Sunday, March 19, 2006

Der heiße Stuhl...

Oh Mann!

Erinnert mich daran, ein ganz dickes "Nein, danke!" zu senden, wenn man mich irgendwann mal zum Erzbischof von Paris ernennen will. Der Thron der Pariser Prälaten steht historisch gesehen unter einem ziemlich unsteten Stern:

Die Gruselgeschichte beginnt mit Antoine Le Clerc de Juigné (1728-1811). Er war Erzbischof von Paris von 1781-1802, also fiel seine Amtszeit in die für die Kirche eher unselige Periode der französischen Revolution. Ungeachtet der Tatsache, daß Le Clerc de Juigne noch im Jahr vor dem Zusammentreten der Nationalversammlung seinen Haushalt aufgelöst hatte, um mit den dafür locker gemachten 400.000 Livres das Los der Armen etwas zu erleichtern, reichte natürlich die Phantsie der Revolutionäre im entscheidenden Moment nur soweit, ihn als Vertreter des ersten Standes und somit als potenziellen Feind künftiger Neuerungen zu sehen. Bei Taine kann man nicht nur nachlesen, wie im Allgemeinen der Pariser Mob der Vor-Bastille-Zeit die Deputierten der Nationalversammlung gradezu zwang, sich dem dritten Stand anzuschließen, sondern auch, wie im Besonderen Le Clerc de Juigne am 23. Juni 1789 vom Pöbel beschimpft wurde "bis er fast vor Schande niedersank" und zwei Tage später, als man seine Karosse attackierte, sein körperliches Wohlbefinden nur der Geschwindigkeit siner Rosse zu verdanken hatte, was das Volk ihm heimzahlte, indem es sämtliche Fenster der erzbischöflichen Residenz einwarf und sich erst zurückzog, als der Prälat versprach, künftig auf Seiten des dritten Standes in der Versammlung anwesend zu sein. Kurz nach Erstürmung der Bastille musste Le Clerc de Juigne aus seiner Heimat fliehen, begab sich zuerst nach Savoyen, später nach Konstanz, stets begleitet von revolutionären Hohnrufen aus Frankreich, die sich vor allem in Jacques Hebert's "Pere Duchesne" in einer mehr als derben Sprache über den Prälaten lustig machten, ihm tantenhaftes Geheul an der Brust ausländischer Höfe vorwarfen und die Drohung der Enteignung sämtlichen Besitzes als einzige Möglichkeit sahen, ihn und andere geflohene Bischöfe wieder ins Land zu bekommen. Denn wenn es ihnen an die Kasse geht, dann schwitzen die Kirchenfürsten vor Angst (wie sich ganz klar an den 400.000 Livres erkennen läßt, die der Erzbischof für die Armen gab). Später protestierte Le Clerc de Juigne dann gegen die Einsetzung des konstitutionelles Jean Baptiste Joseph Gobel als Bischof von Paris, legte aber auf Drängen des Papstes 1802 offiziell sein Amt nieder, um zur Versöhung mit Frankreich beizutragen. Er verbrachte dann den Rest seines Lebens in "bescheidenen Verhältnissen in Paris und widmete sich ganz den Werken der Caritas."

