- Dass Kirchenfeinde auf dem Feuer der Debatte ihr Süppchen kochen, ist geschmacklos. Leider kann ich nicht umhin, einige der Kritiker (in einigen Medien auch deren überwiegenden Teil) der offenen Kirchenfeindschaft zu verdächtigen, denn die Ablehnung der Kirche orientiert sich an dem sattsam bekannten Feindbildschema: De-Individualisierung und Pauschalisierung (Alle Priester sind „perverse Kinderschänder“, Die Kirche ist...), Empathieverweigerung (Mit dieser Kirche verbindet uns nichts – sie sind die Bösen, wir die Guten. Daraus folgt dann, dass die Unschuldsvermutung gegenüber Tatverdächtigen nur gilt, wenn sie nicht katholisch sind.), Misstrauen (Alles, was die Kirche macht, ist schlecht, und wenn es gut aussieht, dann ist es mit schlechten Motiven verbunden.), Schwarz-Weiß-Denken (Es gibt keine Vereinbarkeit von böser Kirche und guter Gesellschaft, es gibt nur ein Entweder-Oder), Nullsummen-Denken (Was der Kirche nützt, schadet der Gesellschaft und visa versa), negative Antizipation (Was wird die Kirche schon machen? Am Ende betrügt sie uns doch!) sowie bodenlose Unterstellungen von Heuchelei und mangelnder Aufrichtigkeit. Das Ganze geschieht vor dem Hintergrund eines – bestenfalls – Halbwissens über die Zusammenhänge und unter Ausblendung aller empirischen Daten und Fakten. Am Ende wähnt man sich in einer verkehrten Welt, in der eine völlig andere Wahrnehmung herrscht. In der aber vor allem jede Äußerung und jede Aktion von Seiten der Kirche zur Aufrechterhaltung des eigenen Feindbilds kritisiert wird, noch ehe klar ist, was eigentlich genau gesagt oder getan wurde.
Ja, wie gesagt: Ähnliche, wenn nicht identische Gedanken schossen mir in jüngster Zeit auch immer wieder mal durch den Kopf. Es kommen aber noch andere hinzu.
Es gibt einen gigantische Spekulations-Grauzone des "Was wäre, wenn...": Was wäre, wenn die Gesellschaft als Ganze dem Menschen dabei behilflich ist, zu erkennen, daß er nicht Sklave seiner Triebe ist? Was wäre, wenn die Kirche (bzw. die zuständigen Bischöfe und Oberen) das sich ihnen bietende Grauen (sofern sie davon erfuhren) von Anfang an mit geziemender Offenheit behandelt und mit ebenso geziemender Härte geahndet hätten und dort, wo heilsam, auch persönliche Konsequenzen gezogen hätten? Was wäre, wenn die Sorge sowohl innerhalb der Kirche als auch in den Medien und in der Politk tatsächlich den Opfern und der Vorbeugung und nicht eigenen Interessen gälte? Was wäre, wenn die vierte Gewalt ihren Einfluß nützt und der Kundschaft davon abrät, sich mit dem Geiste der Aufklärung nicht vereinbarer Mechanismen zu bedienen? Was wäre, wenn man überall erkennt, daß nicht gegenseitige Anschuldigungen, sondern nur gemeinsames Anpacken und Umdenken unseren Kindern eine gefahrenlosere Zukunft garantieren kann?
Gift für die gesamte Situation ist der Begriff der "Einzelfälle". Natürlich ist jeder einzelne Fall auf seine Art eben ein Einzelfall. Doch dort, wo seitens der Kirche auf diese Einzelfälle gepocht wird, bleibt als widersprechende Antwort nur ein Verweis auf Kindesmißbrauch als zumindest Ingredienz der katholisch-klerikalen Natur. Anders formuliert: Wenn wir nicht eingestehen wollen, daß 100 Fälle von Kindesmißbrauch durch katholische Priester Einzelfälle sind, müssen wir so tun, als sei Kindesmißbrauch in der Kirche systematisch. Daher gehört meiner Meinung nach der Begriff vom Tisch. Denn Kindesmißbrauch gibt es überall in der Gesellschaft, und er ist sicherlich nicht Bestandteil unserer Natur (so sehr sich das einige Verwirrte vielleicht auch wünschen mögen). Zehntausende von "Einzelfällen" kann man zwar klassifizieren, wenn man fragt: "Wo findet Kindesmißbrauch statt?", aber die allererste Frage muß dennoch lauten: "Warum findet Kindesmißbrauch statt?". Hat man den Mut, diese Frage zu stellen, erkennt man sofort, daß das Bekämpfen angeblich "ermöglichender Strukturen" in diversen Institutionen keinesfalls Besserung verspricht, weil das Übel nicht an der Wurzel gepackt wird.
