Was mag wohl in den Köpfen der Leute vorgegangen sein, die im Mittelalter am Bau einer der gigantischen, wunderschönen, gotischen Kathedralen in Frankreich beteiligt waren?Von der Grundsteinlegung bis zur Weihe vergingen nicht selten Generationen. Da wußte jeder der anfangs Beteiligten, daß er die Vollendung nicht mehr erleben kann. Der Architekt, der Steinmetz, der Schnitzer, der Glaser, ja, selbst das Domkapitel und der hochmächtige Herr Bischof wußten, daß sie nur etwas anstoßen, daß sie in der Tat nur den "Grundstein legen".
Warum dann überhaupt anfangen?Weil es nicht um den Architekten, nicht um den Steinmetz, nicht um den Glaser, ja, nicht einmal um das Domkapitel und den hochmächtigen Herrn Bischof ging. Es ging um Gott. Es ging um Glaube, Anbetung, Verehrung, Geheimnis. Es ging um eine anhaltende Form, um eine - aus menschlicher Sicht - halbwegs würdige Antwort auf den unwiderstehlichsten und drängendsten aller Rufe. Es ging um ein Guckloch ins himmlische Jerusalem, um die Messerspitze der Andeutung einer Ahnung, was uns einst erwartet. Es ging um die größtmögliche, die manchmnal unmögliche gemeinsame Anstrengung im Hinblick auf das gemeinsame Ziel. Wie in einer guten Ehe durfte man sich auch beim Bau einer Kathedrale nicht durch die läppischen Nebengeräusche menschlicher Unzulänglichkeiten vom Weg abbringen lassen, sondern mußte, Einer mit dem Anderen, den Blick auf Gott gerichtet haben, um, Einer mit dem Anderen, nicht zu vergessen, warum man im Schweiße seines Angesichts (die Arbeiter) oder unter ständig sich ausdünnendem Nervenkostüm (Architekten und Bischöfe) sich auf das Unternehmen eingelassen hat.
Manchmal wurde nur ein wenig an den Statuen und den Bischofsgräbern herumgehackt. Manchmal wurden nur die Sakristeien ausgeräumt. Manchmal kam's auch äger. Die Kathedrale von Arras, gerühmt als einer der schönsten gotischen Bauten Frankreichs, wurde gänzlich abgerissen. Der Beschluß, die Kathedrale von Chartes zu sprengen, war schon gefällt. Die Sprengung fand dann doch nicht statt. Grund: Zuviel Geröll in den Straßen. Revolutionäre haben nichts gegen üble oder unangenehme Früchte, solange sie nicht zu ihren Lebzeiten zu ernten sind. Wenigstens hat das einem der beeindruckendsten Gotteshäuser vorläufig erstmal das Leben gerettet.Wir können warten und dennoch tätig sein. Den Lohn gibt's ohnehin erst viel, viel später...


1 comment:
Das zu lesen fand ich sehr erbaulich :)
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