Heute auf dem Weg zur Uni fiel mein Blick auf die neue "Spiegel"-Ausgabe.
"Gott ist an allem Schuld!" heißt es da auf dem Titelblatt. Als zweite Überschrift dann gleich ein dicker Lacher, der sich prima mit meinem letzten Atheismus-Artikel deckt: "Der Kreuzzug der neuen Atheisten".
Also doch: Atheismus ist eine Religion!
Unten auf dem Titelblatt gibt es diverse Greuel- und Katastrophen-Abbildungen. Unter anderem sieht man einen Atompilz und das berühmte "Vietnam Napalm" von Huynh Cong. 'Schlimm!' schoß es mir durch den Kopf. 'Hätten diese bösen Priester doch nur auf die Warnungen der aufgeklärten Wissenschaftler gehört und diese schrecklichen Waffen nicht entwickelt!'
Naja, in der Uni also nix wie ab in die Cafete, einen Doppio bestellt, im Inhalt nach der Titelgeschichte gesucht (Seite 56) und das Blatt dort aufgeschlagen.
Und gleich der nächste faustdicke Kracher: Auf der linken Seite unter der Überschrift "Kreuzzug der Gottlosen" drei jeweils eine Spalte breite, ungefähr ein Seitendrittel hohe Photos: Michel Onfray, Piergiorgio Odifreddi und natürlich der Michael Moore des Atheismus, Richard Dawkins. Die drei Ober-Atheisten sind mit seitlich einfallendem Licht mystisch finster in Szene gesetzt und haben eine krampfhafte "Jetzt bloß nicht lächeln, sonst ist mein Ruf als intellektueller Gotteskiller hin"-Miene aufgesetzt.
Und auf der gegenüberliegenden Seite? Papst Benedikt XVI., ganzseitig! Man kann dem Heiligen Vater ja nicht immer Photogenität nachsagen. Um so erstaunlicher das Bild: Vor dem unscharfen Hintergrund einiger Kardinäle im Petersdom steht der Papst in der unteren Bildhälte rechts leicht zur Seite gewandt. Die rechte Hand ruht auf der Brust, die den Hirtenstab haltende Linke ist schon nicht mehr auf dem Bild. Der Blick geht ein wenig versonnen in die Ferne und den Mund umspielt ein wunderbares winziges Lächeln. Ein Kontrast zu den drei Frust-Tüten auf der linken Seite, wie er stärker nicht sein kann.
'Hallöchen!' dachte ich mir da schon. 'Was wollen uns die Spiegel-Macher denn damit sagen? Oder haben sie das vielleicht gar nicht gemerkt und ich lese viel zuviel hinein? Naja, mal weiterblättern'.
Und siehe da: Für diejenigen, denen die Botschaft auf der Vorseite ein wenig zu subtil gewesen sein mag, wird hier der Hammer ausgepackt: Auf der linken Seite in einem Spaltenphoto die neue Atheisten-Hoffnung aus den USA, Christopher Hitchens. Er hält in der rechten Hand eine Sonnenbrille und ein leeres Weinglas und schenkt uns einen leicht bedrohlichen "Füll nach oder es gibt auf die Zwölf"-Blick. Und auf der rechten Seite? Viermal so groß ein Photo von irgendeinem religiösen Großereignis in den USA. Im Bild: Ein appetitliches junges Geschöpf weiblichen Geschlechts, welches mit geschlossenen Augen und verträumter Miene die Arme gen Himmel reckt.
Und falls das schöne Papst-Photo während der Lektüre des Artikels in Vergessenheit geraten sein sollte, gibt es dann auf der vorletzten Seite noch ein Photo des Kirchenhistorikers Monsignore Brandmüller. Ein 78-jähriger, apfelwangiger, silberhaariger Herr, der mit seinem verschmitzt-lieben Opi-Lächeln mit Sicherheit niemanden davon überzeugen kann, daß Gott nicht existiert.
Ich wußte natürlich auch schon vor dieser Spiegelausgabe, daß Christus lebt und daß unsere Religion schöner, leichter, humorvoller, freundlicher und befreiender ist als Atheismus. Daß ausgerechnet der Spiegel diese Ansicht fördert, finde ich schnieke.
Der Artikel selbst ist nicht wirlich langweilig, kommt aber auch nicht so richtig aus den Puschen. Richard Dawkins entpuppt sich einmal mehr als etwas zu selbstgefällig, Onfray scheint über das Katholische Verständnis vom Leben sowohl vor als auch nach dem Tode erstaunlich schlecht informiert, wenn man bedenkt, daß er doch einer ist, der gegen die Religion in den Ring steigen will. Immerhin kann man aber selbst im Text - vor allem zu Beginn - zwischen den Zeilen hin und wieder ein bißchen Befremdung wenn nicht gar Amüsiertheit über die Atheisten lesen.
Klasse, lieber Spiegel! Danke schön! (Und das meine ich Ernst)
1 week ago