Monday, June 09, 2008

Nerv!

Gerd Lüdemann ist evangelischer Theologe. Gerd Lüdemann bezeichnet sich selbst nicht mehr als Christ, ist aber "aus beruflichen Gründen" ($ € klingel € $) immer noch Mitglied der evangelisch-lutherischen Kirche. Gerd Lüdemann stürmt in diesen Tagen durch diverse Weblogs. Denn Gerd Lüdemann weiß: " Das Grab des Gekreuzigten war nicht leer."

Schön.

Die Argumentation geht ungefähr so: Paulus schrieb 1 Kor circa 55. Das erste Evangelium (Markus, wie die Gelehrten mittlerweile bestimmt haben) stammt ungefähr aus dem Jahr 70. Paulus zitiert in 1 Kor 15:3-8 eine Bekenntnisformel:
    "Vor allem habe ich euch überliefert, was ich selbst empfangen habe. Christus ist der Schrift gemäß für unsere Sünden gestorben. Er wurde begraben und ist der Schrift gemäß am dritten Tage auferstanden. Er ist dem Kephas erschienen, dann den Zwölfen, hierauf fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch am Leben sind. Einige davon sind entschlafen. Sodann ist er Jakobus und darauf sämtlichen Aposteln erschienen. Zu allerletzt ist er auch mir erschienen, der ich doch gleichsam eine Mißgeburt war."
Das Erscheinen Jesu war aber nur eine Vision. Jetzt war für den ersten Evangelisten - 15 Jahre nach Verfassung des Korintherbriefes - guter Rat teuer, als es um die Frage ging, wie Christus denn den Leuten erscheinen konnte.
    "Ach, komm, was soll's. Ich schreib einfach, daß das Grab leer war!"
Ergo: Der Auferstehungsglaube wurzelt in einer Vision, nicht in der Entdeckung eines leeren Grabes und schon gar nicht in der Begegnung mit einem wieder zum Leben erstandenen Leichnam.

Ich gestehe, daß ich trotz begonnenem Studium natürlich immer noch ein theologischer Waisenknabe bin. Trotzdem grübele ich halt mal ein wenig herum.

Erstens paßt mir folgender Satz aus dem Lüdemann-Artikel überhaupt nicht:
    "Diese von Paulus zitierte Bekenntnisformel, die in die allererste Zeit der Urkirche hinabreicht, liefert eine wichtige Einsicht: Auslöser des Auferstehungsglaubens war eine Erscheinung, ein "Sichtbar-Werden" Jesu vor Kephas. Das heißt: Kephas hat Jesus in einer Vision gesehen. Eine Vision ist ein Vorgang im menschlichen Geist und Produkt der eigenen Vorstellungskraft, obwohl Visionäre es regelmäßig anders einschätzen. Sie empfangen von außen Bilder, die Vision wirkt auf sie mit der vollen Kraft einer objektiven Tatsache."
Bull! Wenn ein Flugzeug durch die Wolkendecke bricht, wird es vor meinen Augen sichtbar, und mein Verstand sagt "Hey! Guck mal! Flugzeug!". Wenn meine Vorstellungskraft als Produkt ein durch die Wolken brechendes Flugzeug liefert, wird mein Verstand ebenfalls sagen "Flugzeug!" Wieso sollte die Erscheinung Jesu als Auferstandener in die Kategorie "Produkt der Vorstellungskraft" und nicht in die Kategorie "Realität" gehören? Das ist doch nur die Meinung des Autors, die hier ohne weiteren argumentativen Unterbau serviert wird.

Plus: Nur weil nicht sofort alle Welt sich an die Griffel stürzte und das Evangelium von Leben, Leiden, Tod und Auferstehung Christi niederschrieb, muß das noch lange nicht heißen, daß die leibliche Auferstehung nicht stattgefunden hat. Vielleicht ging es den Aposteln und den ersten Christen zuerst einmal um das Verbreiten des Wortes. Mensch, die Jungs und Mädels mußten damals doch praktisch aus dem Häuschen gewesen sein. Da lief doch garantiert 99% der Geschichte auf "Haste schon gehört"-Basis. Angesichts der erwarteten unmittelbaren Parusie war es außerdem sicherlich zielführender, herumzureisen und anweisende und ermunternde Briefe zu schreiben, als Evangelien zu verfassen. Als dann mit Parusie irgendwie doch nichts gebacken war, mußten selbstverständlich die Ereignisse schriftlich festgehalten werden. Kurzer Check bei der mündlichen Tradition: "Wie war das mit der Auferstehung? Wieso konnte Christus den Leuten erscheinen? Ach, klar: Das Grab war leer."

