Wednesday, May 23, 2007

Edel-Indie

Die Zauber-Stiefschwestern Kristin Hersh und Tanya Donelly gründeten 1981 die Frauenband "The Muses". Der "All Girl"-Anspruch wurde bald fallengelassen, aus den "Muses" wurden die Throwing Muses und nach einigen kleineren Self-Releases wurde 1986 bei 4AD das erste amtliche Album veröffentlicht.

Mann, war das ein Spaß!

Ich weiß heute noch, wie ich damals - nachdem ich die Scheibe einmal von vorne bis hinten durchgehört hatte - erstmal minutenlang regungslos vor meinem Stereo saß und dachte 'Keine Ahnung, was das da grade war, aber ich hätte nichts dagegen, in Zukunft mehr davon zu hören'. Um sicher zu gehen, legte ich die Nadel schließlich nochmal in die Rille und ließ Seite 1 durchlaufen.

Und tatsächlich: Das war Musik, wie ich sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört hatte. Jeder zweite Gedanke, der mir durch den Kopf schoß war 'Warte mal! Haben die das da grade wirklich gemacht?'

Ober-Muse Kristin Hersh zählte noch keine zwanzig Lenze, als dieses Album aufgenommen wurde. Sie litt damals an einer seltsamen mentalen Krankheit, die sie unter anderem halluzinieren ließ. Und nach nichts weniger klingen die Songs. Da werden frech Tonart und Tempo gewechselt, aber nicht nach dem Motto "Hey, kommt! Wir sind jetzt mal total avantgardistisch!" sondern so, daß es einem einfach nur kühl den Rücken runterläuft, weil es so stimmig ist. Punk, Rock, Folk, Rockabilly und Pop gehen gewagte aber funktionierende Beziehungen ein. Die Texte sind nicht immer so ganz verständlich, manchmal zu "Automatic Writing"-mäßig, aber in den besten Momenten nicht weniger als furchterregend. Und dann ist da natürlich auch noch die Stimme. Man kann Kristin Hersh wahrlich nicht nachsagen, daß sie ihre Emotionen bei der Aufnahme dieser Scheibe unterdrückt hat. Manchmal hatte ich wirklich Schiß, daß sie aus einer der beiden Boxen kriechen und mir feste an den Haaren ziehen könnte (die waren damals noch voller und länger).

Es geht eigentlich ganz hausbacken los. Call me besticht gleich zu Beginn mit einem hübschen Break, gefolgt von zickig-straffem Indie-Pop. Aber dann kommt auch schon zum ersten mal dieses leicht furienhafte Gekrächze und man weiß 'Hoppla! Hier wird mit anderen Regeln gespielt'. Zumal der Song dann ja auch gleich noch mit einer Kehrtwende zu einem ruhigeren Gewässer offiziell die Muses-Visitenkarte abliefert. Green ist ein schöner, perliger Sechsachtel auf dem Tanya Donelly als Background-Stimme klasse Akzente setzt. Und dann geht's los: Mit Hate my way und Vicky's Box folgen hintereinander zwei gnadenlos aufwühlende Songs. Hate my Way startet mit millitärisch strammen Beats, zu denen Hersh aufzählt, was sie alles hassen könnte, bevor sie dann, wenn das Stück sich zu einem melodiösen Klagelied wandelt, erkennt: "No, I hate my way!" Und die ganze Geschichte klingt kein bißchen nach plakativem und ermüdendem Selbstmitleid, sondern in der Tat nach einer leicht verstörten Seele. Gruselig. Vicky's Box beginnt als monotoner Gitarrenpop und legt nach einem hexenhaften Weckruf ein paar Klafter drauf, bis Hersh dann am Ende nüchtern feststellt "A kitchen is a place where you prepare and clean up" und man eigentlich gar nicht so genau wissen möchte, was sie damit meint. Lustig weiter geht's dann mit dem gar nicht so lustig betitelten Rabbit's dying, welches sich nach einem eher sachten Einstieg in ein herrliches Folkabilly-Gemetzel auflöst, bei dem auch die Kuhglocke mitswingen darf. Es geht weiter mit dem undurchsichtigen Gepolter von America, dem hypnotischen Fear und dem unscheinbar swingenden Stand up, bevor es dann noch mal richtig groß wird. Soul Soldier läßt einen mit seinem Stimmungsverlauf von brutal-finsterem Gitarrengewühle zu traurigem Harmoniegesang so richtig alle zurück. Und dann wird auch noch Delicate Cutters obendrauf gesetzt. Mitreißend, furchtbar und schweißtreibend demonstriert Kristin Hersh, wie die "verletzliche Songwriterin gibt zum Klang ihrer Gitarre ein Stück ihrer Seele preis"-Masche wirklich zu laufen hat. Unfaßbar gut.

Die Platte ist - vorsichtig ausgedrückt - interessant. Nüchtern betrachtet hängt sie irgendwo zwischen verrückt-genial, wunderschön-häßlich und versöhnlich-finster. Wenn ihr Mumm in den Ohren habt, dann hört mal rein.

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