Wednesday, April 23, 2008

Der Wind und die Lilien

Graf Giovanni Angelo Braschi regierte als Papst Pius VI von 1775 bis 1798 die Katholische Kirche. Mal abgesehen von Pius III, der im Jahre 1503 nur 26 Tage im Amt war und über den daher nicht so viel zu berichten ist, haben alle durch die Zahl Drei teilbaren Pius-Päpste von ihren Gegnern posthum oder schon zu Lebzeiten so ein richtig schönes Rufmordpaket geschnürt bekommen: Pius XII, der judenhassende Nazipapst; Pius IX, die unfehlbare Ultra-Engstirn und eben Pius VI, der eitle und tumbe Verschwender. Was diese drei Päpste ebenfalls gemeinsam haben ist, daß sie - wenn man sich die Zeit und die Kopffreiheit nimmt, sich über ihr Leben ein wenig intensiver zu informieren - in einem bedeutend besseren Licht dastehen, als man blind zu glauben verpflichtet scheint.

Über #XII und #IX will ich hier nicht viele Worte verlieren. Eugenio Pacelli ist mittlerweile ja glaubhaft exkulpiert, bzw. die Initiatoren der Schlammschlacht gegen ihn demaskiert. Und auch bei Giovanni Maria Mastai-Ferretti gibt es eine naheliegende und plausible Lesart, die seine Vita als aufrechten Kampf gegen die Feinde des Glaubens und der Kirche präsentieren, nicht als verkrampftes und engstirniges Festhalten an Dingen, die eigentlich schon seinem Griff entglitten sind.

Das Spotlight ist heute auf Pius VI gerichtet. Ich habe neulich zum ersten Mal sein Wappen gesehen. Es zeigt in der unteren Hälfte drei Lilien, die sich einem kräftigen Wind entgegenstemmen. Das Wappenmotto ist Floret in domo domini (Er blüht im Hause des Herrn).


Nun ist Pius VI aber auch der Papst, der den Gegnern des Papsttums, ja der Katholischen Kirche, zu größten und kühnsten Hoffnungen verhalf.

Im Jahre 1796 fiel Napoleon in die nördlichen Provinzen des Kirchenstaates ein. Im selben Jahr wurde ein Wafffenstillstandsabkommen unterzeichnet, welches den Franzosen Bologna und Ferrara zusprach. Pius VI trat einer Koalition gegen die Französische Republik bei, um diese Städte wiederzugewinnen. Die alliierten Armeen wurden jedoch geschlagen und mit dem Frieden von Tolentino im Jahre 1797 wurde nicht nur der Verlust der nördlichen Provinzen und Avignons bestätigt sondern auch eine gewaltige Kompensation in Gold, Silber und Kunstschätzen an die Franzosen gezahlt. Als am 28. Dezember 1797 in Rom der französische General Duphot während einer Rauferei zwischen Jakobinern und päpstlichen Garden erschossen wurde, hatten die Revolutionäre endlich eine Rechtfertigung für die Einnahme Roms. General Berthier marschierte in Rom ein, und am 15. Februar wurde vor dem Kapitol ein Freiheitsbaum erreichtet. Die Römer wurden an ihre republikanischen Pflichten erinnert und die Herrschaft des Papstes für beendet erklärt. Der Vatikan wurde bis auf die kahlen Wände ausgeräumt, Pius VI wurde aus der Stadt in ein Kloster bei Florenz gebracht und von dort im folgenden Jahr nach Valence in Frankreich deportiert, wo er am 29. August 1799 als Gefangener des Direktoriums starb. In einem englischen Buch aus dem Jahr 1799 habe ich eine wunderbar dramatische Darstellung der Ereignisse gefunden. Ich habe mal eine Passage übersetzt, welche die tonnenschwere Gemütsverfassung der Kardinäle nach dem Untergang der päpstlichen Regierung illustriert:
    "Betrachtet sie [die Kardinäle] nun, wie sie in tiefer Bedrängnis zum Vatikan, dem Zentrum ihres gestürzten Reiches, marschieren. Mit Trauer in den Augen überblicken sie all die Vestibüle und Hallen, von denen sie gewohnt waren, sie von den Ehrerbietungen einer sich verbeugenden Menge gegrüßt zu durchschreiten. Diese Kardinäle, einst so erhaben in ihrer Würde, finden sich plötzlich all der brillanten Äußerlichkeiten entkleidet, die bis zu diesem Zeitpunkt ihren Stolz berauschten. Sie begleiten mit profunden doch erstickten Seufzern die Worte der Schrift, die sie bisher nur auf den Lippen führten und deren Wahrheit sie nun - viel zu spät - erkennen: 'vanitas vanitatum, et omnia vanitas'.

