den Hals schmeißt. Sie hat eine lange, lange, lange Geschichte hinter sich, in der schon ganz andere Bischöfe, Erzbischöfe, Kardinäle ganz andere nicht mit der Lehre und der Tradition übereinstimmenden Thesen formuliert und aus diesen Thesen Forderungen abgeleitet haben. Ich will Erzbischof Schick gar nicht mal die Absicht unterstellen, er wollte sich beim "aufmüpfigen Kirchenvolk" beliebt machen. Ob seine Aussagen in dieser Form zu diesem Zeitpunkt so ober-clever waren...: Die Frage lasse ich auch mal unbeantwortet im Raum schweben.

Ich muß aber doch ganz entschieden widersprechen an der Stelle, an der es um das Verhältnis der Kirche zur modernen Welt geht. Die Kirche hat schon vor Jahrzehnten ihr verhältnis zur modernen Welt einigermaßen klar definiert und die Ergebnisse der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt. Sie hat sich seit dieser Zeit immer wieder hinterfragen lassen müssen und hat sicherlich selbst in den höchsten Rängen Vertreter, die manchmal zähneknirschend ein Mitleid gegen die Wand fahren müssen, um eine Büchse der Pandora geschlossen zu halten. Es gibt Momente, da findet man kaum einen Menschen, der trockenen Auges "Nein!" sagen kann. Wenn er es trotzdem sagt, so liegt nicht an seiner Kaltherzigkeit, sondern daran, daß die moderne Welt so viele Befürchtungen wahr werden ließ, auf welche oft und frühzeitig hingewiesen wurde.

Wenn nun der Zölibat die Mutter aller Fragen ist, an welcher sich die Geister anscheinend unversöhnlich scheiden, so werfe man einen Blick zurück in die Vergangenheit. In seiner Enzyklika über die Weitergabe des Lebens (ein Titel, der eigentlich schon aufhorchen lassen sollte, existierte doch damals der Begriff der "Kultur des Todes" noch nicht) untersuchte Papst Paul VI sowohl die Eigenschaften und Forderungen ehelicher Liebe als auch die verantwortungsvolle Elternschaft. Adressiert war das Schreiben an gläubige Christen. Das ging damals noch. Aber nur so grade eben.

Denn spätestens, als es in Absatz 11 hieß
    ... daß "jeder eheliche Akt" von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben muß...,
bekam schon vor Veröffentlichung des Dokumentes selbst der ein oder andere hochrangige Kirchenvertreter erstmals kalte Füße. Der in der "modernen Welt" lebende Mensch bekommt dann ein Kränzchen von Vorschußlorbeeren überreicht, wenn es in Absatz 12 heißt:
    Unserer Meinung nach sind die Menschen unserer Zeit durchaus imstande, die Vernunftgemäßheit dieser Lehre zu erfassen.
Paul VI weist dann in Absatz 17 auf die ernsten "Folgen der Methoden einer künstlichen Geburtenregelung" hin (und weiß zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal um ins Trinkwasser eindringenden Hormone):
    Man sollte vor allem bedenken, wie bei solcher Handlungsweise sich ein breiter und leichter Weg einerseits zur ehelichen Untreue, anderseits zur allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht auftun könnte. Man braucht nicht viel Erfahrung, um zu wissen, wie schwach der Mensch ist, und um zu begreifen, daß der Mensch - besonders der Jugendliche, der gegenüber seiner Triebwelt so verwundbar ist - anspornender Hilfe bedarf, um das Sittengesetz zu beobachten, und daß es unverantwortlich wäre, wenn man ihm die Verletzung des Gesetzes selbst erleichterte. Auch muß man wohl befürchten: Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum bloßen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet. Schließlich ist sehr zu bedenken, welch gefährliche Macht man auf diese Weise jenen staatlichen Behörden in die Hand gäbe, die sich über sittliche Grundsätze hinwegsetzen. Wer könnte es Staatsregierungen verwehren, zur Überwindung der Schwierigkeiten ihrer Nationen für sich in Anspruch zu nehmen, was man Ehegatten als erlaubte Lösung ihrer Familienprobleme zugesteht?
Der Papst erkennt im darauffolgenden Absatz:
    Es ist vorauszusehen, daß vielleicht nicht alle diese überkommene Lehre ohne weiteres annehmen werden; es werden sich, verstärkt durch die modernen Kommunikationsmittel, zu viele Gegenstimmen gegen das Wort der Kirche erheben.
Er weiß aber auch:
    Die Kirche aber, die es nicht überrascht, daß sie ebenso wie ihr göttlicher Stifter gesetzt ist "zum Zeichen, dem widersprochen wird", steht dennoch zu ihrem Auftrag, das gesamte Sittengesetz, das natürliche und evangelische, demütig, aber auch fest zu verkünden.
Das war im Jahre 1968. Mittlerweile sind wir so weit, daß die Folgen der eher wenig gezügelt ausgelebten Sexualität und des falschen Verständnisses der Eigenart und Forderung echter ehelicher Liebe auf eine Art behandelt werden, die irgendwie dem Saubermachen der Küche nach dem Kochen gleicht, um sie für den nächsten Gebrauch klar zu machen.

