Monday, March 06, 2006

Gedanken zum "Vandalismus"

Grüßt Euch!

Um es gleich mal vorwegzunehmen: Der von Abbé Grégoire im Jahre 1794 erstmals im Zusammenhang mit sinnloser Kunstzerstörung verwendete Begriff "Vandalismus" hat offenbar weniger mit den Vandalen zu tun, als man annehmen sollte. Dies nur, um den Ruf der Jungs zu schützen.

Trotzdem existiert dieser Begriff. Und ich denke, wir alle haben eine gewisse Vorstellung davon, was er bedeutet. Heutzutage wird oft schon von Vandalismus gesprochen, wenn man ein häßliches Graffiti an einem häßlichen Gebäude sieht, wenn irgendwo im Park zwei Bänke liegen, wo sie eigentlich stehen sollten oder wenn einem Mercedes-Benz das Kühlerhaubengütesiegel fehlt.

Ich bin ein ganz großer Liebhaber von Sakral- und Profanbauten des 18. Jahrhunderts. Das ist keine große Neuigkeit. Während meiner kleinen privaten Nachforschungen der letzten Jahre habe ich zu meiner nur mäßigen Begeisterung eine ziemlich lange Liste barocker, spätbarocker und rokokoiger (Was is'n das Adjektiv von "Rokoko"?) Kirchen, Klöster, Paläste und Schlösser zusammenstellen können, für die heute das Motto gilt: "Wie Sie sehen, sehen Sie nichts."

Für mich macht es an dieser Stelle einen Unterschied, ob ein Schloß restlos verschwunden ist, weil
    a) es ein Erdbeben oder einen Blitzeinschlag mit anschließendem Großfeuer gab,

    b) in irgeneinen Krieg eine Bombe drauffiel oder eine Granate hineinflog oder

    c) ebenfalls in einem Krieg oder während einer Revolution Soldaten oder Aufständische sich zuerst in dem Schloß austobten und ihm dann später, als es bis zur Unbewohnbarkeit verwüstet war, den roten Hahn aufs Dach setzten oder es einfach dem Verfall oder Abriß überließen.

Der Vandalismus des letzten Beispiels ist der Punkt, der mich immer wieder beschäftigt und über den ich hier ein wenig plaudern möchte. Ich konzentriere mich dabei auf die Profanbauten, weil ich die privaten Schicksale in diesem Zusammenhang interessanter finde, und auf die Französische Revolution, weil die routinemäßige Zerstörung von Schlössern, Palästen und Villen wohl damals mit dem "Guerre aux châteaux, paix aux chaumières!" der Revolutionäre begonnen hat, welches 1834 von Büchner im Hessischen Landboten als "Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" aufgegriffen wurde. Klar, auch vorher ging es streckenweise ganz schön zur Sache, aber den ideologischen Unterbau bekam die Geschichte wohl erst damals durch diesen Spruch. Es waren dann ja auch erstmal die Franzosen, die von den fackelnden Landsitzen der "Großen Furcht" im August 1789 bis zum Einäschern der Tuilerien im Mai 1871 immer entweder mit Gewehren auf den Barrikaden oder mit Äxten, Heugabeln und Säbeln in den Gemächern der Reichen und Aristokraten zu finden waren. Und dies nicht nur im eigenen Lande.

Ich erinnere mich an einen Zeichentrickfilm, den ich als Kind einmal sah. Ich weiß nicht mehr, wie er hieß und um was es genau ging. Ich erinnere mich aber an eine Szene, in der Kinder in einer Art Vergnügunspark unterwegs waren, in dem es alles gab, was ein Kind sich so wünscht. Unter anderem eine große, prachtvolle Villa, die mit all dem Luxus vollgepfropft war, der eben hineingehört. Und die Kinder durften nun in dieser Villa alles verwüsten. Sie taten es mit ausgelassenem Gequieke und jeder Menge Energie. Hier schleuderte ein Bub eine riesige Porzellanvase aus dem Fenster, dort rissen zwei Mädels seidene Vorhänge in Fetzen, die ganze Palette eben. Ich saß vor dem Fernseher und dachte: "Cool! Da muß ich hin, wenn ich das nächste Mal eine fünf in Mathe kriege!"

