Monday, May 17, 2010

Wüstlinge

Daß ich kein großer Freund von Kunstzerstörung bin, hat sich - glaube ich - bei den Lesern mittlerweile herumgesprochen.

Verwirrte oder ideologisch fehlgeleitete Individuen, die sich mit Säure oder Hackebeilchen über ein Gemälde von Velázques oder Vermeer oder Rembrandt oder Picasso hermachen; Fliegerstaffeln, die malerische Städte in Staub verwandeln; Bilderstürmer, die Kirchen bis auf die kahlen Wände ihres Schmuckes entledigen; Revolutionäre, die all das vernichten, was in ihren Augen die Mächte symbolisiert, gegen welche man sich grade erhebt: All diese Leute haben bei mir keinen Stein im Brett.

Im Gegenteil: Ich mag sie eigentlich gar nicht leiden, weil sie in meinem Herz, welches immer gerne bereit ist, sich nicht nur für die Natur, sondern auch für die Schönheit der vom Menschen geschaffenen Dinge zu begeistern, auf der Haben-Seite ein großes Loch gerissen haben, welches ich ständig mit kleinen "Was wäre, wenn..."-Pflastern kitten muß.

Einen vorderen Rang auf meiner "Das hättet Ihr mal besser gelassen, Ihr Säcke!"-Liste nehmen die französischen Revolutionäre ein. Ihr wüstes Walten in der heißen Phase wurde in der klaren Ansage "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" zusammengefaßt. Und es waren ja nicht nur die Paläste. Klöster, Kirchen, Kathedralen, Denkmäler, Königsgräber, Statuen, Kirchensilber, Gobelins, Bücher, Urkunden, Gemälde, Mobiliar und alle Arten von Kunstwerken und Kunstschätzen waren dem Untergang geweiht, wenn sie sich zur falschen Zeit am falschen Ort befanden. Und es gab für die Kunst kaum einen falscheren Ort und eine falschere Zeit als Frankreich zwischen 1789 und 1794.

Löste die Tatsache, daß Frankreich in dieser Zeit munter zur großflächigen Selbstverstümmelung schritt, bei mir schon immer nervöse Zuckungen oder Übelkeit aus, so vibrierte auf einer tieferen Ebene immer noch eine Art Verwunderung mit; ein innerliches Sich-an-den-Kopf-Packen aufgrund einer Doofheit, die sich aber nicht näher benennen ließ.

Bis jetzt.

Mir ist Ernst Steinmanns Manuskript "Der Kunstraub Napoleons" (herausgegeben von Yvonne Dohna) in die Hände gefallen. Im zweiten Kapitel, welches den schlichten Titel "Vandalismus" trägt, läßt der Autor es mir endlich wie Schuppen von den Augen fallen:
    Am 31. August 1794 trug Henri Grégoire, der mutige Bischof von Blois, dem Nationalkonvent den ersten seiner drei berühmten Berichte über den Vandalismus vor. In erschütternden Bildern enthüllte er – das Allerschlimmste noch verschleiernd – die entsetzlichen Verluste, die Frankreich in den ersten Jahren der Revolution an seinen köstlichsten Denkmälern erlitten hatte. Aber als erfahrener Menschenkenner suchte er seine Zuhörer nicht nur zu demütigen, sondern auch aufzurichten. Und so nahm er trotz der furchtbaren Zerstörungen, die überall das Auge beleidigten, mit kühnen Worten für sein Vaterland den Ruhm in Anspruch, Kunst und Künstler zu beschützen. Und was führte er als Grund für solche Behauptungen auf? "Wir sammeln jetzt die Denkmäler", so rief er aus, "selbst in den eroberten Ländern. Die Römer ließen in Sparta ein Fresko aussägen und schafften es nach Italien. Wir lassen in Belgien Bücher und Gemälde einpacken und Frankreich damit bereichern: Crayer, Van Dyck und Rubens sind auf dem Weg nach Paris. Die ganze Schar der flämischen Meister erhebt sich, um unsere Museen zu schmücken."

    ...

    Mit einem Wort: die Selbstverstümmelung, die Frankreich an sich begangen hatte, sollte durch Verstümmelung anderer Länder und anderer Völker wieder gut gemacht werden, und ein Mann wie Grégoire konnte den Glauben verkündigen, die Franzosen würden in der Welt ihren Ruf als Heiligtumsschänder und Zerstörer von Kunstdenkmälern zunichte machen, indem sie die Kunstwerke fremder Völker nach Frankreich schleppten.
Klar! Das war es, was mich immer so verstört hat: Erst wird Frankreich verwüstet und dann stattet man es wieder aus, indem man andere Länder verwüstet. Clever!