Der Gedankengang, der für mich beim Durchforsten der Medien manchmal durchschimmert, ist Folgender: Es gibt Männer, für die aufgrund ihrer sexuellen Veranlagung eine Ehe nicht oder nur bedingt in Frage kommt. Diese Männer zeichnen sich durch eine gewisse sexuelle Unreife und ein gestörtes Verhältnis zu Macht und Ansehen aus. Sie tendieren dazu, in der katholischen Kirche als Priester Unterschlupf zu finden, da es existenzsichernd ist, da man dort als Junggeselle nicht auffällt, da einem von noch ausreichend großen Teilen der Gesellschaft immer noch ein gewisser Respekt entgegengebracht wird und da man in einem vermeintlich obskur-verschwiegenen Umfeld auf ein Minus an Kontrolle und Einschränkung hoffen darf. Aber wenn nun die Kirche einen Weg fände, potenzielle Kinderschänder schon auf der Schwelle zum Seminar oder Noviziat auszusieben, fänden diese Männer einen anderen Weg, ihre Triebe zu befriedigen. Es ist doch nicht so, daß ein potenzieller Kinderschänder, nachdem ihm der Zugang zu den Weihen versagt wurde, morgens aufwacht und sagt "Okay, ich bin geheilt!" Und wenn die Kirche, was ja momentan von vielen Seiten gefordert wird, den Zölibat optional macht und ihre Sexualmoral lockert, dann wird dies ebenfalls kaum helfen. Es sei denn, es gibt eine empirische Basis auf der sich eine Behauptung aufstellen läßt, welche ungefähr lautet: "Erst durch und aufgrund von Aufnahme in den Klerikerstand, Vertrautheit mit der Dynamik der Macht zwischen Hirten und Schäfchen und von der kirchlichen Sexualmoral unterdrückte Triebe finden eigentlich unbescholtene Männer plötzlich Gefallen an sexuellen Übergriffen auf Kinder." Ich habe von dieser Theorie aber noch nicht gehört.
Ich bin davon überzeugt, daß es zwischen all dem Gebrüll und Fingerzeigen eine Schnittmenge gibt, in welcher sich der Kern des Problems befindet und in welcher alle Beteiligten sich verständigen und einigen können. Der berühmt-berüchtigte "Runde Tisch" ist sicherlich nicht pauschal abzulehnen. Er wird aber nur zu Ergebnissen führen, wenn alle Seiten ihre Scheuklappen abnehmen und auf die Problematik des Kindesmißbrauchs nicht nur kirchenintern sondern auch gesellschaftsweit reagieren. Das bedeutet nicht, daß reihum jeder sein medienwirksames Mea culpa in die Mikrophone haucht und somit seine Schuldigkeit als getan betrachtet. Es bedeutet auch nicht, daß man einen totales Überwachungsumfeld aufbaut und im Grunde jeden Erwachsenen, der mit Kindern zu tun hat, erst einmal vorbeugend im Verdacht hat.
Eine glänzend durchdachte und sofort umsetzbare Antwort auf das Problem habe ich natürlich auch nicht parat. Aber ich habe einen Vorschlag aus fies-katholischer Richtung: Was wäre, wenn man Mittel und Wege findet, den gesellschaftlichen Zwang zur sexuellen Leistung zu entmystifizieren, um den Sex selbst von seinem Thron zu holen, von welchem aus man ihm jahrzehntelang gestattete, sich seinen Untertanen als identitätsstiftendes Allheilmittel und Zweckursache menschlicher Beziehungen zu präsentieren? Könnte das nicht dabei behilflich sein, gleich mehrere Übel wenigstens etwas einzudämmen (Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen, Porno-Sucht, Prostitution, Kinderhandel, Sex-Tourismus etc)?
1 comment:
@Refutatio cum Verweis auf Statistiken und Fakten
Statistiker der Liebe errechnen, daß allein heute die Akte der Nächstenliebe unter Christen in die Millionen gehen. Auch in den kommenden Wochen wird mit Milliarden von "guten Taten" gerechnet. Könnte im Vergleichszeitraum erneut von einem Priester ein Kind mißbraucht werden? Möglich wär's. Aber es könnte ebenso gut auch erst wieder in drei Jahren geschehen. Wie schwer wird dieser Fall dann sein? Jungs beim Bergwandern mit nacktem Oberkörper fotografieren?
Wann werden die Medien aufhören, mit voller Absicht die Differenz zu verwischen zwischen – nach ihren eigenen Maßstäben – rührend harmlosen Spielchen – nach ihren und unseren Maßstäben – wahrhaft Liebender einerseits und den Verbrechen haßerfüllter Teufel, die Kleinkinder vergewaltigen, andererseits? Für den Verbraucher wird das dann schnell alles eins. Dies dürfte der Klerus selber sicher nicht zu seiner Verteidigung anbringen (Verharmlosung!), als Laie muß ich mir beim wahrheitsgemäßen Korrigieren von medialer Falschberichterstattung keinen Zwang antun.
Was den Medien völlig abhandengekommen zu sein scheint, ist ein Gespür für Größenverhältnisse und Proportion. Ein in der Darstellung der Außenwelt ungeübtes Kind malt einen kleinen Hund nicht größer als ein Haus. Die Medien malen aber die Fehler der Kirche formatfüllend und die Werke der Liebe rechenkästchengroß. Vielleicht fällt ja eines Tages noch der Groschen, wenn die Medien erkennen, mit wem sie sich da eigentlich angelegt haben. Dürfte ein Kirchenmann ebenfalls nicht so formulieren (zu drohend!). Aber zu den Eigenschaften Gottes gehört auch Zorn. Und sogar Autorität. Merkt euch das, Medien.
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