Wednesday, October 07, 2009

Rom einmal anders

Okay, ich bin wieder in Rom.

Gestern habe ich um 20:00 Uhr mein Zimmer bei den Mexikanern (wieder) bezogen. Es hat sich viel getan: Das Haus platzt aus allen Nähten. Alle Zimmer (selbst die Gasträume) sind belegt. Es befindet sich auch ein Deutscher im Haus, den ich aber noch nicht getroffen habe.

Heute morgen habe ich erstmal das ganze "amtliche" Zeugs an der Uni erledigt, so daß ich nun die nächsten vier Tage in ziemlicher Ruhe verbringen kann.

Ich bin dann auch gleich mal ein wenig durch das Zentrum geschlendert und habe (fast möchte ich sagen: endlich) auch einmal die Erfahrung gemacht, die ich bisher nur aus Erzählungen von anderen Ordensmännern oder Seminaristen kannte. Auf der Piazza della Rotonda kreuzte plötzlich so ein Italiener meinen Weg. Er sah eigentlich nicht runtergekommen aus, sondern eher so, wie ein Grafiker, Künstler, Musiker, Lebenskünstler, gutsituierter Weltverbesserer etc linker Provenienz: Adrette Klamotten, Ziegenbart, Ohrring, Sonnen-Halsanhänger, Lederlatschen. Er rief gleich mal was von "Pedofilo!" und "Cazzo!" und rotzte mir vor die Füße. Ich steckte meine Hand in die Hosentasche, ballte sie zur Faust und lächelte ihn nett an. Ich war grade dabei, mich vor einem Cafe hinzusetzetn, um ein wenig Zeitung zu lesen. Der Typ folgte mir dann und keifte weiter. Ich fand's dann irgendwann albern und zeigte ihm - gut britisch und weiterhin lächelnd - das "Victory"-Zeichen, allerdings mit ihm zugewandten Handrücken. Das scheint auch in Italien nicht unverständlich zu sein, denn der Typ rannte auf mich zu, sammelte umständlich und gut erkennbar Speichel in seinem Mund, so daß ich, als die Salve erfolgte, nur einen kleinen Schritt zur Seite machen mußte, um den Rotz an mir vorbeifliegen zu lassen. Der Kerl tummelte sich dann auch, als ich meine Tasche fallen ließ und Anstalten machte, aus dem Jacket zu schlüpfen. Und dann bemerke ich etwas ganz Sonderbares: Ich hatte für den Bruchteil einer Sekunde den Drang verspürt, dem Rotzlöffel einfach mal eine zu pumpen. Nicht, weil ich tatsächlich glaubte, daß in solchen Fällen durch Gewalt noch etwas zu ändern sei. Sondern einfach mal so, um meinen Ärger nicht ausschließlich in mich hineinfressen zu müssen. Doch sobald der Kerl an mir vorbeigespuckt hatte und das Weite suchte, empfand ich plötzlich nur noch eine Mischung aus Desinteresse und Mitleid. Mehr noch, ich wünschte mir plötzlich, ich hätte die Geistesgegenwart besessen, einfach mit ausgestreckter Hand auf ihn zuzugehen und ihm mit beschwichtigender Stimme ein paar Worte zu sagen. Naja, vielleicht beim nächsten Mal. Der Wirt im Cafe erzählte mir, daß dieser Typ immer auf der Piazza rumlungert und versucht, Priestern ans Bein zu pissen.

Zwei Stunden später kehrte ich dann zu einem kleinen Pasta-Gericht beim Il Buco ein. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, daß ich seit Juni nicht mehr dort war, aber plötzlich wurde ich nicht mehr mit "Padre", sondern mit "Monsignore" angeredet (Schade, daß ich nicht noch zwei oder drei Jahre in Rom bin. Ich könnt's vielleicht noch bis zur "Eminenza" schaffen). Und da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: In unserer Stiftskirche spielen Putti mit Mitren und Hirstenstäben herum, um uns zu zeigen, daß all dieses Zeugs zwar kleidsam und schön und als Auszeichnung und Hervorhebung eines Amtes im katholisch-hierarchischen Kontext durchaus nicht unangebracht ist, aber andererseits doch einer absoluten Wichtigkeit entbehrt. Wenn nackte, beflügelte Babies damit herumspielen, dann sollte jeder vernunftbegabte Erwachsene sich davor hüten, diesen Dingen zuviel Bedeutung beizumessen. Wenn nun der Padrone des Il Buco mich mit Monsingnore anredet, ohne den Nachweis zu haben, daß ich diesen Titel tatsächlich verdiene, dann bringt er ein kindliches Augenzwinkern ins Spiel, welches ihm und mir gleichermaßen ein kleines Grinsen abverlangt. Denn er vermutet und ich weiß, daß ich kein Monsignore bin. Der Kerl, der mich anspuckte, scheint andererseits tatsächlich zu glauben, daß ich ein Kinderschänder bin. Es ist müßig, sich über die Intelligenz oder den Geisteszustand dieses Mannes Gedanken zu machen. Da ich aber Attitüden vergleichbarer, wenn auch abgeschwächter Art (Pauschalverurteilung der Kirche und des Klerus) auch von mental einigermaßen balancierten Subjekten kenne, komme ich nicht umhin zu erwähnen, daß ein spielerischer, augenzwinkernder, ja sogar geflunkerter Umgang mit der Dynamik des menschlichen Hierarchie- und Standesdenkens mir allemal lieber ist, als ein verbittertes, humorloses, selbstgerechtes Gepöbele von selbsternannten Weltvebesserern und Gesellschaftsreformern, die sich nur auf ihre Vorurteile stützen oder sich nur unter Hinweis auf ihre geistige Unzulänglichkeit entschuldigen können. Klar: Für die Mitglieder der zweiten Gruppe drängt sich das Gebet natürlich stärker auf. Und ich werde diese Tatsache auch nicht ignorieren.



