Soeben suchte ich auf facebook nach einer englischen Seite über den Vatikan, habe im Suchfeld statt "Vatican" aus Versehen "Vaticano" eingegeben und - hallo! - fand mich in einem Dschungel wieder, der mir den Atem nahm. Da gibt es - besonders in Spanien - Dutzende von faceboook-Gruppen, die allesamt den Titel tragen:
"Verwandelt die Schätze des Vatikans in Geld für Afrika". So oder ähnlich. Andere, die eine bessere Welt dann eben ganz auf ihre Art herbeiführen wollen, betiteln ihre Gruppen auch schlicht
"Plündert den Vatikan für die Armen und danach schmeißt eine Bombe rein". Ist natürlich scherzhaft gemeint. Haha.
Der Vorschlag, der Vatikan solle all seinen Besitz verkaufen und den Erlös den Armen geben, ist nicht neu. Er wird aber durch ständiges Wiederholen auch nicht klüger. Die erste Frage, die sich aufdrängt: Wer hat genug Geld, um zu kaufen, was der Vatikan anzubieten hätte? Dann wird man nach kurzer Zeit eine Liste von Individuen oder Organisatioen haben. Dies führt zu der Frage: Warum geben diese Individuen oder Organisationen nicht direkt ihr Geld an die Armen? Warum einen Umweg über den Vatikan? Warum wäre es für reiche Konzernbosse weniger skandalös eine Renaissance-Skulptur oder ein seidenbespanntes Barocksofa zu besitzen, als für den Vatikan? Oder anders: Warum sollte der Vatikan Geld, daß offenbar schon da ist, kompliziert über Kunst- und Gebäudeversteigerungen mobilisieren, anstatt einfach weltweit alle Menschen guten Willens anzusprechen und sie um Mithilfe zu bitten, was ja momentan auch die Praxis des Vatikan, der Katholischen Kirche und ihrer unzähligen Hilfsorganisationen ist.
Die Absicht, den Hunger in Afrika zu lindern ist nobel und die Bilder, die man auf der mitgliederreichsten (fast 450.000) "Vatikan-Gold zu Afrika-Brot" facebook-Gruppe zu diesem Thema sieht, sind anfangs durchaus ermutigend. Da sieht man Helfer aus aller Welt, die mitten unter den Ärmsten der Armen ihrer karitativen Arbeit nachgehen. Doch bald schon geht's bergab. Gephotoshoppter Blödsinn, wie das Bild vom Seligen Papst Johannes XXIII, welches Ihr hier seht, wechselt sich ab mit auf den ersten Blick realitätsnäheren Montagen, die hungernde Kinder in Afrika reich berobten Kirchenfürsten gegenüberstellen (siehe zweites Bild weiter unten). Ein Schlag ins Gesicht, versteht sich. Allerdings nur auf den ersten Blick. Dazu gleich noch mehr. Insgesamt entpuppt sich die Seite aufgrund des präsentierten Bildmaterials also als nur ein weiteres Sammelbecken für Leute, die auf irgendeine Art und Weise so ihre Probleme mit dem Papst, mit der Kirche, mit Religion haben und die daher ein paar schnelle, billige Treffer erzielen wollen mit Bildern, die den Reichtum der Kirche auf eine bequeme und polemische Art anprangern, so daß dem Einzelnen das Gewicht, sich mit dem eigentlichem Problem (Hunger in Afrika) beschäftigen zu müssen von den Schultern genommen wird, stattdessen ein Sündenbock (der Vatikan/die Katholische Kirche/die Religion) präsentiert wird, um eine Entschuldung für mangelnde individuelle Motivation zu haben ("Wenn der Vatikan so reich und böse ist, dann muß ich nix spenden. Die sollen sich erstmal ändern!"). Man könnte einwenden, daß sicherlich alle 450.000 Mitglieder dieser facebook-Ggruppe eifrig nach Afrika spenden. Wenn dies stimmt - und ich glaubte es nur zu gerne - warum scheinen diese Leute dann ein solches Problem damit zu haben, den Anteil des Vatikans am internationalen Spenden- und Hilfe-Geschäft anzuerkennen?
