Ich weiß auch nicht, warum die zwiespältigen Biographien es mir häufig so angetan haben. Jedenfalls stand und steht Francois Joachim de Pierre Kardinal de Bernis ganz oben auf meiner Liste der historischen Persönlichkeiten, bei denen ich gerne mal Mäuschen gespielt hätte.
Gründe dafür sind die Aufs und Abs in seinem Leben, die unzähligen Anekdoten, die sich um ihn ranken, seine zugleich dreiste und doch irgendwie sympathische Bombasterei als französischer Botschafter beim Heiligen Stuhl und vor allem auch seine späte aber ehrliche Konversion zu einem Leben in Gottvertrauen und Stille.
Man stelle sich das mal vor: Da wird ein Bub im Jahre 1715 in eine traditionsreiche aber verarmte französische Adelsfamilie hineingeboren und zum geistlichen Stande bestimmt. Als ob das automatisch einen Parade-Priester hervorbringt. Ganz und gar nicht: Für den jungen Francois bedeutete der Titel "Abbé" erst einmal nichts weiter, als das Tragen einer Tonsur und schwarzer Kleidung. Auf der To-Do-Liste des komplett weltich orientierten Herrn standen ganz andere Dinge: Ein Entfliehen aus der für einen Mann seiner Herkunft unwürdigen Mittellosigkeit und das Erlangen eines Namens, der mit der Bedeutung der Familie konform geht. Das Projekt lief eher schleppend an. Zwar wurde De Bernis Mitglied in zwei Domkapiteln und aufgrund seiner schriftstellerischen (besonders dichterischen) Fähigkeiten gar Mitglied der Academie Francaise. Aber die Vita des Abbé kam erst richtig in Fahrt, als er Bekanntschaft mit der künftigen Madame Pompadour machte. Die zwei mischten für einige Jahre den französischen Hof ein wenig auf. Wenn die Folgen der Pompadourerei für Versailles auch verheerend waren, bedeuteten diese Jahre für De Bernis immerhin ein hübsches Einkommen, einer hübsche Pension und endlich den hübschen Posten des Französischen Gesandten in Venedig (1852-1755).
Hier wird der Abbé zum ersten Mal für ein breiteres Publikum erfaßbar: Der "größte Liebhaber aller Zeiten", Giacomo Girolamo Casanova de Seingalt, macht in seiner Biographie ein wenig Platz für De Bernis. Dies so spektakulär, daß der gute Kardinal der Nachwelt zum größten Teil als "der Pfaffe, mit dem Casanova ein Schnittchen teilte" in Erinnerung ist. Keine Ahnung, wie doll der Abbé es damals wirklich trieb. Es scheint, als war sein Interesse an der berühmt-berüchtigten Nonne "M.M." (wie auch später in Rom im Falle der Prinzessin Santa Croce) eher erotischer als sexueller Art. Ob De Bernis nun ein Hansdampf in allen Betten, ein verunsicherter Voyeur oder nur ein händchenhaltender Romantiker war: Ich lasse den ersten Stein mal liegen.
Für die Geschichtsschreibung greifbar wird der Abbé dann wieder in Frankreich. Sein Venedig-Auftritt wurde als ziemlich erfolgreich eingestuft und brachte ihm das Wohlwollen der französischen Krone und des Papstes ein. Hier ist (zumindest für mich, der ich kein Historiker sondern nur plumper Konsument diverser De Bernis-Biographien bin) ertsmals ein Hauch von Konversion spürbar. Wahrscheinlich erkannte der Abbé, daß eine Zukunft im Talar eine nicht uninteressante Option ist. Immerhin empfing er noch vor der Rückkehr nach Frankreich vom venezianischen Patriarchen die Weihe zum Subdiakon.
In Frankreich wartete die Beförderung zum Außenminister (1756), ein Job, der leider alles andere als glücklich verlief: Am Ende des Siebenjährigen Krieges war es De Bernis, dem der geballte Zorn des Hofes galt. Berechtigt ist dies nur zum Teil, denn die Weichen für die neue Politik wurden bereits von seinem Vorgänger gestellt und die französischen Generäle, die im Siebenjährigen Krieg kämpften, waren überwiegend Pompadour-Kreaturen und daher Looser in flotten Uniformen. Da aber der Abbé beim Aufstieg der Pompadour mitspielte, muß er sich schon den ein oder anderen Vorwurf gefallen lassen. Naja, jedenfalls wurde er vom König erst einmal vom Hof in die Abtei Vic-sur-Aisne verbannt. Normalerweise war dies für einen aufstrebenden aristokratischen Court Lizard der soziale Tod. Für De Bernis war es genau die Pause, die er brauchte.
