Monday, May 04, 2009

Flossen weg!

Bereits in der vorletzten Ausgabe der Zeit schrieb ein Bundesminister a.D. (zudem Dr.) in einem Leserbrief dies:
    "So leid es mir tut, aber Ihr Artikel über die Auferstehung geht von einer falschen Prämisse aus. Das Noli me tangere ist eine unrühmliche Fälschung des Vulgata-Übersetzers Hieronymus, der den griechischen Urtext Mae mou haptou in das genaue Gegenteil übersetzt hat. Haptein heißt im Altgriechischen, also der Sprache des Urtextes, festhalten. Jesus sagte demnach zu Maria Magdalena: Halte mich nicht fest. Sie wollte ihm also nicht nur um den Hals fallen, sondern sie hat es auch getan. Die beiden haben sich umarmt. Dies mit "Noli me tangere", also: "Berühre mich nicht", zu übersetzen, ist ein starkes Stück.

    Da eine solche intime Berührung für die von der leibfeindlichen Gnosis bereits infizierte Theologie der Kirchenväter völlig unmöglich und unvorstellbar war, hat Hieronymus theologisch absichtsvoll den Text in das Gegenteil verkehrt. Dieses verklemmte Denken findet sich auch in modernen Ausgaben der Heiligen Schrift.

    Zum Beleg meiner Kritik können Sie die katholisch/evangelische Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift DIE BIBEL zur Hand nehmen. Die Herausgeber, die EKD ud die Bischöfe Deutschlands, Österreichs und der Schweiz, haben es zwar zugelassen (siehe Seite 1210), dass die Textstelle richtig übersetzt wurde, anders hätten sie sich und die Übersetzer vor der gesamten Altphilologenzunft blamiert, aber weil nicht sein kann, was nicht sein darf, gibt es zu der Textstelle die Anmerkung: "Halte mich nicht fest": Maria hatte sich vermutlich Jesus zu Füßen geworfen und diese umfaßt oder umfassen wollen. Kleinkarierter geht es nicht.

    Über eine solche Fälschung könnte man leicht hinweggehen, wenn es die einzige wäre, die sich Hieronymus geleistet hat, und wenn nicht gerade diese Fälschung Ausdruck einer nach wie vor latenten Sexual- und Frauenfeindlichkeit vor allem der katholischen Theologie wäre.
Die im Leserbrief angesprochene Fußnote endet mit einem Verweis auf das Matthäusevangelium (28,9), welches der aktuellen bibelwissenschaftlichen Mehrheitsmeinung nach zwar nicht das erste Evangelium ist, aber vor dem des Johannes entstand (Spontan fällt mir als Nicht-Unterstützer dieser Auffassung nur Berger ein): "Plötzlich kam ihnen [Maria Magdalena und der anderen Maria] Jesus entgegen und sagte: Seid gegrüßt! Sie gingen auf ihn zu, warfen sich vor ihm nieder und umfassten [ekrátêsan von kratéô = ergreifen, zu fassen bekommen] seine Füße". Da der Johannestext keinen Aufschluß darüber gibt, was Maria Magdalena denn nun eigentlich tat, um Jesus zu seinem "Halt mich nicht fest" zu bewegen, erscheint es zumindest nicht als vollkommen illegitim, sie auch bei Lektüre des vierten Evangeliums zu seinen Füßen zu sehen.

Ich habe hier eine alte Rießler-Bibel (1934 herausgegeben) liegen, in der es "Halt mich nicht fest" heißt. Und dort kann man dann auch den ganzen Satz lesen: "Halt mich nicht fest, noch bin ich nicht zu meinem Vater aufgefahren".

