Friday, May 29, 2009

Die Web-Gosse

Seit der Begriff "Zensursula" geprägt wurde, geht es innerhalb und außerhalb des Netzes wüst her. In der ZEIT eröffnete Adam Soboczynski in der Ausgabe von vergangener Woche den Schlagabtausch. Ebenfalls in der Zeit antwortet ihm in der aktuellen Ausgabe Gero von Randow. Dort findet sich auch ein Artikel von Heinrich Wefing.

In allen drei verlinkten Texten schimmert etwas durch: Man ist sich bewußt, daß hier ein kräftiges neues Pflänzchen (Internet, der Tummelplatz des antiautoritären Underground; typischer Vertreter: Der urheberrechtsbrechende Freiheitskämpfer) bereits tief wurzelt und sich nun anschickt, einem imposanten aber leicht morsch gewordenen Riesenmammutbaum (Zeitung, die letzte Bastionen sachkundiger Meinungsbildung; typischer Vertreter: Der Intellektuelle) den Platz streitig zu machen. Das wird teils mit Skepsis, teils mit Ablehnung, teils mit Befürwortung beobachtet. Aber es scheint sich keiner der Autoren gefragt zu haben, ob es nicht genau so kommen mußte. Soboczynski deutet es einmal an: Der "Journalist ist gegenüber dem Blogger immer schon im Unrecht – wie einst der Fürst im Ancien Régime gegenüber dem Bürger, der Moral und Fortschritt auf seiner Seite hatte". Und genau dies scheint mir der Punkt zu sein.

Ich stelle die Situation mal so dar, wie sie sich mir präsentiert:

Der durchschnittliche Netz-User, so ergeben zumindest meine empirischen Daten, ist eher ein Angehöriger der schlichten Breite, der hier fix ein paar Torrents ziehen will, dort kurz ein Video guckt, da eine Nicht-Wesenheit twittert und dann noch in irgendeiner Com-Box rumprollt. Und wenn diese Leute "Zensur" hören, dann heißt das für sie: Jemand will meinen regelfreien Spielplatz mit Überwachungskameras ausstatten, wenn nicht gar schließen.

"Jemand" ist in diesem Fall dann nicht unbedingt der Gesetzesgeber, sondern jeder, der verdächtigt wird, einer obskuren, veralteten Tradition anzugehören, die einfach nicht kapiert, daß hier eine neue Zeit anbricht. Wie in jeder Revolution.

Und da wundert man sich, daß die "Intellektuellen" von den "Freiheitskämpfern" angepöbelt werden? Wir haben doch Generation über Generation hochgezogen, in dem Wissen, daß die ungewaschene Meute, die einen gepuderten Aristokraten aus der Kutsche reißt und johlend in dem Schlamm schleudert, notwendigerweise im Recht sein muß. Daß die dürren Krallen des Hungers, die im Prozeß der gewaltsamen Nahrungsbeschaffung das prallwangige Gesicht der Wohlgenährtheit in Stücke schneiden, durch ihre Lebensumstände exkulpiert sind. Daß die schmutzstarrenden Stiefel der Unterdrückten, die auf dem Marsch in die Freiheit Gut und Leben der von ihnen als Unterdrücker Empfundenen zertrampeln, nur unvermeidlichen Begleitschaden anrichten. Wir haben doch die Exzesse des Pöbels, wo er sich gegen "die da oben" erhob, größtenteils mit der Entschuldigung "Denen ging's halt so dreckig" jahrhundertelang unter den Teppich gekehrt. Und haben so zugelassen, daß nicht das edle Dafür-Sein (für Nahrung, Gesundheit, Meinungsfreiheit, Bewegungsfreiheit etc) und somit der Aufbau, sondern das willkürliche Dagegen-Sein und somit die Zerstörung zur Tugend wurde. Ihr glaubt doch nicht im Ernst, daß irgendwelche 18-jährigen Vermummten, die in Kreuzberg mit Pflastersteinen werfen "für" irgendetwas sind, außer für ihre Narrenfreiheit, ihre Chaos-Gier und ihre volle Kanne Bier? Es gibt ein paar plakative, vorbelastete Begriffe "gegen" die man ist (Staat, Kapitalismus, Sexismus, Religion etc) und gut is'.

Die Internet-"Revoluzzer" ziehen gegen die geistesaristokratischen Demokratiestabilisierer (vgl. Soboczynski) zu Felde, nicht, weil sie ihre Ketten sprengen oder ihrem Hunger entfliehen wollen, sondern weil sie aus der Anonymität heraus ein wenig Feuer in die Paläste der "alten Mächte" werfen wollen, um so den moralischen Kick genießen zu können, einer vermeintlichen Freiheitsbewegung anzugehören, die auf dem Weg liegende Hindernisse mit allen Mitteln aus dem Weg zu räumen versucht. Daß in der Auseinandersetzung zwischen "Revolution" und "Festhalten am Alten" die Anwendung aller Mittel (im Internet: Rufschädigung, Beleidigung, Bedrohung) nicht immer den (in diesem Fall ohnehin nebulösen) Zweck heiligt, hat man ihnen leider nicht erklärt, denn noch ist "Revolution" per se gut, so wie "Festhalten am Alten" per se schlecht ist.

Die selbsternannten "Intellektuellen" sollten so schnell wie möglich aufhören, die beleidigte Leberwurst zu spielen. Denn nur ihre Seite ist es, die in dem Disput vernünftig aufdecken kann, daß plumpes Dagegen-Sein niemanden adelt und daß im Internet friedliche Koexistenz nicht nur möglich, sondern auch notwendig ist.

1 comment:

Elsa said...

Martin hat gestern folgenden Linkhinweis getwittert, der wunderbar dazu passt und Wefing schön aufs Korn nimmt.
http://netzwertig.com/2009/05/29/die-unertraegliche-seichtigkeit-der-deutschen-internet-debatte/