Und es ist ja nicht so, daß man sich damit entschuldigen könnte, die Zerstörungen in Frankreich seien die Folge eines spontanen Racheaktes des geknechteten Volkes gewesen, welches sich, als die Fesseln fielen, mal eben plündernd, verwüstend und brennend in die Residenzen der Unterdrücker warf. Die gesetzgebende Nationalversammlung und später der Konvent wußten sich mit dem Volk in ihrem Haß auf die Symbole der Vergangenheit geeint. Zwar ist es richtig, daß die Dekrete bzgl. der Denkmäler aus den Jahren 1790 bis 1794 widersprüchlich sind: Einige verbieten die Zerstörung von Kunstwerken, Andere fordern dazu auf. Doch ertens galten die Verbote eher dem einzelnen Bürger, der nicht planlos herumhacken sollte, und zweitens wurde im Regelfall eher im Sinne der Erlasse gehandelt, welche zur Zerstörung ermunterten.

So kam es, daß alles, was irgendwie an Königtum, Adel und Kirche erinnerte - nach dem Motto "Aus den Augen - aus dem Sinn" - zu verschwinden hatte. Allerdings verchwand damit auch das, was die Geschichte des französischen Volkes sichtbar darstellte. Steinmann beschreibt es so:
    Zerstörte, verkaufte und entweihte Klöster, verbrannte Urkunden und Adelsdiplome mit den Kunstschätzen der Kirchen auf Scheiterhaufen aufgetürmt, ausgeraubte Schlösser und Paläste, zertrüm- merte Königsstatuen und aufgebrochene Gräber – das waren die fürchterlichen Zeichen dieser Zeit! Es war als hätte die Hölle alle ihre Geister losgelassen, um Frankreich zugrunde zu richten. Der kühl überlegende Verstand und die maßlose Leidenschaft verbanden sich zu dem gleichen Zweck und Ziel. Während das Volk um die Scheiterhaufen raste, auf denen die Denkmäler der Vergangenheit in Flammen aufgingen, sandten die Lenker der Geschicke Frankreichs Architekten und Steinmetzen in die Gotteshäuser, um dort alles herunterzuschlagen, was den Anbetern des ‘Höchsten Wesens’ nicht geziemend erschien.
Der Autor schleppt sich über einige Seiten durch einen Gruselroman wilder Zerstörungen und resümiert dann:
    Wunderbare Ironie der Weltgeschichte! Nachdem sie im eigenen Lande alle Symbole und alle Denkmäler der Königsherrschaft zerstört hatten, haben die Franzosen unter ihren Siegestrophäen aus aller Herren Länder auch zwei eherne Fürstendenkmäler nach Paris geschleppt. Aus Aachen führten sie schon im Jahr 1794 die Statue Karls des Großen fort, die man dort heute wieder auf dem Marktbrunnen sieht; aus Brüssel brachten sie das Reiterdenkmal des Prinzen Karl Alexander von Lothringen von Verschaffelt nach Paris.
Und diese Ironie nimmt zwerchfellerschütternde Ausmaße an, wenn man in den restlichen Kapiteln des Buches miterlebt, wie die siegreich durch Europa ziehende Franzosenarmee sämtliche eroberten Gebiete ihrer vornehmsten Schätze beraubt, um damit die Löcher zu stopfen, die man vorher daheim gerissen hatte. Selbstverständlich gelang dies nur mit den beweglichen Kunstgegenständen. Unzählige französische Schlösser und Kathedralen waren für immer verloren. War es Neid oder konsequentes Umsetzen des Programmes, daß daher auch in Belgien, in den Niederlanden und den diversen besetzten deutschen Fürstentümern sowohl Kirchen als auch und vor allem Schlösser und Paläste von Erdboden verschwinden mußten?

Es war natürlich ein deppertes Unding, anzunehmen, man könne das Gedächtnis eines Volkes umprogrammieren, wenn man alles, was die Geschichte dieses Volkes darstellt, vernichtet. Noch tumber war der Versuch, auf den Trümmern der katholischen Kirche und Religion den Kult der Vernunft und des Höchsten Wesens quasi über Nacht als Ersatz zu errichten. So haben leider die Wüstlinge in ihrem Übereifer ihrem eigenen Land unemeßlichen Schaden zugefügt und jedem kunstverständigen Menschen die Berechtigung zu einem satten Griff an die Stirne geliefert.

