So fragte der ägyptische Schriftsteller Alaa Al-Aswani in der Süddeutschen vom vergangenen Freitag. Der sich über zwei Spalten erstreckende Artikel läßt sich grob in zwei Hälften unterteilen: Aussage der Ersten ist, daß der Westen zweierlei Maßstäbe anlegt, da er sich für den Tod der während der iranischen Proteste umgekommenen Neda Sultan sehr (böse unzivilisierte Moslems), für die Ermordung von Marwa Al-Shirbini in Dresden dafür nicht so wirklich (nur 'ne Muslimin) interessiert. Die zweite Hälfte antwortet darauf mit einer Einsicht, die ich mit
"Selbst Schuld! Denn Moslems vermitteln ein schlechtes Bild vom Islam" zusammenfassen würde.
Die Aussage der zweiten Hälfte möchte ich nur um drei Zusätze erweitern:
"Denn fanatische und terrorbereite Moslems vermitteln in den Medien ein schlechtes Bild vom Islam und haben daher stärker prägende Wirkung auf das Gesamtbild, als der nette moslemische Kollege am Arbeitsplatz."In der ersten Hälfte - jene, welche zu dem Schluß kommt, im Westen werde mit zweierlei Maßstäben gemessen - gibt es aber so ein paar Punkte, mit denen ich mich kurz kritisch auseinandersetzen möchte. Al-Aswani legt das Fundament, indem er von dem US-Prediger Danny Pattyn berichtet, der 1996 eine
"Kein Sex vor der Ehe"-Kampagne gestartet hat (das mittlerweile auch in Europa einigermaßen bekannte
"Silver Ring Thing"), die sich großer Beliebtheit erfreut. Im französischen Fernesehen sah der Autor nun ein Feature über Pattyn und stellt fest:
"Pattyns Ideal von Keuschheit als Maß der Tugendhaftigkeit steht im absoluten Einklang mit der arabisch-moslemischen Kultur, doch im französischen Fernsehen ging man sehr höflich mit ihm um, weil er eben Amerikaner, Christ und Weißer ist. Hätte ein Araber oder Moslem das Gleiche gesagt, hätte er vermutlich Beschimpfungen über sich ergehen lassen müssen. Man hätte ihm gesagt, wie rückständig, barbarisch und frauenfeindlich er sei. Diese westliche Doppelmoral ist sehr verbreitet und es gibt zahllose Beispiele dafür."
Es gibt nun auch nicht eben wenige Beispiele für muslimische Frauen, die gepeitscht oder geprügelt werden, weil sie vorehelichen Sex hatten oder auch, weil sie dabei gesehen wurden, wie sie mit einem Mann, der weder ihr Ehemann noch ein Verwandter ist, das Haus verließen. Ich vermute mal, daß die Vorwürfe
"rückständig, barbarisch und frauenfeindlich" sich auf diese Phänomene beziehen. Mögen Westen und Islam Keuschheit von mir aus gleich hoch schätzen. Im Umgang mit Keuschheitsbrechern ist doch ein Unterschied zu erkennen.
Um sich aus der auf doch recht wackligen Beinen stehenden Konjunk-tiefe (
"... hätte er vermutlich...") des ersten Anklagepunktes auf etwas felsigeren Grund zu begeben, verweist Al-Aswani dann auf die beiden getöteten jungen Frauen und kommt zu dem Schluß,
"...daß Terrorismus keine Domäne der Araber und Moslems ist. Ein weißer deutscher Terrorist bringt eine unschuldige Frau um, die er nicht kennt, und versucht ihren Mann zu töten - und das alles nur deshalb, weil sie Muslimin ist und einen Hidschab trägt".
