Dabei gewesen sein werden nicht so viele. Aber vielleicht weiß der Eine oder Andere doch, was es mit dem Maracanaço auf sich hat.
Wir schreiben das Jahr 1950. Die vierte Fußball-Weltmeisterschaft. Gastgeber ist Brasilien, das bei der 3. WM 1938 in Frankreich den dritten Platz belegte.
Am Ende dieser WM spielte sich ein riesengroßes sportliches Drama ab, welches Rio de Janeiro von einer Sekunde zur anderen von der Weltstadt des ausgelassenen Karnevals in ein Jammertal verwandelte.
Schon die Vorgeschichte der WM ist seltsam. Es war die erste Nachkriegs-Weltmeisterschaft. In Europa hatte auch der Fußball unter sechs Jahren Krieg gelitten, so daß es für die WM in Brasilien Absagen gab (Schottland, Türkei), Nachrück-Verzichte (Frankreich), Rückzieher nach der Bewerbung (Österreich) oder auch FIFA-Ausschluß (Deutschland). So kam es, daß bei der für 16 Teams angelegten WM mit nur 13 Manschaften antraten. Besonders lässig war das für Uruguay. Deren Gruppe war nämlich von vier auf zwei Teams geschrumpft, da die Türkei und Schottland sich beide vom Tournier zurückgezogen hatten. Uruguay mußte also nur in einem Vorrunden spiel Bolivien mit 8:0 wegblasen und konnte sich dann auf die Finalrunde konzentrieren.
Denn der Weltmeister wurde ermitteln, indem die vier Gruppensieger in einer "Jeder-gegen-jeden"-Runde gegeneinander antraten. Und was das für eine Runde war!
Am 9. Juli 1950 trennten sich Uruguay und Spanien 2:2,während Brasilien Schweden mit 7:1 pulverisierte. Vier Tage später gelang Uruguay ein knappes 3:2 über Schweden. Zur gleichen Zeit schändete Brasilien Spanien mit 6:1.
Es war also klar: Der Weltmeister wird am letzten Tag zwischen Brasilien und Uruguay ausgepielt. Für die Brasilianer war noch etwas Anderes klar: Der Weltmiester hieß bereits vor dem Endspiel Brasilien. Der Torfabrik reichte ja sogar ein Unentschieden!
Am 16. Juli 1950 öffente das Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro bereits um 8:00 in der Früh die Pforten. In Rio hatte man spontan einen außerordentlichen Karneval organisiert und der wurde jetzt einfach in die Arena verlegt. Gegen Mittag war das damals weltweit größte Fußball-Stadion (200.000 Plätze!) bereits (über-)voll.
Als das Spiel begann, war Uruguay der Underdog. Auf den Brasilianern lastete allerdings ein immenser Druck, da sie in den Zeitungen bereits als Weltmeister gefeiert wurden und außerdem jeder Spieler schon vor dem Anpfiff der Partie eine Uhr geschenkt bekommen hatte, auf deren Unterseite zu lesen war: "Den Weltmeistern".
Die erste Halbzeit des Spieles verlief torlos. Zwei Minuten nach Wiederanpfiff gelang Brasilien das 1:0 und das Stadion rastete endgültig aus. Das muß es doch nun gewesen sein!
Aber Uruguay gab nicht auf und wurde belohnt: In der 66. Minute fiel der Ausgleich. Und dann verlor Brasilien anscheinend sowohl Konzentration als auch Faden. Uruguay wurde selbstsicherer, übernahm die Kontrolle und schoß in der 79. Minute das 1:2.
