Tuesday, July 14, 2009

Jeder Meinung ihre Freiheit

Der von mir ja bekanntermaßen nicht unverehrte Kardinal de Bernis (1715-1794), in Aufstieg, Glanz, Schwerenöterei, Ruin und Läuterung ein echtes Kind seiner Zeit, wird von einem seiner Biographen (Marcus Cheke) als "waschechter Reaktionär" bezeichnet. Immerhin erkannte seine Eminenz bereits vor rund 250 Jahren: "Es ist eine Schande, daß heutzutage jedermann lesen und schreiben kann!"

Diesen Spruch lasse ich nun unkommentiert stehen und hänge nur noch schnell folgenden Leserbrief aus der österreichischen Tageszeitung "Die Presse" an, welcher zur neuen Sozialenzyklika des Papstes Stellung bezieht:
    "In seiner jüngsten Enzyklika fordert der deutsche Papst mehr Ethik im nationalen und globalen Wirtschaftsleben. Dabei scheint er nicht zu merken, daß er zweierlei Maßstäbe anlegt: Wo war das ethisch verantwortbare Handeln bei den Kreuzzügen, der Hexen- und Ketzerverfolgung in den letzten tausend Amtsjahren der katholischen Kirche? Läßt sich die von Benedikt XVI. wieder eingeführte Exorzismuspraxis wirklich mit ethischem Handeln vereinbaren? Der "Heilige Vater" in Rom muß aufpassen, nicht schon bald als "scheinheiliger Vater" gehandelt zu werden."
Kommentieren muß man so etwas zum Glück nicht. Die einzige Frage, die sich mir aufdrängt: Was ist schlimmer? Daß der Brief geschrieben wurde, oder daß man ihn veröffentlichte?

9 comments:

Anonymous said...

Ich denke der Schreiber hat mit diesem Brief sein Bedürfnis nach intellektueller Beachtung Kund getan, und hat damit offensichtlich Erfolg gehabt. Ich kenne die Tageszeitung "Die Presse" als werteorientiertes (eher konservatives) und der Meinungs- und Religionsfreiheit verpflichtetes Blatt, weshalb ich davon ausgehe, dass auch eine entsprechende Erwiderung auf den eingangs erwähnten Leserbrief abgedruckt werden würde. Ich bitte auch nicht zu vergessen, dass die Presse im Wettbewerb mit andern Zeitungen bzw. andern Medien steht. Bringt da nicht das Wecken (Schüren) von Emotionen die Presse ins Gespräch und schließlich Geld aufs Konto? Ich würde einen geharnischten Leserbrief an „Die Presse“ – iS eines Alipius militans - erhoffen. HGr PeterStein

Der Herr Alipius said...

Ich habe mal vor langer Zeit (nach dem "Genuß" vieler, vieler Leserbriefe) mir geschworen, nie einen Leserbrief an eine Zeitung zu schreiben.

Anonymous said...

Verstehe ich grundsätzlich. Ich meine aber auch, dass der "Kampf um die Herzen (und Seelen)" an allen Fronten zu führen ist. Die anderen machen das doch auch oder? LG Peter stein (http://oesterreich.orf.at/stories/375080/)

Stanislaus said...

Ach, Leserbriefe schreibe ich hin und wieder mal. Immerhin soll jeder Schreiberling (wie auch jeder Blogger) Rückmeldungen erhalten. Und darüber, daß es Blogger gibt, die schreiben, regen sich doch Leute wie Ertl & Co. in Linz z.Z. richtig auf.

Anonymous said...

Ein Nachhang zur Meinungsfreiheit: "Atheisten-Kampagne nun doch auch in Wien". Die Werbung soll ab Do dW in Wien auf City Lights zu lesen sein. Was hätte Kardinal de Bernis wohl dazu gesagt? Bemerkenswert cool sei der Sprecher der Erzdiözese Wien geblieben. Unfassbar, ... und Was sind City Lights? http://wien.orf.at/stories/375557/. HGr PeterStein

Anonymous said...

Puh, ja, was soll man auf so dämliche Griffe in die historische Mottenkiste schon sagen? Vor allem, wenn sich zu allem Überfluss noch herausstellt, dass sich der Schreiber in eben dieser Mottenkiste gar nicht auskennt, was historische Fakten anbelangt?

Ich neige auch dazu zu sagen, dass Schulterzucken die beste Lösung wäre - nur schade, dass Geschwafel dieser Art ziemlich schnell ziemlich viele Sekundanten findet...

Anonymous said...

No ja, immerhin zeigt der Verfasser (fast hätt' ich geschrieben: der Täter), daß er weiß, wo heute die Mehrzahl der Leser ihre Bildung herkriegt: Die Schlagzeilen von "Profil" und "Spiegel" kann er ja nicht nur lesen, sondern auch leserbriefschreibend zusammenfassen. Warum selber denken, wenn's auch so geht?

Hermann

Anonymous said...

hermann, gut gesagt/geschrieben. lg geterstein (vom handy aus dem urlaub)

FingO said...

zum gesagten nur noch eine kleine Randnotiz: Ich verstehe diese Logik, daß die Kirche erstmal vor der eigenen Tür fegen solle bevor sie die Ethik betont, nicht wirklich. Man muß nicht erst perfekt sein, bevor man Wünsche äußert, daß es irgendwo besser gehen sollte.

Und noch was nebenbei: Wirtschaftsethik und Hexenverfolgung in einen Absatz zu bekommen ist ganz exquisite Kunst! Eine vereinigung des unvereinbaren - phantastisch! Leider haben dadurch Hexenverbrennung und Wirtschaftsethik immer noch nichts miteinander zu tun.