Hyacinthe-Louis de Quelen (1778-1839) war Pariser Erzbischof von 1821-1839. Also regierte auch er während einer der fünfzigtausend Revolutionen, die es in Frankreich gab. Er war Legitimist, hatte aber keine öffentliche Zustimmung für die Bourbonen ausgedrückt. Dennoch hielten die Orleans ein skeptisches Auge auf ihn. Als 1830 in Paris die schwer antiklerikale und antireligiöse Revolution ausbrach, versammelte sich am 29 Juli eine Meute vor dem erzbischöflichen Palast, die erklärte, man sei gekommen, um die 4.000 Gewehre und die Jesuiten (die zwar 1828 in Frankreich aufgelöst wurden, aber wer hält sich schon mit Details auf?) zu suchen, die im Palast versteckt seien. Es gab natürlich noch nicht mal 'ne Steinschleuder im Haus, aber wer braucht bei einer so hehren Angelegenheit wie der Befreiung des Volkes schon gute Gründe? Aus dem "Suchen" wurde dann bald ein munteres "Wer's zuerst hat, darf's behalten", als die Masse den Palast stürmte, plünderte und verwüstete. Es gingen damals nicht nur die Einrichtung des Hauses, die Kleidung des Erzbischofs, eine beachtliche Bibliothek und ein gut gefüllter Weinkeller zugrunde, es wurden auch sämtliche Gelder geraubt, neben der Privatkasse Quelen's waren dies vor allem die Gelder, die alten, kranken, behinderten Priestern, den Seminaren und den wohltätigen Einrichtungen des Erzbistums zuflossen. Der Erzbischof, der sich schon einige Tage zuvor nach dem Ausbruch der Revolution in einen geheimen Aufenthalt begeben hatte, reagierte auf den Verlust seiner Habe und die überaus störrische Haltung der Regierung, was den Schadensersatz betraf, indem er schon zwei Monate später 500 Francs an die Armen des Viertels von Notre-Dame gab. Er nahm dann eine schweißtreibende Korrespondenz mit der neuen Regierung auf, um die Mittel zu erhalten, die es ihm gestatten würden, für sich und seine Nachfolger das Palais wieder herzurichten. Es wurde schließlich eingewilligt. Allein, kaum ließ es sich im Palais wieder halbwegs wohnen, wurde in der Kirche Saint Germain l'Auxerrois ein Seelenamt für den Herzog von Berry abgehalten, bei dem einige Legitimisten etwas zu forsch auftraten. Quelen hatte dieses Amt nicht nur nicht genehmigt sondern es für unklug erkärt. Dennoch stand sein Name ganz oben auf der Liste. Und so geschah es, daß am 14. Februar 1831 wieder ungebetener Besuch im erzbischöflichen Palast vorbeischaute. Dieses Mal wollte man ganz sicher gehen. So wurde nicht nur alles Wertvolle geraubt und alles Mobiliar zertrümmert, es wurden die Fußböden herausgehauen, die Treppen zerhackt, daß Dach abgedeckt, kurz, die gesamte Residenz in Stücke gerissen. Adolphe Thiers, damals Abgeordneter für Aix, überredete die Nationalgarde, nicht einzugreifen. Die Pariser Commune sorgte vierzig Jahre später für den Ausgleich, als die die Villa Thiers' dem Erdboden gleichmachte. Zurück zum Erzbischof: Als es im Palais nichts mehr zu ruinieren gab, begab sich die Meute auf den Weg nach Conflans, wo Quelen eine private Sommerresidenz besaß. Auch diese wurde total zerstört. Dem Erzbischof war's egal, mußte er doch ohnehin ständig an geheimen Orten logieren, um nicht irgendeinem besoffenen Volkshelden zum Opfer zu fallen. Quelen organisierte das Erzbistum vorerst aus dem Dunkel, tauchte aber während der Cholera-Epedimie 1832 wieder auf, um Beistand zu leisten. Der erzbischöfliche Palast in Paris wurde im Jahre 1833 auf Befehl der Regierung ganz abgerissen. Der Briefwechsel Quelens mit der Regierung aus den Jahren 1831 bis 1833 demonstriert auf eindrucksvolle Weise, wie die neuen, der Kirche gegenüber wenig gnadenvoll getimmten Machthaber es genossen, einen Prälaten und obendrein Freund der gestürtzen Bourbonen-Könige als Spielball ihrer Launen zu haben. Zudem zeigt die Gesamtsituation dieser Jahre verblüffende Parallelen zu heutigen Vorfällen und dürfte - was die Darstellung des Erzbischofs in Flugblättern, Theateraufführungen und Zeitungen betrifft - als eine der großen und gelungenen Testphasen des Projektes "Emotionen ersetzen gesunden Menschenverstand" gelten, welches heute ja sehr erfolgreich implementiert ist.