Er schrieb, grübelte, betete, ließ sich zum Diakon und Priester weihen und wurde Vegetarier (aus Gesundheitsgründen). Der Papst war schließlich der Erste, der sich an die Verdienste des Abbé erinnerte. Er machte ihn im Jahre 1758 zum Kardinal. Der französische Hof zog dann auch nach. Der Groll Ludwigs des Fünfzehnten verflog und De Bernis wurde im Jahre 1764 Erzbischof von Albi. Hier bestach er durch ein reges Interesse an den Geschehnissen in seiner Diözese. Ich habe zwar all meine Biogrphien daheim im Stift, aber ich erinnere mich gut an eine englischsprachige Vita, in welcher der Kardinal als eine "scheinbar an allen Orten zugleich auftauchende Feuersäule" beschrieben wird. Auch nutzte er seine Jahre in Albi, um schon mal ein wenig für den Höhepunkt in Rom zu proben: Er motzte die erzbischöfliche Residenz und die dazugehörigen Gärten auf, hielt aber zugleich auch ein Auge auf die Bedürfnisse seiner Schäfchen: Als die Diözese von schweren Unwettern und Überschwemmungen heimgesucht wurde, entleerte De Bernis nicht nur seine Privatschatulle, sondern nahm auch noch Kredit auf, um zu helfen. Sprich: De Bernis erwarb sich einen anständigen Ruf, der ihm sicherlich dabei behilflich war, den Gipfel zu erklimmen: Im Jahr 1769 wurde er zum Französischen Botschafter in Rom ernannt. Mit diesem Titel waren nicht nur Ansehen und Ehren, sondern auch ein beachtlicher Haufen Extra-Kohle verbunden, so daß De Bernis, als er einmal in Rom eingetroffen war, praktisch über Nacht vom wohlhabenden Mann zum Millionär wurde.
Es steht geschrieben, daß der Kardinal in Rom die erstaunlichste diplomatischte Niederlassung der Geschichte aufbaute. Das mag stimmen oder auch nicht. Fest steht, daß er in der Tat weder Kosten noch Mühen scheute, als Botschafter Frankreichs die Liebe zu seinem Land und zu seinem König in allen Aspekten auch äußerlich zum Tragen zu bringen. Auf dem Corso wurde der riesige Palazzo de Carolis bezogen (Bild links; heute Hauptniederlassung der Banca di Roma) und ziemlich erlesen ausgestattet. Ein Heer von Angestellten und Mitarbeitern wurde eingestellt. Das Botschafteramt verbunden mit der Kardinalswürde führte dazu, daß, wenn De Bernis mit seiner Entourage in offizieller Funktion sich vom Palazzo de Carolis zum Vatikan begab, sein Treck von bis zu 14 (vierzehn) Karossen ein Umleiten des Verkehrs in Halb-Rom erforderte.
Unter den Angestellten des Botschafters ist sicherlich der Koch besonders hervorzuheben. De Bernis war ein geselliger Kerl und bewirtete an einem normalen Tag durchschnittlich 20 Gäste an der Abendtafel. Daß diese Gäste mehr wollten als Curry-Combi und Pommes-Schranke, ist klar. Und sie bekamen mehr. Noch in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts, fünf Jahrzehnte nach dem Tod des Botschafters, wurde von seiner Küche mit ehrfürchtigem Ton gesprochen, so als umwehte sie ein Hauch von Heiligkeit. Das Nobel-Futter war nicht nur Selbstzweck. Immerhin trug der Botschafter mit seiner Tafelrunde seinen Teil dazu bei, daß die europäischen Mächte sich in Form ihrer Gesandten im Palazzo de Carolis zwanglos begegnen konnten und somit eine gewisse Harmonie aufrecht erhielten.
Es gibt eine nette Anekdote über den Koch des Kardinals: Dieser wurde eines Tages beauftragt, einen besonderen Fisch (habe leider vergessen, welchen) in größtmöglicher Ausführung zu kaufen. Er fand das Gewünschte auf einem Markt und wollte schon zulangen, als der Koch des spanischen Botschafters auftauchte und ebenfalls Interesse bekundete. Nach einem kurzen "Ich bin der Koch des Botschafters von Frankreich!" - "Und wenn schon! Ich bin der Koch des Botschafters von Spanien!" folgte reges Feilschen, welches ein Ende fand, als der spanische Koch eingestand, er müsse erst die Erlaubnis seines Herrn einholen, bevor er
so viel Geld für einen Fisch ausgibt. Er trottete davon und De Bernis' Koch - an kein Limit gebunden - schlug zu. Die Menge der Schaulustigen, die sich mittlerweile angesammelt hatte, ließ darauf den französischen Botschafter spontan hochleben.
