Saturday, February 21, 2009

Märtyrer

Mich fasziniert die Geschichte unserer frühen Märtyrer ebenso, wie die Geschichten, die sich um einzelne Schicksale ranken. Vom Protomärtyrer Stefan, dessen Kleider nach seiner Steinigung dem Noch-Nicht-Apostel Paulus zu Füßen gelegt wurden bis zum Edikt von Mailand (313) ist die frühe Kirchengeschichte voll von interessanten Märtyrer-Figuren, wie zum Beispiel dem Heiligen Polycarp von Smyrna (+155), den Heiligen Perpetua und Felicitas (+202), dem Heiligen Cyprianus von Karthago (+258) oder dem Heiligen Vinzenz von Valencia (oder von Saragossa, +304).

Einige der Leidensgeschichten lesen sich bei aller Brutalität oft wie Erbauungsliteratur. Das Maryrium des Polycarp zum Beispiel ist nicht nur voll von Referenzen, die Parallelen zwischen dem Heiligen und seinem Herrn Jesus Christus in Verrat, Prozeß und Sterben aufweisen, sondern besticht auch durch die leidenschaftliche Vorfreude des Bischofs. Er ließ eine Gelegenheit zur Flucht bewußt ungenutzt, bewirtete seine Häscher und mahnte sogar seine Anhänger, ihn nicht etwa gewaltsam zu befreien und ihm so den größten Schatz zu rauben.

Die Geschichte der Heiligen Perpetua und Felicitas wurde von Ersterer im Gefängnis geschrieben und bis an den Vorabend der blutigen "Spiele" erzählt. Sie ist voll von symbolträchtigen Visionen, Sorgen um ihr Neugeborenes, um die mit ihr Eingekerkerten und Verurteilen und auch um einen früh verstorbenen Bruder, der ihr in einer Vision begegnet. Das Martyrium wird dann von einem anderen Zeugen erzählt. Perpetua, Felicitas und ihre Freunde werden in die Arena geführt, wo schon alle möglichen Biester warten: Leopard, Bär, Wildschwein, sogar eine "wilde Kuh", welche Parpetua auf die Hörner nahm. Letztlich wurden die beiden Frauen, nachdem sie den Friedenskuß getauscht hatten, durch das Schwert getötet.

Konstantin kam, die Christen wurden legal, die Kirche etablierte sich und klassisches Märtyrertum fand erst einmal nicht mehr statt. Neuen Aufschwung gab es mit der Missionierung neuer Welten und natürlich im Zeitalter der Reformation und der Glaubenskriege. Und als mit dem Westfälischen Frieden der herbste interkonfessionelle Radau erst einmal zu den Akten gelegt war, erhob schon die Aufklärung das Haupt und aus der "Los von Rom"-Bewegung der Reformatoren wurde die "Los von Christus"-Bewegung, die bald in die "Los von Gott"-Bewegung münden sollte. Folgerichtig wird seit 1789 christlicher-, katholischer- und kirchlicherseits wieder regelmäßig für Christus das Haupt hingehalten, sei es unter Revolutionären, unter Oligarchen, unter Anarchisten, unter Nazis oder unter Kommunisten: Für jeden ist etwas dabei.

Ich weiß nicht, wann die Rufe zum ersten Male laut wurden, aber irgendwann schauten einige Eifrige zurück in die ersten Jahrhunderte und verglichen die tapferen Männer und Frauen, die zur Belustigung des Volkes verbrannt, enthauptet, geröstet oder wilden Tieren vorgeworfen wurden, mit den wohlgenährten Mönchen, den ihre Gemeinden beherrschenden Priestern und den zufrieden, in schönen Palästen wohnenden Bischöfen und sagten sich: "Hier stimmt 'was nicht! Wir sind schlaff geworden! Uns fehlt das Kantige, der Kick, der Antrieb!"