Der FIFA-Präsident Jules Rimet war kurz zuvor bereits von der Tribüne hinunter in das Innere des Stadions gegangen, um nach dem Spiel den Brasilianern den Pokal zu überreichen. Rimet schrieb später ein Buch, in dem er sich an diese Momente erinnert (Quelle: Wiki):
- "Durch die Tunnel der Riesentribüne begab ich mich beim Stand von 1:1 zur Siegesfeier, um den Brasilianern die Trophäe zu überreichen. Als ich auf den Platz kam, herrschte im Stadion eine Totenstille. Uruguay hatte eben sein zweites Tor geschossen und war Weltmeister. Plötzlich gab es keine Ehrengarde mehr, keine Nationalhymne, keine Ansprache vor dem Mikrofon, keine glanzvolle Siegesfeier. Ich fand mich allein inmitten der Volksmenge, von allen Seiten bedrängt, mit dem Pokal in meinen Händen, ohne zu wissen, was ich tun sollte. Ich hielt nach dem uruguayischen Kapitän Ausschau, und überreichte ihm − fast im Geheimen − den Pokal und streckte ihm die Hand hin, ohne ein Wort sagen zu können. Später legte sich die Verwirrung. Die Menschenmenge brach langsam auf, wie wenn sie vom Friedhof käme. Funktionäre und brasilianische Spieler gratulierten den Siegern mit einer traurigen, aber zugleich herzlichen Verbeugung."
- Noch Stunden nach dem Spiel saßen Zehntausende Menschen stumm im Stadion. Das gesamte Land stand unter Schock, alle hatten sich schließlich bereits als Weltmeister gefühlt. Als die Reinigungskräfte Stunden später das Stadion betraten, machten sie eine grausige Entdeckung: Man fand vier Leichen. Drei waren einem Herzinfarkt erlegen, und ein Weiterer hatte Suizid verübt, indem er sich von der Tribüne gestürzt hatte. Uruguays Kapitän Varela ging am Abend mit dem Masseur des Teams an der menschenleeren Copacabana entlang und besuchte schließlich eine Bar, als ein hünenhafter Brasilianer die Bar betrat und ihn erkannte. Varela hatte Angst um sein Leben, doch der Mann schaute ihn nur an, bis er schließlich in Tränen ausbrach. In ganz Rio stank es am nächsten Tag nach Qualm und Rauch: Die Zeitungen, die es an diesem Tag hätte geben sollen, in denen die Brasilianer als Weltmeister dargestellt wurden, wurden verbrannt.
Eine Folge des Spiels war, dass die brasilianische Fußballnationalmannschaft bis heute nicht mehr in weißen Trikots spielte. Dies war bis zum Maracanaço die übliche Farbe. Danach wurde sie durch blau-gelb ersetzt, das heute als Symbol für die brasilianische Nationalmannschaft gilt.
Für die Spieler hatte das Endspiel auch Folgen: Aus Mitleid mit seinen Gegenspielern aus dieser Partie lud Uruguays Kapitän Varela jedes Jahr an seinem Geburtstag alle Spieler beider Mannschaften zum Essen ein.
Verteidiger Zizinho stellte immer bei Beginn einer Weltmeisterschaft sein Telefon ab, um nicht wegen des Spiels von 1950 befragt zu werden.
Am schlimmsten traf es den Torwart Moacyr Barbosa, der oft für die Niederlage verantwortlich gemacht wurde. Das restliche Leben war für ihn eine Qual. Kurz vor seinem Tod gab er im Jahr 2000 ein Interview, in dem er sagte: „Die höchste Strafe in Brasilien sind 30 Jahre Haft. Aber ich büße nun schon 50 Jahre für etwas, das ich nicht einmal begangen habe.“
Der Schütze des Siegtreffers, Ghiggia, war erstaunt, als er 50 Jahre nach dem Spiel bei seiner Einreise nach Brasilien von einer Zollbeamtin Mitte Zwanzig gefragt wurde, ob er der Ghiggia sei. Ghiggia sagte: „Ja, aber das ist doch schon 50 Jahre her.“ Sie antwortete: „Aber in Brasilien spüren wir diesen Moment noch heute!“
Den Namen Maracanaço hat dieses fußballwelterschütternde Ereignis natürlich vom Stadion in Rio. Das Stadion selbst blieb damals übrigens unbehelligt und steht nach einer Kapazitäts-Reduzierung (Stehplätze raus, Sitzplätze rein) heute immer noch groß und stolz da.
3 comments:
"Der Weltmiester hieß bereits vor dem Endpisel Brasilien."
Einfach genial!
:D
Oops...
Ist das 'ne Krankheit? Ich habe in letzter Zeit immer "Dreher", wenn ich einen Text tippe.
Wenn mir das passiert, denke ich immer, daß meine eine Hirnhälfte schneller denkt als die andere ;-)
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