Dies ist der eigentliche Aufhänger für die '68er-Serie und es ist ein Feld, welches sich in der Tat ins anscheinend Unendliche erstreckt: Die Doppelzüngigkeit.
Nun ist es historisch nicht korrekt, diese den '68ern alleine oder zuerst zuzuschreiben. Was das "Wasser predigen und Wein trinken" allerdings mit den '68ern direkt in Verbindung bringt, sind deren "Quellenangaben".
Erster Blick zurück: Zwei nicht unbekannte Schlagworte, die man im Zusammenhang mit der Reformationszeit gerne und oft hört, sind: "Die Freiheit eines Christenmenschen" oder auch "Gewissensfreiheit". Nun gibt es aber Märtyrer, die durch protestantische oder kalvinistische Hand zu Tode kamen, weil sie weder dem römischen Verständnis von Eucharistie, noch dem Primat des Papstes abschwören wollten oder auch einfach, weil sie Katholiken waren. "Freiheit eines Christenmenschen/Gewissensfreiheit"? Eher nicht.
Zweiter Blick zurück: Der bekannteste "Schlachtruf" der französischen Revolution neben "Ça Ira" und "Guerre Aux Châteaux, Paix Aux Chaumières" ist natürlich "Liberté, Egalité, Fraternité". Keine zwei Sekunden braucht man allerdings, um herauszufinden, daß die Freiheit, die Gleichheit und die Brüderlichkeit nur denen galt, die nicht auf eine jeweils von den Revolutionären hurtig hingedeutete Art und Weise den neuen Entwicklungen schon aufgrund ihrer physischen Anwesenheit im Wege standen.
Wenn ich heute einen privaten, individuellen Diskurs führe, oder in einen öffentlichen, eher organisationsübergreifenden Streit hineinschaue, dann stelle ich fest, daß oft grade die Leute, die mit ihrer Argumentation z.B. die Katholische Kirche ihrer Unzulänglichkeit zu überführen suchen, immer wieder auf die Errungenschaften der Reformartion und der Revolution hinweisen.
Mir standen die Haare zu Berge, als Luther vor sechs Jahren in der ZDF-Sendung "Wer sind die größten Deutschen?" am Ende den zweiten Platz belegte, hinter Adenauer und vor Marx. Mir wollten sich die Haare gar nicht mehr legen, als in einer dieser typischen, langatmigen Diskussionrunden zum Thema Kirche bei einer Kommentar-Runde durch's Publikum eine etwas 55-jährige Dame im leicht verdächtigen "Kirche von unten"-Look meinte: "Och, ich fühle mich irgendwie in der Kirche nicht mehr richtig aufgenommen und repräsentiert. Es wäre, glaube ich, Zeit, daß mal wieder ein neuer Luther kommt." Ja, Gnädigste, vielen Dank! Eine weitere Spaltung der Christenheit inklusive 30 Jahre Revolutionskrieg sind sicherlich genau daß, worauf Mitteleuropa im Moment wartet.
Reformation und Revolution sind immer schnell zur Hand, wenn es darum geht, zu illustrieren, wie der kleine Mann es denen da oben gezeigt hat und wie es insgesamt gelang, die Welt zu einem besseren Ort zu machen ("... also nerv mich hier nicht mit Kollateralschäden"). Wenn man jetzt aber die oben angesprochene Doppelzüngigkeit - grade im Bereich der bekanntesten Schlagworte - bedenkt, dann ist es natürlich kein Wunder, daß Jahrhunderte später bei den '68ern noch lange nicht überall "Demokratie" drin ist, wo laut "Demokratie" geplärrt wird. Die Beispiele dafür reichen mittlerweile von hier bis in die Walachei und zurück. Weil's noch recht frisch ist, möchte ich hier nur an die "1000 Kreuze für die Spree"-Aktion erinnern, zu der die zur Amadeu Antonio-Stiftung gehörende Internetseite "Mut gegen rechte Gewalt" Ende September aufgerufen hatte. Um eine "langfristige Stärkung demokratischer Kultur" zu unterstützen, wurde in Berlin aufs Faschistoideste herumgepöbelt. Ebenso verhält es sich mit der Toleranz, um die mit der ausgetreckten Rechten gebettelt wird, während die Linke schon den Verbal-Dolch hält, der demjenigen in den Rücken fährt, der sich nicht eben jener Forderung nach Toleranz beugen will. Durchschlagkraft erhält diese Methode mit der im älteren Beitrag Laufstärke/Substanz angedeuteten Technik der Emotionalisierung, welche - ungeschriebenes aber offenbar in der '68er-Szene weitgehend akzeptiertes Gesetz - von den zur Debatte stehenden Realitäten ablenken soll.
Was mich in der Tat gewaltig verwirrt ist die Frage, ob all diese Leute, die "Demokratie" rufen und mit Gewalt eine genehmigte Demonstration aufzulösen versuchen, die "Toleranz" jammern und einem nach anderhalb Sätzen hysterisch ins Wort fallen, die "Bigotterie" schreien, während sie Wasser predigen und Wein trinken - ob all diese Leute wirklich der Meinung sind, dies gehe schon in Ordnung. Mir jedenfalls bereitet es Bauchweh, nicht zuletzt deswegen, weil ich - bei allem was man mir mit Recht vorwerfen kann - wenigstens versuche, meiner Linie treu zu bleiben. Denn ich stoße schnell an meine Grenzen, wenn ich mich mit Leuten auseinandersetzen muß, welche die Forderungen, die sie an mich stellen, etwas lockerer sehen, sobald diese sie selbst betreffen.
2 days ago
6 comments:
Super.
Danke!
Sorry, aber das ist ganz schwach.
Danke, "Anonymous"!
Hat sich diese Stiftung dann eigentlich noch irgendwann einmal dazu geäußert, warum sie am Tag dieser Aktion kollektiv den gesunden Menschenverstand verlegt hatten?
Zwetschgerich
Weiß nicht. Elsa steht oder stand mit denen in Verhandlung. Keine Ahnung, was nun letztlich daraus wurde. Elsa?
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