Da darf man, denke ich, als Kirche auch gerne mal der "modernen Welt" eine Nase drehen und sagen: "Weniger ist manchmal eben doch mehr!"

Auch humanae vitae verdeutlicht: Die Kirche will und muß ihre Worte in Herzen schreiben, die wenigstens ansatzweise vom Glauben an und von der Liebe zu Christus ergriffen sind und die wenigstens ein Minimium an Vertrauen in ihre eigene Stärke und ihren eigenen guten Willen mitbringen.

Vor diesem Hintergrund verpufft für mich übrigens auch die Frage, ob die Kirche aufklärbar ist. Die Kirche ist nicht in der Welt, um aufgeklärt zu werden. Sie ist in der Welt, um aufzuklären. Der Christ steht nicht in der "modernen Welt", um ihr die Schleppe zu tragen, sondern um von Christus Zeugnis zu geben und - wenn es sein muß - die Schleppe auch mal schleifen zu lassen, auch und gerade, wenn es durch den Schlamm geht. Das - und nicht das preiswerte Hinterfragen kirchlicher Lehre und christlicher Glaubensinhalte - ist in der heutigen Zeit heldenhaft. Wir müssen raus, wir müssen Zeugnis ablegen, wir müssen uns auch mal in den Hintern treten lassen, wir müssen kämpfen mit Sanftmut aber auch mit Zähigkeit, um die in der heutigen Zeit unermeßlich kostbare Gegenstimme zum Mainstream nicht verstummen zu lassen.

Manche Leute mögen so tun, als sei jedes kirchliche Wort, welches sich gegen bestimmte Phänomene der "modernen Welt" richtet, bereits der Anfang des Untergangs dieser Phänomene und der erste Schritt zur Inhaftierung ihrer Anhänger. Wir - die wir erkennen, wie sehr nicht nur die Kirche sondern auch der christliche Glaube mundtot gemacht und an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden sollen - wissen es besser. Wir haben keine Anwälte im Rücken, die stellvertretend für uns tränenfeucht Klerophobie oder Katholophobie oder Christophobie beklagen. Uns steht keine Medienmaschine zur Seite, die willens ist, die Mechanismen der linksliberalen Doppelzüngigkeit anzuprangern. Wir sind auf uns gestellt und auf Christus. Und genau das ist es, was uns eint und stark macht.

Wenn es auch schön ist, daß eine klitzekleine Ecke des Internet uns gehört: Noch viel schöner wäre es, wenn wir rauskommen aus den Löchern und 24 Stunden am Tag so leben, wie unser Herr aber auch unsere Kirche es sich wünschen.

Dann hätten wir soviel Revolution und Aufklärung, daß in den Redaktionsstuben der Dampf aus den Journalistenohren schießt.

2 comments:

simon.meitinger@yahoo.de said...

"Och menno, ich fühl mich in der verkrusteten Kirche so eingeengt. Ich will mehr Christus und weniger Kirche!" Das Messerwetzen gegen Papst und Kirche geht ja munter weiter. Bitte, ich hätte wirklich nichts dagegen, wenn diejenigen, auch unter den Bischöfen, gehen, denen die Kirche ("vatikanische Reaktionäre") nicht passt. Denn bis jetzt leben sie alle von ihr durch das Kirchensteuersystem. Und das nicht schlecht. Der Hirte ist zum Mietling geworden, der dem Wolf nicht nur die Schafe überlässt, sondern ihm auch noch die Tür zum Schafstall öffnet. Nur weiter so! Wir haben ja nichts mehr zu verlieren. Oder vielleicht doch? Was ist mit unseren Seelen?

Kaplan Jäger said...

Katholophobie - darauf habe ich gewartet.
Mir lag es auch schon die ganze Zeit auf der Zunge.