In diesem Sinne:

3 comments:

holger said...

imfinde ich genauso, die franzöische rev. hat eindeutige satanische ausmasse gehabt

Mcp said...

"Es war natürlich ein deppertes Unding, anzunehmen, man könne das Gedächtnis eines Volkes umprogrammieren, wenn man alles, was die Geschichte dieses Volkes darstellt, vernichtet."

Ich will Dir nicht widersprechen, habe aber eine dezidiert andere Meinung dazu. Die Zahl der so untergegangenen Kulturen sind Legion: Es begann mit Troja. Kleinasien wurde durch Alexander hellenisiert.

Die Römer zerstörten Karthago so gründlich, das wir heute nur noch kümmerliche Reste dieser einstigen Hochkultur finden. Sie romanisierten die Kelten, Gallier und Briten durch die Ausrottung ihrer Priesterschaft und die rigorose Zerstörung der damit verbundenen Kultur.

Die Christin schließlich christianisierten Germanien. Bonifatius fällte die Donareiche und seine Nachfolger verwüsteten die heiligen Haine und zerschlugen systematisch die Runensteine.

Spanien schließlich löschte die südamerikanischen Hochkulturen aus. Was Frankreich versuchte, setzt sich bis in die Jetztzeit fort: Die flächendeckende Bombardierung deutscher Städte im zweiten Krieg und anschließende radikale Säuberung deutsche Bibliotheken, mit groß angelegtem Kunstraub war der erfolgreiche Versuch die alte deutsche Kultur zur zerstören.

Heute wird die Welt amerikanisiert, gleich und gleicher gemacht, so das die verschiedenen völkischen Traditionen und das vielfältige Brauchtum höchstens überhaupt noch, sinnentleerte Folklore ist.

Das ist keine Anklage, auch kein Widerspruch, nur ein Hinweis darauf, dass die Materie komplexer ist: Jede christliche Mission, siehe aktuell Indien, kann sich nur im Gegensatz zu Bestehenden durchsetzen. Das indische Kastensystem und seine Kultur sind mit dem christlichen Glauben sowenig zu versöhnen, wie mit der antiken Sklaverei. Manches muss fallen, manches triumphieren. Dass wir heute über Napoleon die Nase rümpfen können, verdanken wir der siegreichen Heiligen Allianz, Preußen und vor allem dem „reaktionären“ Metternich. Man kann die Verluste beklagen, sollte sich aber mit moralischen Urteilen zurückhalten. Allzuleicht fällt eine scheinbar gerechte Empörung auf den Empörer selber zurück.

Der Herr Alipius said...

Du hast natürlich Recht.

Ich habe aber absichtlich in meinem gesamten Posting das Wort "Kultur" vermieden, weil es mir primär um die Zerstörung von Kunst und den Versuch eines "Umschreibens" der Geschichte durch Verwischen prägnanter Spuren ging, weniger um untergegangene Kulturen (Denn in Frankreich lag ja ein solcher Untergang nicht vor: Der Thron war bald wieder besetzt, von den Kanzeln wurde wieder gepredigt und selbst Künstler hatten bald wieder Aufträge von Adel und Kirche).

Ich habe mich aber tatsächlich auch ein wenig ungeschickt bzw. mangelhaft ausgedrückt: Ich wollte den von Dir zitierten Satz auf Leute bezogen wissen, die ihre eigene Geschichte verschwinden lassen wollen und dabei zu heftigen Ausfällen gegen die sichtbaren Zeugen dieser Geschichte greifen. Denn diese Leute haben ja - wenn ich jetzt mal den Begriff Kultur aufgreifen darf - notwendigerweise nichts weiteres anzubieten als eine pervertierte Version ihrer Kultur (beinahe eine Un-Kultur) und nicht - wie in den der von Dir genannten Beispiele - eine andere, für die Heimgesuchten neue Kultur, die anfangs fremd, ärgerlich, sogar bedrohlich wirken mag, aber im Laufe der Zeit doch weitestgehend angenommen wird.

Sprich: Ich gebe Dir natürlich Recht mit dem, was Du sagst, wollte aber ursprünglich nicht darauf hinaus.