Ginge es auf der Welt immer mit rechten Dingen zu, dann wären die Pale Fountains so richtig groß rausgekommen. Ihr auf finsterste Art ignoriertes Debut-Album "Pacific Street" aus dem Jahre 1984 hätte bei korrekter Chart-Verabreichung den 80'er-Pop vielleicht noch grade rechtzeitig vom Killervirus der Synthie-Bläserfanfaren, Elektro-Drums, Pseudo-Funk-Bässe, Vokuhila-Frisuren und weißen Lederjacken heilen können. Allein, es sollte nicht sein, und so durfen noch im selben Jahr Jermaine Jackson und Pia Zadora ungestraft zu "And when the Rain begins to fall" herum-madmaxen. Schluchz.
Egal: Ich bin nicht hier um zu weinen, sondern um auf ein ganz besonders edles Stück Populärmusik aufmerksam zu machen. Also los. Die Vinyl-Version des Albums hat 11 Songs, eine neu herausgegebene CD-Version bringt es auf ganze 21 Tracks. Ich werde mich an meine CD halten, ein 90'er Re-Issue mit 15 Stücken.
Irgendwann im Sommer 1984 bekam ich Besuch von einem Kumpel. Der schob ein Tape in meine Anlage und meinte "Hey, bei deinem Musikgeschmack gefallen dir diese Jungs garantiert!" Ich ging noch am selben Nachmittag los und erjagte mir das Album.
Die Pale Fountains hatten 1984 die Nase ganz weit vorne. Michael Head, Oberfountain und Songwriter, schüttelt auf "Pacific Street" jede Menge Überraschungen aus dem Ärmel. Alleine die instrumentierung ist schon recht ungewöhnlich. Da findet man z. B. Trompete, Querflöte, Steeldrum und Cello. Musikalisch geht es sanft los. Der Opener Reach beginnt mit ungefähr einer Minute Bongos, Gitarrenakkorden und leisem Gesang, bevor dann die Post abgeht. Gitarre, Bass und Drums brettern durch eine klassische Upbeat-Songstruktur, die mit feinen Trompeten- und Keyboardtupfern wirkungsvoll garniert ist. Is there something I should know? fragt Michael Head im Titel und im Chorus des zweiten Songs. Yup, there is! Dieser Tune ist oberfein! Einem leich überdramatisierten Gitarrengeschraddel ("Olé!") folgt eine ganz zarte Strophe mit Perkussion, Saitengezupfe und Klaviertröpflein. Der anschließende Chorus ist reinste Wonne, mit lässigen Drums, flächigen Keyboards und Ohrwurmgarantie. Nach dem zweiten Refrain wird's dann noch schicker: Die Drums ziehen durch, ein Bass tanzt mit und Trompeter Andy Diagram legt ein zauberhafters Solo hin. Unless heißt das dritte Stück. Es beginnt mit viel Perkussion und diesen witzigen Keyboards, die irgendwie menschliche Stimmen imitieren sollen oder wollen. Dazu wird von Einsamkeit gesungen, dies aber nicht unbedingt aufgesetzt. Im Sehnsuchts-Chorus wird erneut die Trompete ausgepackt. Im zweiten Durchlauf werden dann noch ein paar Spuren Gezupfe und Sequenzer draufgesetzt, wodurch die Komposition noch an Schwere gewinnt. Das Gewicht kommt aber gleich wieder runter, wenn Southbound Excursion beginnt. Perlig gezupfte Gitarren und leichtfüßiger Gesang münden in einem zuckerreichen Refrain mit Querflöte, Cello und Schneebesen-Drums. Meine Schwester und ich nannten den Song immer das Herr-Rossi-Lied ("Ja, Herr Rossi sucht das Glück. Sucht man es, so fehlt ein Stück..."). Es folgt Natural, ein trashiges Pop-Gewitter mit bratziger Klampfe, Bar-Piano und ungefähr 35 Yeah-Yeahs und Ows zuviel, aber wer beklagt sich. Der Song geht immerhin gut ab und macht wirklich Laune. Faithful Pillow (Part I), Track #6, ist ein schönes und kurzes Instrumentalstück. Der nächste Song, (Don't let your Love) start a War, ist ein eingängiges und ambitioniertes Mini-Epos mit viel Gitarre, Hall-Trompeten und rascheligen Drums, ganz tanz- und mitsigbar. Dann kommt der Teil der Scheibe, der die Gelehrten streiten läßt. Manche Leute sagen, es geht bergab. Ich bin nicht nur nicht