Sicher sind auch einige der facebook-Leute sich darüber im Klaren, daß der Vatikan nicht grade ein Waisenkind ist, wenn es um finanzielle oder andere Hilfe für die weniger Glücklichen geht. Der Vatikan ist daher mit dem Prinzip des Gebens und der Nächstenhilfe vertraut und von seiner Praxis auf den Rest der Welt schließend, tendiert er dazu einfach anzunehmen, daß man die Leute nicht mit Polemik oder Hexenverfolgungs-Strategien dazu ermuntern muß, Geld für die Armen locker zu machen. Der Vatikan geht nicht hin und sagt
"All diese selbstgerechten, selbstzufriedenen, sich selbst schmeichelnden facebook-Aktivisten, die vorgeben sich für die Armen zu engagieren aber stattdessen nur das Internet nutzen, um eine Institution lächerlich zu machen, die in der Tat für Hilfe sorgt, all diese Aktivisten sollten ihre teuren Computer oder wenigstens Zeugs, das sie nicht dringend benötigen, verkaufen und den Erlös den Armen spenden. Bedenkt man, daß die Gruppe fast 450.000 Mitglieder hat, ergäbe das schon eine hübsche Summe. Es ist schwierig zu sehen, wie Internet-Polemik und beleidigende Karikaturen den Leuten in Afrika helfen." Der Vatikan sagt so etwas nicht, da er annimmt, daß alle 450.000 Mitglieder gut genug sind, so daß sie nicht nur Wind machen und Vorurteile (wenn nicht Haß) gegen die Kirche schüren, sondern tatsächlich etwas tun. Da aber Vorurteile und Haß einen nicht geringen Teil der Gesinnungsfauna auf dieser Seite ausmachen, stellt sich die Frage: Was läuft falsch bei diesen Leuten? Warum setzen sie sich für die Armen ein und nehmen an, der Vatikan täte dies nicht? Warum verspüren sie das Bedürfnis, den moralischen Hochsitz zu erklimmen und den Papst, die Kardinäle und Bischöfe und die Kirche lächerlich zu machen? Liegt es daran, daß sie einfach nicht genug Phantasie haben, sich vorzustellen, daß es von der Kirche finanzierte internationale Hilfsorganisationen gibt? Oder liegt es einfach daran, daß sie mit dem Prinzip des Gebens nicht so vertraut sind wie mit der Währung der lautstarken Beschwerde, für die man sich Ablenkung von sich selbst und kuscheliges Gruppenfeeling angesichts des gemeinsamen "Feindes" erkaufen kann, so daß sie dieses Prinzip des Gebens daher auch nicht auf Andere anwenden können?
Der Grundton und -look der Seite vermittelt nicht den Eindruck, daß das, was dort getan wird, von echter christlicher Nächstenliebe genährt wird. Zu viel Beschimpfung, zu viel Polemik, zu viel Geringschätzung, zu viel Pöbelei. Dies verwandelt jeden Cent, der tatsächlich von diesen Leuten gespendet wird, in Blutgeld, welches man dazu benutzt, ein Gewissen weißzuwaschen, welches durch eben diese negativen Erscheinungen befleckt ist. Wenn diese Leute nur handeln, weil sie auf irgendeine Weise "heiliger" sein wollen, so ist ihre Motivation Haß oder Neid oder Stolz. Haß ist einfach das Gegenteil der christlichen Nächstenliebe, die von den Bildern auf dieser Seite suggeriert werden soll. Neid ist streng genommen die Trauer über das Glück eines Anderen und daher eine der elendigsten Deformationen der menschlichen Seele. Stolz schließlich ist am ärgsten, denn alle anderen Sünden üben sich in schlechten Werken, während der Stolz selbst die guten Werke zunichte macht.
