Saturday, March 13, 2010

Zölibat

"Weg damit" oder wenigstens "Lockerung" oder "kostbares Geschenk" und "Zeichen der vollständigen Hingabe"?

Die Meinungen gehen auseinander. Da ist es erst einmal gut, daß wir es beim Zölibat nicht lediglich mit einer Meinung zu tun haben, sondern mit einer seit Bestehen des Christentums empfohlenen und praktizierten Lebensform, die zwar immer und immer wieder deontisch debattiert wird (Verpflichtung, Erlaubnis) aber streng genommen ein ontisch/alethisches Phänomen ist (Möglichkeit/Notwendigkeit/Wahrheit).

Dies hält die Türe offen für ein korrektes Verständnis: Kein Mann wird dazu gezwungen, Priester zu werden. Aber jeder Mann, der eine Berufung verspürt und ihr ehrlich folgen will, der muß sich darüber im klaren sein, auf was er sich einläßt. Das zölibatäre Leben eines Priesters ist eine legitime Form, eine Möglichkeit, einer Berufung zu folgen. Die Einhaltung dieser Form wird aber zur Notwendigkeit, dort, wo der Kandidat sich und der Kirche gegenüber wahrhaftig sein und bleiben will. Wer sich also zum Priesteramt berufen fühlt, der gehe diesen Weg. Aber er gehe ihn ganz!

Jeder Mann, der glaubt, daß er zum Familienleben besser taugt als zum Priesterdasein, muß sich ebenso darüber im klaren sein, auf was er sich einläßt. Denn auch das Leben als Familienvater ist eine legitime Form, einer Berufung zu folgen. Und auch hier geht es weniger um Verpflichtungen und Erlaubnisse, sondern um Möglichkeiten, die für wahrhaftige Menschen zu Notwendigkeiten werden. Wer sich also zum Familienleben berufen fühlt, der gehe diesen Weg. Aber er gehe ihn ganz!

Wir erleben heute, daß die Institution der Ehe sich in einem gewaltigen Prozeß der Umdeutung, wenn nicht Auflösung befindet. Ebenso stehen wir ohnmächtig vor einem Haufen von Horror-Nachrichten aus diversen katholischen Einrichtungen. Dahinter steckt in beiden Fällen die Neigung des Menschen zum Ich, zur Befriedigung kurzfristiger Bedürfnisse, zur Sünde.

Den ganzen Bereich der "körperlichen Züchtigung" blende ich hier - soweit er das zum Zeitpunkt der Tat gesellschaftlich anerkannte Maß nicht weit überschritt - mal aus. Der sexuelle Mibrauch von Kindern hat sich mittlerweile als gesellschaftliches Phänomen geoutet. Ein gesellschaftliches Phänomen war - nach damaligem Verständnis - auch die Versorgung zweit- oder drittgeborener Buben in Adelsfamilien. Daß aus diesem Grunde hin und wieder Männer zu Bischöfen oder Äbten geweiht wurden, welche die katholische Morallehre alles andere als ernst nahmen, verwundert wenig. Denn es ging diesen Herren in erster Linie um ein nicht eben schmales Einkommen, gepaart mit Ansehen und Macht. Sicher, in den Zeiten des "Heiligen Römischen Reiches" mußte ein Bischof auch (und oft zuerst) Landesherr sein. Und trotz aller Mißbräuche, aller Laxheit, aller Lustbarkeiten und aller Glaubenslosigkeit fand die Kirche, nachdem ihre Bischöfe auf Prunkdiät gesetzt wurden, bald zu neuer Kraft. Wir dürfen nicht vergessen, daß die Eine, Heilige, Katholische und Apostolische Kirche wie eine Maschine ist, die von einem Gott entworfen wurde, damit selbst Deppen sie sicher bedienen können, ohne sie zu zerstören.