Ansonsten habe ich, was Rom betrifft, schon den Tunnelblick. So wenig ich in der Vergangenheit dazu in der Lage war, die Tatsache, daß ich für fünf Jahre in Rom studieren kann, angemessen zu würdigen, so wenig kann ich heute fassen, daß im Juni nächsten Jahres schon alles vorbei ist. Während der letzten Jahre hieß es bei mir immer: 'Och, du bist je eh noch lange genug hier. Keine Grund, jetzt schon Torschlußpanik zu kriegen'. Heute zog ich durch die Stadt und dachte: 'Kacke! Das alles soll ich plötzlich nicht mehr als selbstverständlich betrachten?'

Naja, ich danke dem Herrgott, daß es Probleme dieser Größenordnung sind, die er mir aufbürdet.

Okay, der Monsignore empfiehlt sich erst einmal, vesichert die Blogoezese seines Gebets und bittet um das ihre.

Alles Liebe,
Alipius

5 comments:

Raphaela said...

Also gleich vorneweg: Schön, daß sich auf "Am römsten" wieder etwas tut! Und ob's wirklich das letzte Jahr in Rom wird, muß sich ja auch erst noch zeigen. Vorerst, in Sachen Studium, mag's ja so sein... aber wer weiß? Vielleicht wird aus dem Herrn Alipius tatsächlich irgendwann ein Monsignore -- oder gar eine Eminenza? :D

Übrigens: was meine Stippvisite in Rom betrifft, werde ich gelegentlich ein privates Tweet losschicken (hoffe ja doch, daß "Am römsten" im Sommer das Zwitschern nicht verlernt hat?)

Der Herr Alipius said...

Zwitschern habe ich hoffentlich nicht verlernt. Ist auch 'ne gute Idee: Ich werd' mich jetzt auch da mal zurückmelden.

Elsa said...

Der Monsignore Cazzo, scusi, das Erlebnis war sicher total unerfreulich und scheiße, aber ich musste trotzdem lachen.
Wenn der Alt-Hippie alle Kleriker Roms verfolgen will, hat er eine Lebensaufgabe. Vielleicht hat er Tourette-Syndrom oder wurde tatsächlich missbraucht, das weiß man ja nun nicht. Aber schließlich kannst DU ja für dieses schwere Schicksal nicht wirklich was.
Deshalb reagiere ich immer auch so ungnädig auf Leute, die mich behelligen wollen, weil sie selbst ein Problem haben, mit dem ich eigentlich gar nichts zu tun habe.
Ist ja auch eines der Ur-Probleme unseres Herrn, er ging dann einfach bewunderswerterweise immer durch die enthusiasmierte Menge so völligst cool davon. Wenn man es denn mal so hinbrächte...

Der Herr Alipius said...

Ja, ich habe mir dann auch gedacht, daß er ja in seiner Kindheit vielleicht mal falsch angepackt wurde, möglicherweise gar von einem Priester. Das ist natürlich scheiße. Andererseits sah er aber wirklich nicht so aus, als könne er sein Leben nicht meistern. Rannte so mit Grafikermappe unterm Arm und Jacket über der Schulter rum. Klar, es kann natürlich auch sein, daß er sich einfach das halbe Hirn weggekokst hat oder so und jetzt halt zu den Leuten zählt, die meinen, öffentlich mit dem Finger auf Andere zu zeigen (in meinem Fall auch absolut Unbeteiligte) ersetzt das, was wir Katholiken mit der Beichte haben. Nur, bei denen klingt das dann danach so: "Meine Weste ist rein! Naja, okay... Aber immer noch reiner als dem seine!"

"Wenn man das mal so hinbrächte..." = In der Tat!

Stegi said...

Rom und simultan den Studentenstatus aufzugeben- hartes Los.

Viele Eminenzen wären wahrscheinlich heilfroh, mal wieder unbeschwert von Würde und Bürde des Amtes durch om schlendern zu dürfen.

Genieße deine dir vewrbleibende privilegierte Zeit.