Ich möchte hier keines der Mitglieder dieser facebook-Gruppe direkt anklagen. Mich beschleicht einfach ein übles Gefühl, wenn ich mir das Ding ansehe. Auf diese Art und Weise einen Unterschied machen zu wollen ist nicht gut. Die Gesellschaft, die Welt, wäre besser dran, wenn die Leute einfach ihre Anstrengungen in einen Pott werfen, anstatt ständig zu versuchen, zu "den Guten" zu gehören, in dem sie andere anklagen, schlechter zu sein. Macht es denn einen Sinn, einen Keil zwischen die Kirche und die Leute zu treiben, nur weil man ernsthaft das Selbsturteil gefällt hat, der bessere Mensch zu sein? Hilft es den Hungernden in Afrika, wenn Leute die Kirche verlassen, ihr finanzielle Unterstützung verweigern und somit sich dem komplexen Ganzen der christlichen Solidarität mit den Armen entziehen? Könnte man, wenn man ernsthaft an der Linderung des Hungers in Afrika interessiert ist, nicht viel mehr erreichen, wenn man sich selbst vom hohen Roß holt, schaut, was man selbst tun kann und dies dann auch tut?
Abschließend zwei Beispiele, die illustrieren sollen, warum eine Kirche, die zu einer "neuen Demut" gezwungen wird, nicht unbedingt die sparsamere sein muß:
So ziemlich jede Diözese, die nicht erst in den letzten 50-100 Jahren gegründet wurde, hat in irgendeinem Museum oder in irgendeiner Schublade ein bischöfliches Brustkreuz liegen, aus Gold gearbeitet, mit Edelsteinen besetzt, gar protzig uns schön anzuschauen. Jetzt sehe ich heute aber Dutzende von Bischöfen, die Brustkreuze tragen, an denen entweder keine Steine zu finden sind (wenn sie auch weiterhin aus Gold sind), oder die gleich aus geringerwertigeren Materialien (bis hin zum Holz) gefertigt sind. Problem: Alle diese Kreuze kosteten Geld. Die in den Schubladen waren schon da. Nach außen hin sieht ein Minus-Pektorale gut und bescheiden aus, aber das Geld für die neuen Kreuze, und wenn es "nur" 250 Euro für ein kunstvoll geschnitztes Holzpektorale waren, ist für die Armen verloren.
Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurden viele schöne Meßgewänder aus dem 17. bis 19. Jahrhundert der Verrottung überlassen. Manchmal hat man sie gar einfach auf einem Haufen zusammengetragen und verbrannt, so wie in Frankreich: "Diesen Prunk brauchen wir jetzt nicht mehr!" Nee, aber Meßgewänder braucht ihr halt schon. Also her mit bescheiden ausschauendem Polyester-Zeugs. Aber auch dies kostet Geld. Und auch dieses Geld floß dann nicht an die Armen.
Also: Selbst, wenn man die Kurie aus dem Vatikan schmeißt und sie in normale Klamotten kleidet, muß man doch noch das Geld für diese normalen Klamotten aufbringen und neue Räume für die Arbeiter und Angestellten schaffen. Alles kostet Geld. Auch das Argument, der Vatikan verschwende große Summen für Renovierungsarbeiten, zieht nicht, denn Renivierungsarbeiten sind nötig, egal ob der Vatikan jetzt der Kirche gehört, oder Dubai oder einem Großindustriellen. Das Geld wäre futsch. Selbst das Sprengen und Niederreißen des Vatikans wäre nicht rentabel. Man braucht Geld für die Arbeiten, für die Trümmerentfernung und für die Neugestaltung des Areals. Die momentane Lösung ist schlicht die einfache und preiswerte.
Wenn also diese facebook-Gruppe einen Titel hätte wie "Laßt uns 5 Millionen Euro für die Armen zusammenspenden!" anstatt "Hey! Schaut uns an! Wir sind so rechtschaffen und gut, denn wir klagen den bösen reichen Vatikan an (der zwar auch Geld für die Armen zusammenträgt, aber wer will sich schon mit ärgerlichen Details aufhalten...)", dann wäre dies nicht nur eine Hilfe für die Armen, sondern es wäre auch eine Hilfe für die Mitglieder der Gruppe, denn sie müßten nicht versuchen, gute Absichten zu simulieren, in dem sie Respektlosigkeit oder gar Haß gegenüber Anderen schüren.
[Ich habe diesen Eintrag mal mit
'68 unmaskiert zweit-getagged. Er gehört also nicht zur offiziellen Reihe, beschreibt aber typische Symptome.]