Und nicht nur im Palazzo wurde dick aufgetragen: Wenn es galt, ein Ereigniss wie z. B. die Geburt des Dauphin zu feiern, verwandelte De Bernis seine Kirche San Luigi dei Francesi (Bild) in ein Opernhaus voll von überdrehter Barock-Dekoration. Daneben war der Kardinal aber auch großzügig und spendabel, sei es im Großen (er finanzierte jährlich die Hochzeiten von Dutzenden von Waisenkindern) oder im Kleinen, wie diese Anekdote zeigt: Zum Inner Circle des Kardinals gehörte ein alter und einfacher französischer Abbé. Dieser Mann hatte im Laufe der Jahre eine gewisse Zuneigung zu De Bernis entwickelt, konnte aber die Gegenwart des Kardinals nie richtig genießen, da er aufgrund seiner sozialen Stellung bei Tisch immer viel zu weit vom Hausherrn entfernt saß. Eines Tages wurde De Bernis auf diese Problematik aufmerksam gemacht. Bevor man sich zum Speisen niederließ ging er zum Abbé und sagte etwa: "Ich kann Euch heute bei Tisch sicherlich nicht oft in die Augen schauen oder Eure Anwesenheit geziemend würdigen. Wenn ihr aber seht, daß ich meinen Finger auf diese Art an meinen Nasenflügel lege, dann wißt Ihr, daß ich in diesem Moment an Euch denke." Geigenklang und Vogelgezwitscher, aber so steht es geschrieben und - wie die Italiener sagen: "Se non e vero, e ben trovato!"
Ein Kardinal im Rom des 18. Jahrhunderts war quasi gesetzlich verpflichtet, eine Beziehung zu einer Dame der Gesellschaft zu pflegen und so für Klatsch und Tratsch zu sorgen. Tat er dies nicht, so sorgte er für umso mehr mehr Klatsch und Tratsch. De Bernis' Erwählte war die Prinzessin Santa Croce. Auch hier gibt es eine wilde und in neueren Publikation nicht mehr überlieferte Legende: Während der Papstwahl im Jahre 1775 war De Bernis der von den Bourbonischen Mächten auserkorene "Papstmacher". Erstens hatte er diese Rolle bereits 1769 gut ausgefüllt und zweitens hielt man ihn für unjesuitisch genug. Der Kardinal selbst hatte aber so gar keine Lust auf Kirchen- oder Europapolitik, schmachtete er doch gleich nach dem Betreten des Konklave nach seiner Prinzessin. Da seine Box am Ende einer der Reihen stand, ließ er kurzerhand ein Loch in eine Seite brechen und mit Tuch verhängen, so daß er nach Lust und Laune kommen und gehen konnte. Zwar wußte bald Jedermann und seine Mama vom Hintertürchen ins Paradies, offenen Widerspruch gab es aber wegen der Wichtigkeit des Französischen Botschafters nicht. Naja...
Jedenfalls lebte der Kardinal lange genug, um die Folgen der französischen Revolution selbst in Rom zu spüren. In der englischen Biographie gibt es einen netten Absatz. Beschrieben wird eine fiktive Situation, in welcher De Bernis im Jahr 1789 in seiner Kutsche durch Rom rollt. Eine gepuderte Perücke auf dem Haupt, sich aus einer juwelenbesetzten Schnupftabakdose bedienend, schaut er aus dem Fenster und sieht einen jungen Kerl mit langen Hosen und noch längerem braunen Haar. Und er weiß, daß dieser Mann auf eine Zukunft hindeutet, die er, der Kardinal, nicht verstehen wird.
Und - klar genug - so kam es dann auch: Da er Aristokrat und Prälat war und darüberhinaus sich im Ausland aufhielt, wurde er als Emigrant eingestuft, was dazu führte, daß sein Besitz in Frankreich geplündert, verschleudert oder zerstört wurde. De Bernis nahm es mit Schulterzucken und anständigem Humor. Dazu wollten die neuen Machthaber in Frankreich, wenn überhaupt, so sicherlich keinen Kardinal als Gesandten im Rom, so daß De Bernis nicht nur auf seine Einkünfte aus seiner Diözese und seiner Abtei sondern auch auf sein Botschafter-Gehalt verzichten mußte. So stieg er dann im Jahre 1791 den Hügel wieder hinab und sank von Überfluß in Mittellosigkeit (denn der Kardinalstitel alleine brachte schon damals nichts ein). Immerhin machte der spanische Hof eine Rente locker, so daß De Bernis nicht das gesamte Mobiliar des Palazzo de Carolis verkaufen mußte. Der schwächelnde Kirchenfürst gewährte den aus Frankreich geflohenen Tanten des Königs Unterschlupf in seinem Haus. Als dann im Jahre 1793 König Ludwig XVI ermordet wurde und der Kult der Vernunft den Katholizismus in Frankreich praktisch auslöschte, wußte De Bernis, daß die Welt, die er kannte und liebte, nicht mehr existierte. Da sah wohl auch der Kardinal nicht ein, warum er sich noch krampfhaft ans Leben klammern sollte. Noch grade rechtzeitig gedachte er der "Vanitas vanitatis" und verbrachte sein letztes Jahr in einem nun leeren, stillen und dunklen Palast damit, sich ernsthaft und fromm auf das Ende vorzubereiten. Er verstarb am 3. November 1794.