Ich möchte diesen Stimmen aus zwei Gründen widersprechen: Erstens sind wir von Christus dazu aufgefordert, die frohe Botschaft unter die Völker zu bringen, so daß alle Menschen getauft und gerettet werden können. Richtig, wir sollen auch einander lieben, wie Er uns geliebt hat und Sein größter Liebesbeweis war, daß Er Sein Leben für uns gab. Und natürlich ist gegen Märtyrertum nichts einzuwenden. Aber es sind einfach nicht alle Leute zum Märtyrer geboren, und es muß ja auch wer übrgibleiben, der verkündet. Zweitens waren auch die vermeintlich zufriedenen und wohlhabenden Prälaten im Zweifelsfall keineswegs weinerliche Feiglinge, sondern durchaus Vorbilder nicht nur im Sterben für Christus sondern auch im Vergeben. Die Septembermärtyrer von 1792 (unter ihnen ein Erz- und zwei Bischöfe) oder die 1936 in Spanien getöteten Prälaten zeigen, daß man schnell vom Fürsten der Kirche zum Staub am Stiefel der Feinde Christi herabsinken und dabei doch erhoben werden kann.

Unter Nichtbeachtung aller mehr oder weniger legitimen Wenn's und Aber's möchte ich auch noch anfügen, daß ich eine windstill vor sich herschippernde Kirche nicht unbedingt als einen Stein des Anstoßes empfinde. Heute vermitteln die Menschen häufig den Eindruck, daß sie der Kirche auf einem spirituellen oder intellektuellen Level begegnen wollen, als Voraussetzung für eine heilbringende Kooperation im Schoße der Heiligen Mutter, deren Früchte dann aber häufig nichts weiter sind als semantische Spitzfindigkeiten oder blanke Polemik, wenn sich Höhenunterschiede auftun. Nicht, daß es nicht wunderbar ist, daß sich heutzutage so viele Menschen auf so viele verschiedene Arten über so viele verschiedene Dinge informieren können. Aber erstens verläuft die Informationsbeschaffung viel zu oft einseitig und zweitens lenkt eine latente oder offene Vanitas sehr oft vom Wege ab. Für eine Kirche, die ihr Wirken ernst nimmt, muß an einer der vorderen Stellen auch ein gewisser Quantitätsaspekt stehen. Wir picken uns die Rosinen nicht raus, sondern wir wollen, daß alle Menschen die Möglichkeit haben, das Heil zu erlangen. Also müssen alle Menschen die Frohe Botschaft hören und über die Umstände unterrichtet werden, die ihnen den Weg zum Heil ebenen oder versperren. Und da ist eine aufmerksame, ruhige und im besten Sinne des Wortes gutgläubige Schäfchenschar sicherlich der bessere Adressat. Da muß dann auch nicht unbedingt ein blindes Vertrauen in die Hirten im Spiel sein, sondern Liebe zu DEM Hirten, der uns auch liebt. So sehr, daß er nicht davor zurückschrecken wird, uns auch über die bewußt oder unbewußt gelegten Fallstricke der weniger kompetenten Hirten hinweg zu sich zu holen, vorausgesetzt, wir nehmen sein Angebot an und wenden uns nicht von "diesem Felsen" ab, auf dem die eine Kirche erbaut ist.

Denn nicht nur haben wir so die Gemeinschaft mit Ihm und untereinander, sondern wir werden vielleicht auch wieder lernen, was es heißt, Zeugnis abzulegen. In unseren noch halbwegs zivilisierten mitteleuropäischen Gesellschaften mag sich das Abschlachten zur Zeit noch auf mediale Entrüstungsstürme beschränken, die den Kopf schon rollen lassen, bevor das Gesäß zum ersten Male den Bischofsthron berührt. Aber Zeugnis ablegen muß ja nicht gleichbedeutend sein mit Blutvergießen. Man könnte sich als Bischof oder gar als ganze Konferenz zum Beispiel ja auch einfach mal hinter den Heiligen Vater oder vor einen künftigen Kollegen stellen, um zu zeigen, daß es seit zweitausend Jahren immer um mehr ging und auch heute noch geht als um vorübergehende Popularität oder die Kompatibilität jeder einzelnen Aussage mit jedem einzelnen entrüstungsbereiten Individuum.

In diesem Sinne bleibt viel zu hoffen, mehr zu wünschen und noch mehr zu tun.

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