Wenn nun Männer, die sich auf perverse Art zu Kindern hingezogen fühlen, in der Kirche als Priester Unterschlupf suchen und finden, dann hat man es hier - ebenso wie bei manchen Bischöfen vergangener Jahrhunderte - mit Leuten zu tun, denen es vorrangig erst einmal nicht um eine gelebte Berufung geht. Wer von dem Glauben, von der Hoffnung und vor allem von der Liebe getragen wird, der lernt es auch, im entscheidenden Moment "Nein" zu sagen. Mehr noch (und ich sage dies nicht zum ersten Mal): Je mehr man lernt, einer Versuchung zu widerstehen, desto weniger drückend wird diese Versuchung mit der Zeit. Priester, die sich an Kindern vergehen, fehlt es an Glauben, Hoffnung und Liebe. Sie sind Priester geworden, weil sie eine verquert-idealisierte Meinung vom Priesterstand haben. Sie sind Priester geworden, weil sie eine obskure Vorstellung von dem vermeintlich noch obskureren Leben haben, welches sich hinter den Türen des Vatikans und jedes einzelnen Pfarrhauses abspielt. Sie sind Priester geworden, weil das Amt mit sichtbaren Zeichen einer Abgrenzung verbunden ist, die bei bestimmten Leuten zu einer falschen Überbewertung der Person gegenüber dem Amt führt. Sie sind Priester geworden, weil sie hoffen, in einer klar geregelten Welt Mittelpunkt eines hochdramatischen Theaters goldglänzender Hallen und schicker Klamotten sein zu können. Sie sind aber nicht Priester geworden, weil sie als tapfere, fleißige und demütige Arbeiter im Weinberg des Herrn ihr Ich hintanstellen wollen.

Die Frage, die sich aufdrängt, ist: Reißt die Kirche aufgrund ihrer Strukturen (jetzt schon einer meiner Vorschläge für das Unwort des Jahres 2010) solche Leute förmlich an sich, oder nutzen diese Leute einfach von sich aus die sich bietenden Schlupflöcher? Es ist wohl eine Mischung aus beidem, wobei ich der Kirche eindeutig einen passiveren Anteil zuspreche.

Was hat dies nun mit der Diskussion um den Zölibat zu tun? Nun, wie wir ja mittlerweile schmerzhaft erfahren durften, verspricht zumindest die Priesterweihe alleine nicht unbedingt einwandfreie Lebensmodelle. Dort, wo junge Männer in Wahrhaftigkeit die von der Kirche gebotene Möglichkeit, ihrer Berufung zu folgen, annehmen und die von der Kirche aufgestellten moralischen Normen mit Blick auf eben diese Berufung als Notwendigkeit erkennen, dort kann wahres Priesterleben blühen und wunderbare Früchte tragen.

Nehmen wir nun einmal an, der Zölibat wird gelockert. Verheiratete Männer, die sich bewährt haben, dürfen zu Priestern geweiht werden. Vielleicht geht man gar so weit, den Zölibat als optional für alle hinzustellen. Für alle bedeutet dann, daß aufgrund des in Zusammenhang mit solchen Forderungen stets erwarteten Anstiegs der Priesterzahlen (nehmen wir ihn um der Argumentation willen mal als gegeben hin), die Probleme, die sich nun um die Ehe ranken, ruckzuck Eingang in die Kirche finden. Denn eine Kirche, in die Kinderschänder als Priester Eingang finden, wird kaum dazu in der Lage sein, potentielle Ehebrecher oder Scheidungskandidaten auszusieben. Somit werden bald geweihte Priester der katholischen Kirche ihren Oberen die Fragen nach Scheidung, nach Konkubinat, wenn nicht nach Abtreibung auf dem Tisch knallen. Oder sie werden versuchen, all dies gleichzeitig zu praktizieren und zu verheimlichen, werden aber scheitern und auffliegen, werden daraufhin die Medien und die Öffentlichkeit gegen eine leib-, lust- und lotterlebenfeindliche Kirche in den Zeugenstand rufen und so dafür sorgen, daß eine neue Welle von Forderungen ausgelöst wird.

Zum Familienleben gehört ebensoviel Wahrhaftigkeit und Treue wie zum Priesterdasein. Die katholische Lehre hat auch für das gemeinsame Leben von Ehepartnern und ihren Kindern moralische Vorgaben, an die zu halten nicht immer leicht fallen mag. Sicher, heutzutage werden diese Vorgaben offenbar eher als Schrullen einer Altherrenriege betrachtet, die eben nicht versteht, wie notwendig es ist, sich nach zwei Jahren Ehe und der Geburt eines Kindes wieder scheiden zu lassen. Aber genau hier stoßen wir an die Grenze. Genau hier müssen wir uns fragen, ob wir die Kirche umfunktionieren zu einem Mikrokosmos, der die Gesellschaft in ihrer gesamten Vielfalt widerspiegeln will, oder ob wir uns weterhin die Schrulle des Zölibats leisten, um der Gesellschaft glaubhaft zeigen zu können, daß es in der Tat bestimmte Dinge gibt, die man "um des Himmelreiches Willen" tut bzw. läßt.

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