Jahre später las ich dann diverse, teilweise ziemlich detaillierte Berichte aus den ersten Wochen der französischen Revolution. Und da fand ich das Ganze dann schon nicht mehr so cool. Es ist eine Sache, in einem extra für diesen Zweck errichteten Gebäude - wenn es ein solches denn gäbe - die Sau rauszulassen. Es ist eine ganz andere Geschichte, wenn man vor den ungläubig starrenden, um ihr Leben bangenden Bewohnern eines zierlichen Rokokoschlößchens deren ganze Habe in Fransen und Späne verwandelt und zu guter Letzt auch noch alles anzündet. Mir geht's hier nicht um den "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"-Aspekt der ganzen Geschichte und darum, ob ein halb verhungerter Bauer das Recht hat, sich am Besitz eines wohlgenährten Aristokraten auszutoben oder nicht. Die Frage wird spätestens dann zu komplex, wenn man sich überlegt, daß zum Beispiel auch Adlige, die vorbildlich für ihre Untertanen gesorgt haben, nicht nur ruiniert, sondern manchmal auch umgebracht wurden. Oder wenn man sich fragt, warum der Begriff "Gerechtigkeit" im Revolutions-Slogan keinen Platz gefunden hat.

Aber zurück zum Thema. Ich stelle mir jetzt mal so einen armen Bauern im späten Juli des Jahres 1789 vor. Der hört plötzlich, daß es gegen die Aristokraten und die Prälaten geht, und das nicht zu knapp. Also schnappt er sich seine Heugabel und geht mal mit den Anderen mit. Zum Schloß des Marquis de Soundso. Dieser hat noch nicht so richtig kapiert was los ist und sitzt in einen üppigen seidenen Hausrock gehüllt wohlbeleibt und hochzufrieden bei leichter Lektüre in einem der Gemächer seines Schlosses. Als ein Diener reistürmt und den ungebetenen Besuch meldet, ist es bereits zu spät. Die Bauern nehmen die Bude ein und der Herr Marquis versucht es erst einmal mit der "Wie können sie es wagen!"-Nummer. Tja, und jetzt steht das Bäuerlein da und hat den Dicken direkt vor der Nase. Dreimal so breit wie er, mit einem tonnenschweren Klunker am Finger, wallendem Seidenrock, edlem Spitzenhemd, schnallengezierten Schuhen und einer gepuderten Perücke auf dem Kopf. Und das Beste: Ihm rinnt der Angstschweiß nur so über das Gesicht. Dann schaut mein Bauer sich etwas im Zimmer um und sieht Dinge, von denen er bis zu diesem Tage immer nur gehört hat. Weiche Polster und Kissen. Verschnörkelte und vergoldete Möbel. Bunt bemaltes Porzellan. Riesige Gemälde. Marmorne Büsten. Seidene Tapeten und Vorhänge.

Na klar kann ich verstehen, daß der Junge nun so richtig in Fahrt kommt und seinem Herrn mal zeigt, wie Vergänglich alle Pracht ist. Aber warum? Fühlt er sich durch den Glanz provoziert? Kennt er seinen Herrn persönlich und hat mit ihm noch eine Rechnung offen? Findet er das Geheule und Geflehe des Marquis klasse, der hilflos beim Untergang seines Schlosses zusehen muß? Genießt er es, für ein paar Minuten mal der Boss zu sein? Oder möchte er, daß alles so wird wie er: Schmutzig, ärmlich, unordentlich, häßlich, kaputt?

Ich habe nicht die geringste Ahnung. Und ich bedauere diese Art von Vandalismus zutiefst. Nein, das bedeutet nicht, daß mir die Armen und Unterdrückten damals schnuppe sind und daß ich ihnen hier eine Schuld in die Schuhe schieben will. Im Gegenteil. Ich bedauere die Kurzsichtigkeit und Verantwortungslosigkeit der damals Herrschenden, die tatsächlich so blöd waren zu glauben, es könnte ohne Reformen immer so weitergehen. Aber genau wegen dieser Ignoranz tun sie mir auch so leid. Sie wachen morgens auf und nichts ist mehr, wie am Tage zuvor. Es ist Krieg. Krieg auf eigenem Boden. Krieg gegen sie, die Ersten im Lande, die Vornehmen, die Reichen und Schönen. Und dieser Krieg richtet sich nicht nur gegen sie als Stand, sondern auch gegen sie als Individuen und somit gegen alles, was sie von der Masse abhebt: Prachtvolle Schlösser, goldene Kutschen, seidene Kleider, all das muß nun weg, sei es aus Zorn, aus Vergnügen, aus Zerstörungslust, aus Rache. Und die ehemaligen Besitzer all dieser Pracht werden aus ihren Träumen, ihren Elfenbeintürmen, ihren Wolkenkuckuksheimen gerissen und finden sich im Staub der Straße, auf der Flucht oder im Gefängnis wieder.

Brrr, schaurige Zeiten für kultivierte und verwöhnte Adelsgeschöpfe. Als Kontrast gibt's ein paar Bilder mit Szenen aus dem Leben derjenigen, denen es damals leider ein wenig zu gut ging:



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