In der heutigen Ausgabe der Presse findet sich neben dem aufmunternden Kreuzentfernungs-Artikel auch ein Essay von Robert Menasse, Dr. phil. und freier Schriftsteller. Er erzählt von der Verweltlichung von Kirche und Religion und der Sakralisierung des Kapitalismus. Wenn letzterer Ansatz auch interessant und richtig sein mag, so stützt sich der gesamte Artikel jedoch auf einen Trugschluß, der gleich zu Beginn geschieht: Der Gott der Moderne, der Gott der aufgeklärten Welt, sei nur als Begründer einer Religion (welche hier eine menschliche und menschengemachte Institution genannt wird) und nicht der Welt anerkannt. Das haut natürlich nicht hin. Wenn er Gott ist, ist er Schöpfer der Welt. Wenn er nicht Schöpfer der Welt ist, ist er nicht Gott. Das mögen moderne Menschen nicht verstehen (wollen), aber das ändert nichts am Sachverhalt. Wie ich gestern sagte: Die Menschen heutzutage sagen viel zu oft "Gott", ohne 'Gott' zu denken.
"Wäre der Papst das Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft, Stellvertreter seines Gottes auf Erden, er hätte es abgelehnt, ja zurückgewiesen, [in Österreich] mit militärischen Ehren empfangen zu werden", heißt es im Artikel von Menasse. Nun ist der Papst aber nicht nur Oberhaupt der Katholischen Kirche, sondern auch Oberhaupt des Vatikanstaates und hatte somit die Wahl.
Eine handvoll hundertjähriger Linden musste weichen, damit in Mariazell die Tribüne für die Papstmesse errichtet werden konnte, weiß Menasse weiter zu berichten. Das stürzt unsere Umweltfreunde sicherlich in tiefe Trauer. Wer allerdings in Richtung Ewigkeit lebt und nicht nur seine Tage auf der Erde zählt, den jucken ein paar hundertjährige Bäume weniger.
Der Papst ist also ein säbelrasselnder Öko-Terrorist. Wäre es Robert Menasse wirklich lieber gewesen, wenn Benedikt XVI sich entschieden hätte, auf militärische Ehren zu verzichten und die Bäume stehen zu lassen? Dann wären ja als entrüstungsbeschleunigender Anklagepunkt nur die Prada-Schuhe geblieben, die sich erstmal einem harten historischen Test unterziehen Müssen ("Jesus zog in Sandalen in Jerusalem ein") bevor folgende Aussage gemacht wird: "Die Schuhe des Papstes, erfuhren wir, wurden in Indien genäht!" Naja, bei soviel moralischer Überlegenheit, hervorgerufen durch eine so eindeutige Quellenlage ("... erfuhren wir, ..."), ist der Pluralis Majestatis sicherlich gerechtfertigt. Da kann ja selbst der Papst noch was lernen.
Menasse erhöht dann die Papstmesse in Mariazell zu einer politischen Eroberung eines öffentlichen Raumes für einen sakralen Ritus und erklärt sie zur Landnahme. Der Autor watet noch durch drei weitere Landnahme-Analogien (Amsterdam, Auschwitz, Nagasaki) und erhellt deren Relation zur Religion. Er stellt fest, daß wir mit den Gebeten eben dieser Religion in Mariazell Bäume fällen. Er scheint dann zu hoffen, daß der Leser erstens die Prada-Schuhe und zweitens den Satz von drei Spalten vorher noch im Kopf hat: "Es wird niemanden, der das Verhältnis von Kapitalismus und Christentum kennt, überraschen, daß [in Mariazell] selbstverständlich die hundertjährigen Linden weichen mußten". Denn - Faust immer im Gepäck - schließ der Kreis endlich so: "Laß dich mit dem Teufel ein und mach deinen Profit. Am Ende wirst du von Gott erlöst, denn dein Streben war gottgefällig." Ja, so durchschaubar sind Christus und Benedikt XVI.
Extra-schmierig dann der Abschluß des Artikels: "Ich bedaure, daß ich das geschrieben habe." Das ist schon okay. Ich bedaure, daß trotz des Bedauerns der Text irgendwie immer noch seinen Weg in die Zeitung fand.
1 week ago