Sunday, March 05, 2006

Genug gemeckert!

Ich kann mich selbst langsam nicht mehr hören.
    "Wurde auch Zeit!"
    "Na endlich!"
    "Wir dachten schon, das hört nie auf!"
Es hört nicht auf. Es wird auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
    "Ach so...?"
    "Och nö jetzt...!"
    "Menno!"
Locker bleiben, Freunde. Ich kreische hier nicht rum, weil ich aller Welt zeigen will, wie toll ich mich mit allen möglichen Leuten anlegen kann. Die Sache ist die: Ich habe mir in den letzten Jahren - ach, was sag' ich: In den letzten anderthalb Jahrzehnten - soviel Müll über die Kirche anhören, durchlesen und anschauen müssen. Ich meine, echten Müll! Nicht reflektierte, den gesunden Menschenverstand nicht beleidigende, auf Tatsachen beruhende Kirchenkritik, sondern Sätze wie: "Die Priester haben doch im Spanischen Bürgerkrieg alle eigenhändig ihre Kirchen angezündet, um die Kommunisten schlecht aussehen zu lassen." oder "Die Päpste hatten doch bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts alle Frauen und Kinder." oder "Die Kirche stand und steht doch nur auf der Seite der Reichen und Mächtigen." oder "Ganz Afrika krepiert an AIDS, weil der Papst Kondome verbietet! Hä? Was? Stimmt gar nicht? Die Länder mit dem höchsten Katholiken-Anteil haben die wenigsten HIV-Infizierten? AHA! Siehste! Klaro, daß die Kirche nichts gegen AIDS unternimmt, wenn es nicht ihre Leute betrifft!" oder "Die Kirche haßt die Frauen!"

Alles klar? Sowas durfte ich mir während der meisten Diskussionen anhören, die aufkamen, wenn ich mal dezent durchsickern ließ, daß ich praktizierender und gläubiger Katholik bin.

Naja, und irgendwann schallt es dann halt aus dem Wald auch mal heraus. Vor allem dann, wenn die, die von draußen hineinrufen, ihm erzählen wollen, welche Faben und Formen die Blätter an seinen Bäumen haben.

Aber genug davon. Ich kann Euch ja auch ganz einfach mal erzählen, wie die Farben und Formen unter anderem so ausschauen:


Also, stellt Euch das mal vor:

Ihr steht morgens auf, guckt aus dem Fenster. Kacke. Grau und Regen. Was soll's? Ein neuer Tag! "Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen." Und dann ein ganz kurzes Gebet zum Tagesbeginn. Einen Dank dafür, daß man überhaupt wieder aufgewacht ist. Oder gleich mal eine Bitte für ein besonders wichtiges Ereignis an diesem Tag. Was auch immer. Ihr werdet es schon wissen.

Nach dem Frühstück raus auf die Straße und ab zur Arbeit. Der Regen hat aufgehört, und der graue Himmel ist eine vielschichtige Wolkendecke, die unter Umständen im Laufe des Tages doch noch ein bißchen Sonne durchlassen könnte. Die Straßenbahn ist nicht ganz so voll, wie befürchtet und es gibt sogar noch einen Sitzplatz. Doch gleich an der nächsten Station kommt ein zwar rüstig dreinschauendes, aber dennoch altes Mütterchen an Bord. Ihr steht auf, bietet Ihr den Platz an und grinst ein wenig verlegen in der Gegend herum, als sie ein "Ach, watt nett! Et jibt ja dochnoch jut erzogene junge Leut!" anstimmt. Kurz vor Eurem Ziel kommt ihr an einer katholischen Kirche vorbei. Ihr macht das Kreuzzeichen, um den Heiland im Tabernakel zu grüßen. Fast alle Passagiere, die es sehen, gucken Euch verdattert an. Doch das Mütterchen zupft Euch am Hosenbein und öffnet verschmnitzt grinsend eine Hand, in der Ihr einen Rosenkranz seht, und ein ungefähr sechzehnjähriges Mädchen nickt euch fast vom anderen Ende des Wagons lächelnd zu.

Auf der Arbeit ist es dann erst mal nicht so doll. Viel zu tun, das Netzwerk hängt irgendwie und zwei von vier Druckern sind kaputt. Aber dann läuft "I can only disappoint you" von Mansun im Radio, gleich gefolgt vom "You and Me Song" von den Wannadies und der Tag kann beginnen. Zumal draußen tatsächlich die Wolken aufreißen und blauer Himmel sichtbar wird.

Kurz vor zwölf stellt Ihr Euch an ein offenes Fenster oder auf den Balkon und wartert. Dann hört ihr von der zwei Blocks weiterliegenden Kirche das Angelus-Läuten. Ihr macht das Kreuzzeichen und beginnt: "Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft...". Fünf Minuten später sitzt Ihr innerlich geduscht wieder am Platz, bittet Gott noch fix um Segen für Eure Stulle und macht erstmal Pause.

Am Nachmittag läuft es dann wie geschmiert und Ihr könnt sogar ein paar Überstunden abbauen. Feierabend um 15:00 Uhr! Yeah! Schnell ruft Ihr Eure Bekannten aus dem Norden an, die seit Mittag in der Stadt sind. "Hey! Ich hab schon aus! Kommt, wir treffen uns und ich zeig Euch ein bißchen die Stadt."

