Morgen jährt sich zum 50sten Mal der Todestag Papst Pius' XII. Es ist jetzt schon mehr über diesen Papst geschrieben worden, als jeder normale, einer geregelten Beschäftigung nachgehende Bürger lesen kann. Zu dem Berg habe auch ich - mea culpa - in bescheidenstem Maße beigetragen.
Es ist anzunehmen, daß nun wieder eine neue Welle von Pro- und Contra-Stimmen unsere Sinne überflutet. Einen ersten Einblick in die anstehende Diskussion (die nicht nur wegen des 50sten Todestages, sondern auch und vor allem wegen der angepeilten Seligsprechung immer noch hochaktuell ist) habe ich heute in der Süddeutschen Zeitung bekommen. Hier werden im Grunde sämtliche Problempunkte der Diskussion in wenigen Absätzen präsentiert (meistens unfreiwillig).
Schon der Beginn des Artikels versetzt in Staunen:
- "War Pius, der seine Kirche von 1939 bis 1958 regierte, ein Held, der im Stillen so viele Juden wie nur möglich vor den Nazis rettete? Oder war er ein Opportunist, der zum Holocaust schwieg, ein "satanischer Feigling" gar, wie sich der Dramatiker Rolf Hochhuth ausdrückte?"
Die eigentliche Frage, die sich nach Lektüre des ersten Absatzes des SZ-Artikels stellt ist folgende: Kann ein Papst nur ein Supermann oder ein Oberschurke sein? Oder ist es vielleicht möglich, daß angesichts der internationalen Katastrophe, der Gemetzel, der Zerstörungen und der bereits einsetzenden Verfolgung der Kirche auch einem Pius XII mal für eine Sekunde die Muffe 1 zu 1000 ging und er schlicht und einfach menschlich agierte: Helfen, ohne dabei zu plappern, anzuzklagen, zu drohen oder zu greinen. Schließlich war er nicht der Mittelpukt. Mittelpunkt war ein jedes Leben, welches bedroht war aber vielleicht gerettet werden konnte. Immerhin wurden so - laut Pinchas Lapide, vor drei Jahren bestätigt von David G. Dalin - von der katholischen Kirche mehr jüdische Leben gerettet als von jeder anderen Organisation, nämlich zwischen 600.000 und 800.000. Wem das nicht genug ist, der fühlt sich wahrscheinlich daheim hinter den Seiten seiner Cromwells und Goldhagens und Hochhuths sehr sicher und wenig herausgefordert. Dort läßt sich schön ausmalen, wieviele bedrohte Leben man selbst gerettet hätte, wäre man damals dabei gewesen...
Nun, der Papst war dabei und er hätte schon mit nur einem einzigen geretteten jüdischen Leben mehr zum Lauf der Dinge und zum über seine Person gesprochenen Urteil beigetragen, als all die Nachverdauer und Wichtigtuer, all die verhätschelten und selbstgerechten Umdeuter Nachkriegseuropas zusammen.
Im Artikel folgt dann das Übliche:
- "Aber mehr Protest von seiten des Papstes..."
"Nein, siehe Niederlande 1942."
"Aber dann wenigstens Exkommunikation von Nazis schon vor dem Ausbruch des Krieges."
"Ja, klar. Hunderttausende aus politischen Gründen exkommunizieren. Das ist kirchenrechtlich super-wasserdicht."
"Aber das Schweigen...!"
"Hallo-ho! Weihnachtsansprache 1942?"
- "Nun aber geht es nicht um eine Verurteilung, sondern darum, ob Pius XII so vorbildhaft gehandelt hat, daß er selig gesprochen werden sollte."
Unterm Strich kann ich das schmutzige Gefühl nicht loswerden, daß Pius XII nur deswegen als "umstritten" gilt, weil es damals einer Riege alter machthungriger Kommunisten gut in den Kram paßte und weil sich heute eine ganze Anti-Pius-Industrie prima davon ernährt. Nicht, daß es unziemlich ist, das Leben eines Papstes zu durchleuchten und auch mal unangenehme Fragen zu stellen. Wie sich trotz unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgter positiver Urteile von (häufig jüdischen) Zeitgenossen der Nazi-Papst-Mythos bis heute halten konnte, kann nur demjenigen schleierhaft sein, der das Zusammenspiel zwischen Mediengeilheit, Selbstgerechtheit, risikofreiem Schänden verstorbener Mitmenschen und dem schnellen, schmutzigen Euro nicht erkennen will.
6 comments:
Wieder mal ein gut geschriebener, kluger und informativer Artikel. Mich ätzt es auch ziemlich an, wie heldenhaft alle selbstverständlich gewesen wären, wenn sie je in die Verlegenheit gekommen wären, Mut zeigen zu müssen…
Wie ich in einer Tyrannei gehandelt hätte, weiß ich nicht und bin sehr glücklich, es nicht wissen zu müssen.
Ich weiß. Das ist in der Tat eine beunruhigende Frage, die sich im Grunde nur durch Eintreten des Extremfalls beantworten läßt. Hoffen wir, daß uns das erspart bleibt.
o.k. ich alter Korinthenk*c*** aber zu dem
"Es mag schmerzen und nicht in das Weltbild unserer an Leistung/Gegenleistung gewohnten Gesellschaft passen, aber ein außergewöhnlicher und reich mit Gottes Gnade gesegneter Katholik kann auch schon mal aufgrund seines Vorbildcharakters in Dingen des Glaubens und der Frömmigkeit selig gesprochen werden und nicht, weil er erfolgreich den weltweiten Hunger bekämpfte, ein Mittel gegen Krebs entwickelte oder pro Woche 80 Omas über die Straße half."
kann ich nur sagen, daß ich mich da einfach auf Wunder post mortem und ihre Anrekennung durch die Kirche verlasse!
Eh klar!
Die Leute kommen immer so normativ daher, deshalb ist niemand mehr poetisch. Schaut man auf Pius, dann sieht man die poetische Gebrochenheit, das ganze Dilemma, die Ohnmacht, das Gefühl,nicht all das tun zu können, wozu man vielleicht imstande wäre. Deshalb ist Hochhuth auch nicht poetisch.
In der poetischen Sicht auf die Welt dominiert das Grau, nicht das Schwarz oder Weiß. Die Gebrochenheit, das eigene Scheitern Können (denn erfolgreich war er ja nun wirklich nicht, aber er ist dennoch prächtigst gescheitert), für all das muss man ein Gefühl haben - oder man hat es nicht und schwingt nur extreme Parolen, die niemandem gerecht werden.
*bisschen viel Senf heute, ich weiß, aber ich sehe mich als Ex-Atheistin die von Hochhuth malträtiert wurde, prächtigst gerechtfertigt* :-)
Beste Grüße nach Rom
Ist aber kluger Senf, also okay! Danke für den guten Kommentar!
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