Saturday, January 21, 2006

Vorsicht, deutsch!

Grüß Gott aus dem sonnenbeschienenen Rom!

Aus gegebenem Anlass (ein Beitrag in einem Online-"Kaufberatungsforum", der mir heute über den Weg lief und den ich weiter unten streckenweise zitieren werde) bringe ich hier ein Thema zur Sprache, welches mich aufgrund einer einschneidenden persönlichen Erfahrung seit langem beschäftigt:


"Deutsche waren nicht an Bord!"

Es ist schon einige Jahre her. Ich fuhr mit drei anderen Leuten (meinem besten Freund und einem schwulen Pärchen) von irgendeiner Party im Ruhrgebiet zurück nach Düsseldorf. Das Radio dudelte vor sich hin und irgendwann kamen die Nachrichten. Gleich die erste Meldung informierte uns über einen Horror-Flugzeugcrash irgendwo bei der Dom.-Rep.: "Alle Insassen kamen ums Leben. Deutsche waren nicht an Bord." hieß es dann.

"Mann, da haben wir ja nochmal Glück gehabt!" meckerte der Beifahrer in ironischem Ton.

"Ich weiß. Ich find' das auch immer so bitter!" zischte mein bester Freund, wobei er das "bitter" ausspuckte, als schriebe es sich mit "p" und acht "t".

Ich zog vorsichtshalber meinen Kopf ein und wartete auf die "Das Herrenmenschentum erhebt erneut sein häßliches Haupt"-Beschwerden oder die "Das vierte Reich wirft seine Schatten voraus"-Prophezeihungen.

Es blieb dann aber ruhig. Wahrscheinlich war man zu sehr damit beschäftigt, betroffen zu sein. Naja, mir blieb also Zeit und Stille, nachzugrübeln. Aber egal wohin ich auch dachte, es gelang mir einfach nicht, mich in den an Bord vorherrschenden Geist einzuklinken. Doch dann hatte ich plötzlich die rettende Idee: Jeder Sender, der über die Katastrophe berichtet, muß vorher einfach nur sämtliche mit Telefon versehenen Haushalte in Deutschland anrufen, sich erkundigen, ob ein naher Verwandter oder guter Freund vielleicht momentan im Katastrophengebiet Urlaub macht und plant, um den fraglichen Zeitpunkt herum die Rückreise anzutreten. Dann kündigt man die Berichterstattung an und beruhigt sogleich die Betroffenen: "Keine Panik. Er/Sie war nicht an Bord!" Ich meine, das ist doch wohl ein angemessener Preis, wenn man bedenkt, daß man sich so nicht den Vorwurf der Diskriminierung gefallen lassen muß, den ein sich in Deutschland aufhaltender und der Landessprache mächtiger Ausländer machen könnte.

Woher diese Hysterie stammt? Ich habe nicht die geringste Ahnung. Drei Theorien drängen sich auf:

    1.) Man ist halt Deutscher. Da schleppt man eine historische Extralast mit sich rum, die erst mal bewältigt werden will. Genehmigt. Wo aber die so oft beschworene Vergangenheitsbewältigung in Gegenwartsverzerrung mündet ist Vorsicht geboten. Denn auf der Basis blanken und irrationalen Selbsthasses konnte noch keine Kultur gedeihen, geschweige denn der Welt irgendeine Schuld zurückzahlen.

    2.) Vor dem Hintergrund randalierender Neo-Nazis will jedermann zu jeder Gelegenheit demonstrieren, wie weit er sich von den von ihnen vertretenen Inhalten distanziert. Auch genehmigt. Aber wenn das ganze nur plumper Automatismus ist und man es selbst in einem Auto, in dem sich ein bester Freund und ein schwules Pärchen aufhalten, für nötig hält, wegen einer Nachrichtenzeile, die nur zur Beruhigung möglicherweise direkt Betroffener dienen soll, sich den "politisch absolut unanfechtbar"-Sticker anzukleben, dann fehlt mir persönlich da der Nährboden.

    3.) Man wuchs in einem "Deutsch = Böse"-Klima auf, sei es in der Familie oder in einem speziellen Kreis von Bekannten und Freunden. Da kommen solche Reaktionen natürlich wie auf Knopfdruck und entbehren grade deswegen so oft der Logik.


Und hier jetzt also der Beitrag aus dem Internet (1 zu 1 übernommen, also meckert nicht, wenn Fehler drin sind):
    "Als es im November letzten Jahres zum Seilbahnunglück am Kitzsteinhorn kam, hörte man immer wieder Meldungen in der Art von "Es sind 170 Menschen ums Leben gekommen, darunter 37 Deutsche". Oder "Bei dem Flugzeugabsturz in Südamerika überlebt kein einziger Insasse. Deutsche waren nicht an Bord." Ah ja, na Gott sei Dank, so lange es keine Landsleute getroffen hat, ist ja alles in Ordnung. Oh, aber am Kitzsteinhorn, da waren 37 Deutsche dabei, man da ist aber Trauer angesagt. WAS SOLL DAS??? Muss denn bei einer Katastrophe unbedingt jemand ums Leben kommen, der die gleiche Sprache wie ich spreche, damit ich mitfühlen kann? Das ist doch wirklich dämlich. Überlegt euch doch mal, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich einen der Verunglückten kenne, selbst wenn er aus Deutschland kommt. Also, wieso sollte es mich dann interessieren? Wie abgebrüht und verroht sind wir denn, dass die Nationalität eines Opfers eine Rolle spielt?"

Hmm, keine Ahnung. Ich wäre viel lieber auch so abgebrüht und verroht, daß ich nur meine Panik vor politischer Fehleinstufung sehe und nicht die Sorgenfalten einer vor dem Radio sitzenden Mutter, die weiß, daß ihr Kind momentan im fraglichen Gebiet Urlaub macht und an einem dieser Tage zurückfliegen wollte. Blöderweise kommt mir da immer mein Verstand in die Quere.


Alles Liebe,
Alipius

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