Der Spiegel veröffentlichte in Ausgabe 19/2008 einen Bericht über
Kardinal Meisner.
Sieben Wochen zuvor gab es einen Artikel über ein
christliches Begegnungszentrum, welches die Katholische Kirche in der Türkei - am Geburtsort des Heiligen Paulus - errichten möchte.
Aus dem "Begegnungszentrum"-Artikel:
"Für den Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke etwa wäre der Bau in Tarsus 'ein überaus wichtiges Symbol'. Jaschke, in der Deutschen Bischofskonferenz für den interreligiösen Dialog zuständig, will natürlich keinen simplen Handel Kirche gegen Moschee. Aber dann fügt er listig hinzu: 'Es würde sehr der Akzeptanz der Türken in Deutschland dienen, wenn auch in der Türkei ein Zeichen der Akzeptanz der Christen entstünde'.
Seit wann ist gesunder Menschenverstand 'listig'? Und wenn Jaschkes Äußerung schon als listig gilt, wie sollen wir denn dann die Einflußnahme einer radikal-islamischen Organisation wie Hisb ut-Tahrir in deutschen Moscheen nennen? Ich hoffe, der Spielgel sieht hier des Bischofs Listigkeit als eine positive Eigenschaft, die einem schamlosen und hinterlistigen Ausnutzen westlichem Großmutes durch brettharte "Demokratie, nein danke!"-Moslems gegenübersteht. Immerhin betreibt der Artikel im weiteren Verlauf dann keine Augenwischerei, was die Toleranz in der Türkei betrifft:
"Obwohl die Zahl der Christen erheblich dezimiert wurde, wird von islamistischen und nationalistischen Kräften eine vollkommen überzogene Furcht vor 'christlicher Mission' geschürt. Sowohl der türkische Geheimdienst wie auch die Armee und die Sicherheitskräfte der Polizei verbreiten Horrornachrichten über die Christen in der Türkei. So veröffentlichten die Streitkräfte einen Bericht mit dem Titel 'Missionarische Aktivitäten in unserem Land und in der Welt', in dem vor der 'Gefahr von Konvertiten' gewarnt wurde. Gouverneure, Sicherheitschefs und Bildungsdirektoren der Provinzen wurden aufgerufen, gemeinsam gegen 'missionierende Christen' vorzugehen."
Uuuuuhhh! Die Angst geht um! Die seit 1920 im Bevölkerungsanteil der Türkei auf wundersame Art von 20% auf 0,1% zusammengeschrumpften Christen wollen missionieren! Was für'n Glück, daß wir in Deutschland bereits 3000 Moscheen haben, in denen schon dafür gesorgt wird, daß dem Kreuzfahrerpack bald die Falschheit seiner Wege vor Augen gehalten wird.
Aus dem Bericht über Kardinal Meisner:
"Im Fall des Kölner Erzbischofs hat sich der Dämon Mühe gegeben, als wollte er des Teufels Kardinal kreieren. Kaum einem anderen Kirchenmann entschlüpfen so viele Fehlleistungen. Homosexualität sei etwas, was man 'ausschwitzen' müsse, sagte er einmal. Man darf ihm glauben, dabei nicht an die Lager gedacht zu haben. Das macht es nicht besser."
Orthographische Feinheiten und berechtigten Horror einmal außen vor lassend, bin ich nur bedingt der Meinung, daß es das nicht besser macht. Denn immerhin wird hier - im Sinne eines
älteren "am-römsten"-Artikels - geoffenbart, wo das eifernde Bewahren-Wollen auch stattfindet: Der Spiegel sagt selbst, daß man dem Kardinal glauben darf, hier nicht an die Lager gedacht zu haben. Also müssen es die Zuhörer gewesen sein, die die Konnotation hineinbrachten. Wessen Verstand ist demnach mehr von vorgefertigten Konzepten blockiert? Wessen Flexibilität ist demnach stärker durch das Festklammern an überlieferte "Unwort"-Urteile gehemmt?
Oberflächlich betrachtet könnten einem diese Fragen schnuppe sein, sind wir Deutschen doch tatsächlich dazu verpflichtet, ein gewisses Fingerspitezngefühl zu demonstrieren. Wenn dann aber der Spiegel-Artikel über den Kardinal mit dem Satz
"Für die liberale Öffentlichkeit ist er ein Feindbild."
beginnt, lohnt sich weiteres Nachdenken. Wird beim "ausschwitzen" nicht, wie so oft, einfach nur auf Knopfdruck reagiert? Und wenn Meisner der Buhmann sein soll, dem man Naivität im Umgang mit der Sprache unterstellen will, sollte dann die "liberale Öffentlichkeit" nicht zumindest den ehrbaren Versuch starten, nicht selbst in die Falle der Naivität gegenüber dem gesprochenen Wort zu tappen? Ich bin mir sicher, daß Meisners Homosexualität-Urteil für viele Menschen auch ohne den Pseudo-Nazi-Beigeschmack bedenklich genug ist. Da ist es für mich entweder eine Frage der Intelligenz oder der Fairness, ob man die "Fascho"-Keule auspackt oder steckenläßt.
Wenn Ihr Euch jetzt fraget, was die beiden Artikel eigentlich miteinander zu tun haben:
"Meisner setzt sich für den Bau einer Kölner Moschee ein. Kein deutscher Bischof hat mehr für die deutsch-polnische Aussöhnung getan."
Manchmal glaube ich, daß Etiketten wie "konservativ" oder "liberal" durch weniger verallgemeinernde Bewertungen ersetzt werden sollten. Meisner ist sicherlich nicht immer auf der Höhe der Diplomatie oder der Geschicklichkeit. Aber wer ihn deswegen pauschal verdammt, enthüllt doch nur genau den Mangel an Eigenständigkeit und Flexibilität, der eigentlich uns mittelalterlichen Pfaffen vorbehalten sein sollte.
3 comments:
Ich habe vor einiger Zeit aufgehört den Spiegel zu lesen. Glauben Sie mir, es geht auch ohne.
Wees ick ooch!
Ich les den Spiegel ja nicht, weil es nicht ohne geht, sondern weil er hin und wieder ein ganz gutes Meßinstrument ist.
Oder wie Paulus sagt (1 Kor 13)
"Noch schauen wir durch den Spiegel in ein Zerrbild!"
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