Jetzt sitzt da ein knurriger Theologe herum und ist angefressen, weil nicht irgendjemand so nett war, die leibliche Aufertehung unseres Herrn zu einem gefälligst opportunen Zeitpunkt schriftlich festzuhalten. Doof.

Mußte das Grab leer sein, damit Paulus glaubwürdig erscheint oder erschien Christus dem Petrus, den Zwölfen, 500 Brüdern, Jakobus und Paulus, weil das Grab leer war? Mußte das Grab leer sein, weil man doch sooo sehr auf das Reich Gottes gehofft hatte und nach der Kreuzigung einfach nicht klein beigeben wollte, oder legte Thomas seine Hand in die Wunde, weil das Grab leer war?

"Weißt" du noch, oder glaubst Du schon?

5 comments:

Anonymous said...

Lüdemann schreibt: "Menschen, die ihre fünf Sinne beieinanderhaben, führt die Einsicht in den ältesten christlichen Auferstehungsglauben unweigerlich zur Kritik an diesem Glauben." Kritik heißt: logische Prüfung; Kunst der Beurteilung. Der Text baut auf dem logischen Fehler auf, den Du so schön dargelegt hast. Mithin hat Lüdemann nach eigener Aussage nicht alle Fünfe beisammen.
Wo er Recht hat, hat er Recht.

Anonymous said...

Schön!

Allerdings stört mich die Äußerung des werten Alpius:
"Das erste Evangelium (Markus, wie die Gelehrten mittlerweile bestimmt haben) stammt ungefähr aus dem Jahr 70."

"Ungefähr 70" ist nicht präzise, da längstens bekannt ist, daß der heilige Markus in Alexandria im Jahr 67 oder 68 das Martyrium erlitt und er sein Evangelium schon vorher als Begleiter des Petrus für die Christen in Rom verfaßte! Das ist inzwischen wissenschaftlich fundiert!

Die überholte "Moderne Bibelkritik" nervt natürlich weiterhin mit ihren Unwahrheiten rum... Da gibt es auch reichlich "Gelehrte", die anderes bestimmen wollen!

Der Herr Alipius said...

Lieber "anonymous"!

Stimmt vollkommen! Ich habe grade nochmal meine Notizen gecheckt und gesehen, daß ich selbst das Datum für Markus auf ca. 65 festgelegt habe. Opps.

Vor dem Hintergrund von "Ich gestehe, daß ich trotz begonnenem Studium natürlich immer noch ein theologischer Waisenknabe bin", hoffe ich, daß sie meinen Dank für die Aufklärung akzeptieren...

Anonymous said...

Lieber alipius!

Mir schmeichelt natürlich die demütige Art ihrer Antwort sehr. (Sie lag aber keinesfalls in meinem Bestreben... ;-)
Um den vielleicht mißverständlichen Ton meines ersten Beitrags zu erklären, möchte ich erklären, daß ich nur deshalb etwas "oberlehrerhaft" reagierte, da mir die Historizität der 4 Evangelisten fast tagtäglich (auch von Katholiken!) in Abrede gestellt wird. Zum Verzweifeln manchmal.

Dafür (und für meine Anonymität ;-) bitte ich um Entschuldigung.

Und:
Herzlichen Dank für die Arbeit an und Glückwunsch zu diesem BLOG! Eine (für mich) sehr herzerwärmende Lektüre immer wieder!

Der Herr Alipius said...

Ich weiß, das kann einem schwer an die Nerven gehen, wenn alle Welt die Historizität der Evangelien anzweifelt. Geht mir auch so.

Daher habe ich mich auch ein bißchen über meinen Schnitzer geärgert. Und daher war mein Dank auch ehrlich, weil Sie mich durch Ihren Kommentar zwangen, nochmal in meinen Unterlagen nachzuschauen.

Dieses "gestern studiert, heute vergessen" ist manchmal schrecklich (kommt aber zum Glück nicht ganz so oft vor).