Jenseits aller Übersetzungs- und Deutungsmöglichkeiten entfaltet sich hier für mich ein Bild, in welchem es primär um die Fortsetzung und Vollendung der Heilsgeschichte geht. Es mag kleinkariert sein, wenn ich mir Maria Magdalena als vom Anblick ihres "Rabboni" so ergriffen vorstelle, daß sie vor meinem inneren Auge in die Knie sinkt und die Hände nach Christi Füßen ausstreckt. Aber ich glaube, ich befinde mich auf einigermaßem soliden Terrain, wenn ich behaupte, daß die primäre Überlegung in den Köpfen der beiden Protagonisten dieser Szene nicht lautete: "Hmm... Quickie? Oder doch lieber nicht? Hach..., schwierig...". Möglich, daß dies auch nicht impliziert war, aber der Brief des Ministers a.D. zeigt eine einigermaßen beunruhigende Fixierung in diese Richtung (leibfeindlich, verklemmt, sexualfeindlich).

7 comments:

Yon said...

Letztens hatte ein Kommilitone neben mir einen Artikel von Christiane Nord über eben diese Stelle und ihre Übersetzung auf dem Tisch liegen. Ich werd ihn nochmal darauf anfragen.

Andere Überlegung, wie denkbar ist es denn an diesem Ort und zu dieser Zeit, bei aller jesuanischen Gender-Fortschrittlichkeit, dass sich eine Frau ihrem Rabbi kurzerhand an den Hals wirft?
Ach nee, klar, die beiden waren ja verheiratet. Wie verklemmt von mir. Argh.

Stegi said...

Trotzdem muss man sagen, Hieronymus hätte bei meinem Lateinlehrer eine 5 bekommen.
Warum hat er denn nicht einfach "tenere" verwendet?
Also eine Vokabel die jeder Unterstufenlateiner im ersten Jahr bereits lernt?

Johannes said...

Is doch klar, daß die leibsexfrauenfeindliche Amtskirche, insbesondere der leibsexfrauenfeindliche Hieronymus, der sowieso von griechisch, hebräisch und latein überhaupts keine Ahnung hatte, die leibsexfrauenfreundliche griechische Bibel nur leibsexfrauenfeindlich übersetzen konnte. War mir schon von vorneherein klar. Wie heißt übrigens der gebüldete Herr Dr. Minister a.D. ? Ja, ein nachdenklicherer Alt68er schrieb mal ein Buch über die "repressive Entsublimierung". Der Beitrag des Herren Ministers gehört offenbar in diese Kategorie.

Elsa said...

Ich finde Yons Überlegung eigentlich schlagend. Ich habe mir auch Gedanken dazu gemacht, neben der sehr guten von Yon dazu, die das Verhältnis einer jüdischen Frau zu ihrem Rabbi richtigerweise bedenkt - ich glaube nicht, dass wenn man vor einem frisch Auferstanden steht, das man dem dann einfach entgegenstürzt. Das zu Füßen werfen scheint mir die Situation wirklich eher zu treffen.
Daneben fallen mir diverse Fixierungen von Leuten, die der Kirche fernstehen, in letzter Zeit gehäuft auf - während aber natürlich das von diesen Leuten gar nicht wahrgenommen wird, sondern vielmehr die Christen, die Kirche ja fixiert seien.

Der Herr Alipius said...

@ Elsa und Yon und Johannes: Genau!

Er heißt "Heiner Geißler" (der Heiner Geißler, der von 1949 bis 1953 Jesuit war ;-D )

Johannes said...

Ach der! War ja nicht anders so erwarten. Der gehört doch zu den Typen, die immer ganz genau wissen, was Jesus heute sagen würde. Nämlich das, was sie sagen würden wenn sie Jesus wären. Hab nochmal in meinem Wörterbuch für neutestamentliches Altgriechisch nachgesehen. Apto heißt wirklich nur berühren, nicht umarmen. Und wenn ich es recht sehe, war Hieronymus doch wohl Lateiner, oder? Muß ne ziemlich miese Schule gewesen sein, die der Geißler da besucht hat. (Jesuiten, kann man ja nichts besseres erwarten)

Der Herr Alipius said...

Also, "umarmen" heißt es wirklich nicht. Es bedeutet allerdings schon auch "haben" und "halten" und "festhalten". Wahrscheinlich hat man diese Bedeutungen aber in Wörterbuch für Neutestamentalisches Griechich gar nicht berücksichtigt, damit's keine Verwirrung gibt, wenn man es mit der lateinischen und anderen Versionen vergleicht ;-)