    Die Herrlichkeit, der Einfluß, die Macht und der Glanz, mit dem sie die Einfachen blendeten und von dem sie selbst geblendet wurden: Alles ist erloschen. Diese Rivalen szeptertragender Monarchen werden sich fortan dreifach glücklich schätzen, wenn sie sich in einer gemeinen Masse verlieren können, um ihre Niedrigkein in einen Schild zu verwandeln, durch welchen sie sich vor den Anfeindungen derer schützen können, die wegen ihrer Erniedrigung triumphieren. Mit melancholischer Stimme erklären sie den absoluten Verzicht auf die zeitliche Herrschaft. Doch sie haben zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Periode ihrer Kalamitäten erreicht. Zuerst - bevor sie sich aus einer Stadt zurückziehen, in der sie nichts mehr zu erwarten haben als Demütigung und Verfolgung - gestattet man ihnen beim Verkauf ihrer Besitztümer zugegen zu sein. Und bald darauf sammeln sich die Sturmwolken: Die neue Regierung ist organisiert und löscht erfolgreich alle Überreste des Alten aus. Der Augenblick extremer Vergeltung ist nun gekommen und nur die Ältesten und Kranksten dürfen auf Milde hoffen...

    Nachdem der größte Teil von ihnen Beleidigung, Gefängnis und materiellen Ruin erlitten hat, eilen sie, um fern von Rom ein Asyl zu finden, in welchem sie den einzigen Segen genießen können, nach dem sie jetzt noch streben: Ruhe.
Schauder! Sic transit gloria mundi...

Die Feinde der Kirche tanzten in diesen Tagen auf den Tischen. Napoleon hatte im Falle des Todes Pius VI eine Papstwahl untersagt. Somit wurde schon offen vom Ende des Papsttums geträumt. Aber die Kirche schreibt natürlich ihre eigenen Gesetze. Pius VI hatte schon im November 1798 in der amtlichen Verordnung Quum Nos, superiori anno festgesetzt, daß, sollte er in Gefangenschaft sterben, die nächste Papstwahl an dem Ort stattzufinden hat, an welchem sich die meisten Kardinäle aufhalten. Dies war Venedig, wo nach langem hin und her am 14. März 1800 Gregorio Barnaba Cardinal Chiarimonti zum Papst gewählt wurde. Er nahm den Namen Pius VII an.

Für die Lilien des "Papa Braschi" war der Sturm zu stark. Die Kirche selbst ging aus der Katastrophe gestärkt hervor, wie ihre Erneuerung und Wiederbelebung im 19. Jahrhundert zeigt.

3 comments:

Anonymous said...

Ein richtig parasitäres Verhalten, was dieses Frankreich an den Tag legte...

Man muss aber nur sehn, wie Frankreich heutzutage zur Kirche steht. Laizismus um jeden Preis. Überall verfallende Kirchenbauten.

Anonymous said...

Vielen Dank, Alipius, besonders auch für die Wappen-Photographien. Ich habe vor Jahren mal Rankes "Päpste" gelesen (ich weiß gar nicht, warum die auf dem Index standen), aber die werden ja so ab 1700 etwas oberflächlich. Ich muß mich jetzt mal an den Seppelt-Löffler machen.

Wenn ich noch eine Kleinkariertheit anbringen darf, aber es ist eins meiner pet-peeves: das Schild weist hin, zur Verteidigung dient der Schild.

Oh, und nachdem die Staffel nun geendet hat, möchte ich mich nochmal für die Empfehlung von "Heroes" bedanken: eine der besten Serien, die ich gesehen habe.

Der Herr Alipius said...

stegi: Frankreich ist sicher (leider) kein katholisches Land mehr. Allerdings muß man eingestehen, daß die Kirchenfürsten dieses Landes vor der Revolution (und streckenweise auch danach) sich nicht immer sehr klug verhalten haben. Richtig, die Prälaten des Ancien Regime waren nicht durch die Bank die hemmungslos protzenden, den Armen gegenüber indifferenten Hofschranzen, die uns die moderne Popkultur und Pop-Geschichte gerne seviert. Aber sie waren eben doch stellenweise ein wenig zu verwöhnt, ein wenig zu wohlhabend und ein wenig zu verträumt.

Georg:
1.) Gerne!
2.) Hast ja völlig Recht.
3.) Gelle? Heroes ist ziemlich groß!