Denis-Auguste Affre (1793-1848) war Quelens Nachfolger und Pariser Erzbischof von 1840-1848. "Och? So'n Zufall! Der hat ja nicht nur während einer Revolution regiert, sondern ist sogar in einem Revolutionsjahr gestorben!" Richtig. Ratet mal, warum? Als die guten Pariser mal wieder schlechte Laune hatten und sich an die Heldentaten ihrer Väter erinnerten, richteten sie 1848 fix einige Barrikaden auf, gaben dem König zu verstehen, daß er unerwünscht sei, plünderten (als Aufwärm-Akt für 1871) die Tulerien und schossen sich mit der Nationalgarde ein paar Projektile zu. Erzbischof Affre war der Meinung, das sein Leben "von geringem Wert sei" und er es "gerne riskiere", um den Frieden wiederherzustellen. Und so erklärte er sich am 27. Juni einverstanden, auf den Barrikaden zu erscheinen und die Menge zur Vernunft zu rufen. Kaum hatte der Erzbischof die ersten Sätze zu den Aufrührern gesprochen, war irgendwo ein Schuß zu hören, irgendjemand schrie "Verrat!", die Kugeln flogen und Affre wurde tödlich getroffen.

Nach Erzbischof Affre leitete Marie Dominique Auguste Sibour (1792-1857) von 1848 bis 1857 das Erzbistum Paris. Richtig, wenn man sich das Datum betrachtet, so kann man von einer einigermaßen windstillen Zeit reden. Aber was schert das die Irren? Am 3. Januar im Jahre 1857 leitete der Erzbischof in der Kirche St. Etienne du Mont die Feierlichkeiten zu Ehren der Heiligen Genevieve. Dort wurde er von einem abtrünnigen und offenbar dem Satanismus anhängenden Priester Namens Verger niedergestochen und verstarb. Verger war die Marienverehrung des Erzbischofs offenbar ein Dorn im Auge. Dabei hatte Sibour die Erklärung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis offiziell für inopportun erklärt, wenn er das Dogma dann auch später annahm und feierlich proklamieren ließ.

Georges Darboy (1863-1871) war Pariser Erzbischof von 1863-1871. Auch hier spricht das Datum schon für sich und auch hier haben diejenigen Recht, die jetzt denken 'Oha, der wird doch nicht...?'. Die Pariser Kommunarden verhafteten den Erzbischof am 4. April 1871 und sperrten ihn mit anderen Geistlichen in das Gefängnis Mazas. Als die Armee immer näher heranrückte und die Anführer der Kommune ihr Versagen erkannten, wollten sie wenigstens dem Feind, dem sie anders nicht mehr beikommen konnten, soviel Schaden wie nur möglich zufügen. Dieser Haltung fielen dann nicht nur unter anderem die Tuilerien, sondern eben auch der Erzbischof und die mit ihm gefangen gehaltenen Priester zum Opfer. Es waren sinnlose Morde, zumal Darboy bei der Bevölkerung eigentlich sehr beliebt war und sein Tod zu diesem Zeitpunkt niemandem etwas nutzte, außer vielleicht den Subjekten, welche das Erschießen eines Prälaten in besondere Hochstimmung versetzt.

Bilanz: Innerhalb von 82 Jahren wurden von acht Pariser Erzbischöfen drei ermordet. Einer verlor zweimal seinen gesamten Besitz und obendrein aufgrund permanenter schlechter (wenn auch maßlos einseitiger, um nicht zu sagen erlogener) Presse für lange Zeit seinen guten Ruf und hatte für längere Zeit um sein Leben zu fürchten. Ein dritter mußte außer Landes fliehen, um sein Leben zu schützen. Zugegeben: In den Jahren nach 1871 war es verhältnismäßig ruhig, wenn man mal von Erzbischof Richard absieht, der aufgrund der Trennung von Kirche und Staat im Jahre 1905 aus seiner erzbischöflichen Residenz geschmissen wurde. Trotzdem scheint mit der Erzbischofssitz von Paris eine recht gespenstische Angelegenheit zu sein.

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