dieser Meinung, sondern vertrete auch die entgegengesetzte: Es geht bergauf! Zugegeben, die Lieder sind beim ersten Hören stellenweise nicht mehr ganz so eingängig und gradeheraus. Aber wenn man die Platte 24 Jahre lang besitzt und immer wieder mal anhört, dann merkt man plötzlich, wo einem die richtig guten Freunde begenen: Zwischen den Tracks 8 und 15 (wenn man die CD mit den vier Extra-Songs hat). Beyond Fridays Field startet mit anderhalb Minuten Trompete, zu der sich Gitarre und Bongos gesellen. Dann schimmern, wenn der Song eigentlich losgeht, plötzlich Steeldrums durch. Die Strophe plätschert zuerst unauffällig dahin, wird mit Zweitstimme und Flöte nochmals wiederholt, dann steigt ein "Lalala"-Chor mit ein und schon endet alles, wie es begann, mit Trompete und Steeldrums. Ich wußte zuerst nicht, was ich mit diesem Lied anfangen soll. Jetzt gehört es auf die Scheibe wie Nutella aufs Frühstücksbrot. Abergele next Time schraubt den Burt-Bacharach-Faktor hoch. Es ist ganz und gar perkussive Lässigkeit mit Piano, flirrendem Streicherzeugs, raschelnden Drums und einem prima Mitwipp-Chorus. Es geht weiter mit Crazier. Auch hier knarzen im Intro kurz die Percussions, bevor die Steeldrum das Ruder an sich reißt. Die erste Strophe ist ganz schlichtes aber wunderbar stimmiges Bass-Gitarre-Drum Handwerk, auf welches sich im zweiten Durchlauf Streicher, Keyboards und Drumbreaks pflanzen. Dann kommt ein wild gemischter Instrumental-Teil, in dem die Instrumente nicht so richtig wissen, wohin. Die letzte Strophe endet in einem Tutti-Brei, nach welchem der Song sanft ausläuft. Faithful Pillow (Part II) ist eine etwas längere und daher lohnendere Version von Part I, ebenfalls instrumental. Mit Palm of my Hand beginnt der "inoffizielle" Extra-Teil der CD. Es ist ein oberstarker Song, flott, swingend, mit frechen Trompeten-Breaks, Streicher-Watschen und prima Background-Vocals. Es schwingt irgendwie eine Lust auf Leben, Licht und Liebe mit. Keine Ahnung, wie ich es genau beschreiben soll. Geliebt wird auch im nächsten Track, Love's a beautiful place, allerdings nicht poppig-tanzbar sondern Cocktailbar-lässig mit gelengentlichem Fingerschnippen und geziemend gedämpfter Trompete. Wenn Meadow of Love beginnt, fängt man erstmal an zu meckern: "Ey! Die wiederholen sich ja nur noch!" In der Tat klingt das Lied zuerst nicht neu, sondern wie eine Mischung diverser vorangegangener Songs. Aber dann kommt zum ersten Mal diese Bridge mit den fetten Streichern, der kurze aber ohrwurmige Chorus und vor allem die Querflöte im anschließenden Instrumental-Teil und plötzlich ist es doch ein nicht nur ganz eigenes, somdern ein richtig gutes Stück, in dem später auch das Klavier ein kleines Solo spielen darf. Tja, und dann halt Thank you, welches ich ja schon einmal als Video gepostet habe (siehe Link). Barry Manilowsche Schmalzschichten noch und nöcher sollten eigentlich jeder ambitionierten 80'er-Combo umgehend die Credibility rauben. Nicht so bei den Fountains. Die ziehen das Ding gnadenlos durch und ich freu mich drüber.
Ich starte mal einen neuen Service und verlinke in Zukunft bei Plattentips immer gleich zu Amazon. Nicht, weil ich mit denen einen Provisions-Deal habe, sondern weil die Scheiben, die ich vorstelle, in der Regel nicht auf Bäumen wachsen. Wer also interesse an den Pale Fountains haben sollte, der klicke bitte hier. Der Link führt zur 21-Titel-Version des Albums. Ihr kriegt also noch mehr, als ich hier beschrieb. Achtung: Es ist ein Import und daher ein wenig kostspielig. Aber glaubt's mir, Leute: Die CD ist jeden Cent Wert!
3 days ago
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