Anderthalb Stunden später steht Ihr im Dom. Die Wolken sind mittlerweile ganz verschwunden und durch die hohen Glasfenster im Chor schickt die Nachmittagssonne vielfarbige Lichtstreifen in die etwas dunkle gotische Kirche mit ihren verschämt goldblinkenden Barocktupfern. Eure Bekannten sind ziemlich platt. Klar, Euer Dom ist ja auch was ganz Besonderes. Während die beiden Nordlichter sich umschauen, kniet Ihr Euch in eine Bank und gönnt Euch ein paar Minuten der Entspannung und des Gebetes. "Wow! Guckt mal!" ruft Wiebke plötzlich und zeigt auf ein Altarblatt. "Barbeque!"

"Nicht ganz," meldet Ihr Euch zu Wort. "Das ist der Heilige Laurentius." Ihr steht auf und geht rüber. "Einer der ganz beliebten Märtyrer. Er wurde im Jahre 258 unter Kaiser Valerian zum Tode verurteilt und nach einer Folter mit Bleiklötzen und glühenden Platten schließich auf einem Rost zu Tode gebrannt."

"Ewwww!" sagt Wiebke und verzieht das Gesicht. "Voll ätzend!"
"Ja Mann," stimmt Hauke zu. "Das saugt!"

Ihr zuckt mit den Schultern. "Aber ihr wißt jetzt, wenn ihr irgendwo in einer Kirche einen Mann mit Rost seht, daß es der Heilige Laurentius ist."

"Und der hier?" Wiebke ist schon zum nächsten Seitenaltar gegangen.

"Das ist der Heilige Erasmus. Ihm wurden mit einer Winde die Gedärme aus dem Leib gedreht..."

"Uähhh!"
"Boah! Kotz!"

"... deshalb wird er auch mit einer Winde dargestellt. Das ist der Trick, an dem ihr erkennen könnt, welcher oder welche Heilige auf einem Bild zu sehen sind. Schaut nach den Attributen."

"Das ist irgendwie witzig," lacht Wiebke. "Wie ein Bilderrätsel! Komm, erklär mir die Anderen auch."

Später beim Italiener zählt Hauke nochmal auf: "Also Katharina hat ein Rad."
"Klar," stimmt Wiebke zu. "Die wurde gerädert."
"Laurentius hat einen Rost."
"Der wurde geröstet."
"Barbara hat einen Turm."
"Die konnte noch rechtzeitig türmen!" kichert Wibke.

"Hey Mann, danke für die Führung," wendet Hauke sich an Euch. "Das war nicht uninteressant. Du weißt echt 'ne Menge über diesen Glaubens-Kram."

"Nicht mehr, als die Anderen, die damit aufgewachsen sind und noch dabei sind. Das ist ja das Schöne an der Kirche: Man ist irgendwie eine Familie, teilt Erfahrungen, Wissen, Gebete, Gesten und - vor allem - teilt Glaube, Hoffnung und Liebe."

"Woah! Predigt-Alarm!"

"Locker bleiben. Ihr seid ja beide auch katholisch."

"Seltsam genug, wenn man bedenkt, daß wir aus Bremen kommen," murmelt Wiebke.

"Und ihr glaubt ja auch beide an Gott."

"Logo, irgendwie schon." Hauke zuckt mit den Schultern. "Aber dieser ganze Amtskirchenkram..."

"Lassen wir das." Ihr hebt die Hände. "Die Frage ist ja nicht, wieviele Gründe ihr suchen könnt, um eine gute Sache nicht zu tun. Die Frage ist, wann ihr soweit seid, die Gründe zu finden, die für die gute Sache sprechen. Vorschlag: Ihr kommt am Sonntag mit mir in die Messe. Da könnt ihr übrigens auch Ulrich treffen. Den kennt ihr doch noch vom letzten Mal."

"Von mir aus. Wir haben am Wochenende noch nichts geplant."

"Abgemacht," sagt Ihr. "Die Kirche bei mir schräg gegenüber. Sonntag Morgen, zehn Uhr. Gefrühstückt wird danach. Eßt vorher nichts."

"Wieso?"

Ihr grinst und zwinkert den beiden zu. "Noch so ein Ding aus der Glaubens-Kram-Kiste. Erkläre ich Euch dann, wenn es soweit ist."

Wieder zu Hause macht Ihr es Euch noch ein bißchen auf dem Sofa bequem. In der Glotze läuft irgendwie nichts Verlockendes. Naja, "Wer wird Millionär?" ist ja immer ganz interessant. Und an diesem Abend schafft es tatsächlich einer bis zur Millionenfrage! Schon klingelt das Telefon. Ulrich ist am Apparat.

"Guckst du?"
"Logo!"

"Wer war angeblich nach Petrus der zweite Papst?" fragt Jauch.

"LINUS!" brüllt Ihr unisono mit Ulrich, noch bevor die erste Antwort zu sehen ist.

"Oh Mann! Die totale Pipi-Frage!"
"Ja, echt! Her mit der Kohle, Günther!"
"Ist dir die Formulierung aufgefallen? "Wer war angeblich nach Petrus der zweite Papst?'"
"Hähä. Heidenwelt eben."
"Sonntag Messe?"
"Ja, klar. Wie wär's mit Frühstück danach? Wiebke und Hauke sind für zehn Tage in der Gegend. Die kommen auch."
"Okay. Nacht.
"Ja, Nacht. Bis Sonntag."



Okay, ich glaube, ich gehe jetzt auch Heia machen.

Alles Liebe,
Alipius

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