Friday, March 06, 2009

Nach einem Tag Reflektion und Gebet...

... hat sich bei mir der Sturm gelegt. Ich hatte gestern über die Exkommunikation der Mutter einer Neunjährigen berichtet, die von ihrem Stiefvater vergewaltigt worden war und mit Zwilllingen schwanger ging, die abgetrieben wurden.

Gestern habe ich dann spät am Abend etwas Ruhe gefunden und erst einmal mein Verhalten durchleuchtet. Ich hätte meine Überlegungen gar nicht erst publik machen sollen. Ich habe es dem Erzbischof verübelt, daß die Geschichte in den Medien breitgetreten wurde, ohne überhaupt einen Gedanken daran zu verschwenden, daß die Dinge häufig viel komplexer sind, als sie auf den ersten Blick scheinen (was mir vor einiger Zeit in einem eMail-Austausch auch bestätigt wurde). Woher weiß ich denn, wieviel Überlegung, Gebet und auch Unwohlsein die Geschichte den Bischof gekostet hat? Das wird schließlich in den Medien nicht mitgeteilt. Sicher ist das Unwohlsein des Bischofs nicht mit dem Leid der Familie zu vergleichen, aber ihm in dieser Geschichte Gefühlskälte vorzuwerfen ist Blödsinn. Ich würde mich ja auch ärgern, wenn Leute meinen gestrigen Beitrag lesen und automatisch annehmen, daß alle nicht explizit dort ausgetragenen Gedankengänge und Abwägungen in meinem Kopf nicht stattgefunden haben. Zudem hat nicht der Erzbischof die Frau exkommuniziert, wie ich es der Einfachheit halber und mißverständlich formuliert habe. Die Mutter und die Ärzte haben - entsprechend dem von mir eingefügten Auszug aus dem Kirchenrecht - sich die Exkommunikation selbst zugezogen, was vom Erzbischof dann später nur noch bestätigt wurde.

Naja, letztlich saß ich da, und es blieben unterm Strich nur noch das Leben eines Zwillingspärchens und die ruinierte Kindheit einer Neunjährigen. Mach Dir da mal einen klaren Kopf. Sicher wäre ich froh, könnte ich es mir so einfach machen, wie diejenigen, die Kinder einfach zur Welt bringen und die in sie nicht direkt betreffenden Einzelfällen die mit der Zeugung und Geburt eines Kindes verbundenen Fragen nicht durchleuchten müssen. Denn diese Leute haben natürlich den Vorteil, daß sie, wenn sie einmal auf moralischer Ebene abgetastet werden, sich immer auf ihren Erfahrungsschatz berufen können, der in einer doch immer mehr empirisch ausgerichteten Welt natürlich trumpft. Da kann man jeden Satz mit "Ich habe dies und jenes..." bzw. "Ich bin X oder Y..." beginnen und hat für sich selbst die Gewißheit, gut und wahr zu sprechen. Für mich als vordergründig Unbeteiligten oder als nicht genügend Informierten oder als sich eine Meinung nicht erlauben Dürfenden oder als katholisch Vorbelasteten sitzt in jeder Richtung ein Leser, dem es egal ist, ob ich nun wegen eines abgetriebenen Zwillingspärchens oder wegen einer geschändeten Neunjährigen oder wegen einer exkommunizierten Mutter oder wegen eines mit unendlicher Schuld beladenen Stiefvaters oder wegen all dem zusammengenommen erst morgens um halb Sechs einschlafe. Wenn es nach den ganz harten Vertretern geht, darf ich wahrscheinlich den Rest meines Lebens ohne Schlaf verbringen, solange es nur aus dem richtigen - nämlich dem von ihnen gutgeheißenen - Grund geschieht. Relativierende Exkursionen, in welche Richtung auch immer, stören da natürlich, auch wenn sie nicht aus vollkommener Überzeugung geschahen sondern eher aus Unsicherheit und Ratlosigkeit stattfanden, weswegen ich mir nachträglich erneut wünsche, ich hätte den Beitrag gar nicht erst geschaltet.

Ich traf heute am Angelicum einen Dominikaner, den ich mir vor einiger Zeit als spirituellen Ratgeber und Begleiter für meine Zeit in Rom herausgepickt habe, weil er einfach auf allen Ebenen zu Hause ist, nie vorschnell urteilt, unendlich gut zuhört und immer wenigstens einen Voschlag, wenn nicht gar eine Lösung parat hat.

Durch einige harmlos klingende Fragen deckte er auf, daß meine eigentliche Wut erstens dem Vater galt, der 'nur' nach weltlichem Recht belangt werden kann, weil - soweit ich weiß - daß Kirchenrecht bei Laien keine Strafe für Vergewaltigung vorsieht. Zweitens galt die Wut meiner Hilflosigkeit, da ich natürlich sofort, als ich mit der Situation konfrontiert wurde, erkannte, daß es hier ohne Leid oder Tod nicht gegangen wäre, egal welche Entscheidung man getroffen hätte. Naja und diese Hilflosigkeit habe ich dann mal eben im Blog breitgewalzt.

Ich wünschte, der Neunjährigen wäre all dies erspart geblieben. Ich wünschte, die Mutter wäre nicht exkommuniziert. Ich wünschte, die Zwillinge wären zur Welt gekommen. Ich wünschte, der Stiefvater hätte seine Finger von der Tochter gelassen.

Ich bete für alle Beteiligten.

2 comments:

Anonymous said...

Ich sehe hier den gar nicht so seltenen Fall, daß es richtiges Handeln nicht geben kann, wenn ein so unsagbar hohes Maß an falschem Handeln voranging. Das arme Kind ist vergewaltigt worden, das kann nie mehr gut gemacht werden! Zwei Kinder sind getötet worden - auch das kann nicht mehr gut gemacht werden. Wären sie am Leben geblieben, hätte genau das für die kindliche Mutter und die Zwillinge selbst in einer Katastrophe geendet. (Ja, auch für die Zwillinge... die irgendwann hätten sagen müssen: Unser Vater ist unser Großvater, wir hätten nicht entstehen dürfen...)
Niemand wird hier eine gute Lösung haben können, zu groß ist die Verstrickung. Ich wünschte, die Kirche hätte hier Gnade vor Recht gehen lassen - ist das denn so unmöglich?

Der Herr Alipius said...

Soweit ich es verstanden habe, ist der Vater der Zwillinge nicht der leibliche Vater der Neunjährigen.

Gnade vor Recht ist natürlich nicht unmöglich. Deshalb ist die Geschichte für mich ja auch so grausam. Wie Du sagtest: Du hast zwei faktische Tode gegen eine bereits durch die ständigen Vergewaltigungen beendete Kindheit und eine höchstwahrscheinlich problematische Mutterschaft abzuwägen. In solchen Fällen wird die Kirche (die den Beginn des menschlichen Lebens mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle setzt) immer auf rohen Eiern tanzen.