Ich habe leider keine Definition von "Terrorismus" vor mir liegen und kenne auch den bisherigen Lebensweg des Deutsch-Russen nicht, aber ich vermute mal, daß er weder von machthungrigen Pfaffen in langen Predigten zu blindem Haß auf den Islam gehirngewaschen, noch in einem christlichen Terrorcamp im Elbsandsteingebirge in Bombenbau und Waffengebrauch unterrichtet wurde. Die Möglichkeit, daß er im Sinne des Schlusses der zweiten Hälfte des Artikels handelte liegt nicht unbedingt näher, ist aber immerhin eine Möglichkeit. Und die einzige Art, dem Westen hier noch zweierlei Maßstäbe unterjubeln zu können, läge in einem Satz wie
"Nun, wir geben ja immerhin auch nicht vor, zivilisiert zu sein". Und das soll man aus dem Artikel ja wohl eher nicht herauslesen, schätze ich.
Die Süddeutsche zündet den Artikel mit einer kleinen Einleitung, deren erster Satz lautet:
"In der Islamischen Welt gilt der Mord an der 31-jährigen Ägypterin Marwa Al-Sherbini in einem Gerichtsaal in Dresden am vorvergangenen Mittwoch jetzt schon als Schlüsselereignis der europäisch-arabischen Geschichte".
Mit Verlaub, liebe Damen und Herren, aber es scheint doch eher so, als gälte der Mord nur als ein weiterer Anlaß, in der arabisch-muslimischen Welt wieder die eingepeitschten Massen auf die Straße zu jagen, um den für Imame offenbar nicht unprofitablen Haß auf den Westen auf angenehm hoher Flamme weiterköcheln zu lassen. Wenn die Ermordung einer Muslimin durch einen
"weißen, deutschen Terroristen" für den Westen Grund zu Innehalten, Nachdenken und Selbstkasteiung sein soll, so wurde hier ein Prinzip erkannt, welches, wenn man sich nicht selbst den Vorwurf der Doppelzüngigkeit gefallen lassen will, umgekehrt auch auf arabisch-moslemischer Seite in hundertfacher Ausführung vorliegt und demnach auch dort eher zu kleinen Brötchen als zu Protesten vor Botschaften und dem Verbrennen von deutschen Flaggen führen sollte.
Haßt der Westen den Islam? Keine Ahnung. Will der Islam, daß er vom Westen geliebt wird? Wenn nein, hätten wir kein Problem. Wenn ja, warum? Zumindest in der arabisch-moslemischen Welt schein ja entweder der Haß auf den Westen mehrheitsfähig, oder der gute Willen gegenüber dem Westen so schwach, daß man die Gosse lieber dem antiwestlichem Mob überlässt. Warum also sollte man auf die Liebe des Westens hoffen? Um ihm noch mehr Geschenke abzuquengeln (
"Wenn du mich wirklich liebst, dann stellst Du mir hier achtzig Moscheen hin, egal, was ich bei mir mache") und ihn so schneller in das verwandeln zu können, was man in der arabisch-moslemischen Welt schon erreicht hat? Oder um hier ein Klima zu schaffen, in dem tatsächlich Christen und Moslems selbstverständlich und selbstbewusst nebeneinander existieren können? Dann sollte man vielleicht mal das heute bereits existierende Nebeneinander im Westen mit dem Nebeneinander in moslemisch dominierten Ländern vergleichen.
Ich war zerknirscht, traurig, wütend und angefressen, als ich vom Mord an Marwa Al-Shirbini erfuhr. Weil die Nachricht mir erstens (wie jeder Mord, von dem ich in der Zeitung lese) seltsam persönlich naheging und weil ich den Mord zweitens als die Tat eines jener Bekloppten betrachtete, die mir nicht geheuer sind. Und jetzt fällt denen in der arabisch-moslemischen Welt wieder nichts originelleres ein, als Marwa Al-Shirbini zu instrumentalisieren und Zivilisations-Simulanten wie Ahmadinejad Gelegenheit zu weiteren Peinlichkeiten zu geben. Haßt der Westen den Islam? Keine Ahnung. Respektiert der Islam seine Toten?