Was für ein Name! Mit diesem (häufig auch als Schimpfwort gebrauchten) Begriff bezeichnete man anfangs Mitglieder von Bands, die auf der Bühne nur rumstehen und introvertiert auf ihre Schuhe starren. Sehr schnell wurden dann auch die Anhänger solcher Bands zu "auf die Schuhe-Starrern".
Ganz weit vorne bei den Shoegazern waren immer die Cocteau Twins. Ich will die Haar-Frage mal außen vor lassen und gleich zum Thema kommen. Ich wurde 1982 zum ersten Mal auf die Cocteau Twins aufmerksam, als ich sie als Vorgruppe von OMD sah. Und tatsächlich dachte ich zuerst, es seien drei Schaufensterpuppen. Die Musik gab mir damals auch nicht viel, was aber daran gelegen hat, daß der Mischpultmann offebar schon zu Beginn des Konzerts rabenvoll war. Allerdings fand ich die Frisuren klasse (Was soll das Gekicher? Es war 1982! The Cure und so...).
Naja, kurze Zeit später hörte ich die Band dann mal bei einem Kumpel auf Vinyl und da fand ich sie gleich extrem hittig. Drum-Computer kannte ich zu diesem Zeitpunkt nur in Verbindung mit Synthies. Die Maschinen zusammen mit einer mal sphärisch perlenden, mal morastig rührenden und mal zittrig hallenden Gitarre, mit einem mal tief pumpenden und mal New-Orderesque hochtönenden Bass und vor allem mit einer praktisch als drittes Instrument eingesetzten Stimme zu hören, war ein ganz neues Erlebnis. Ich habe mir dann im Laufe der Jahre einige Cocteau Twins Scheiben zugelegt und will heute mal meine Liebste vorstellen: Head over Heels aus dem Jahr 1983. Mitbegründer Will Heggie war kurz vor Arbeitsbeginn ausgestiegen und Neu-Basser Simon Raymonde gehörte noch nicht zur Band. Somit ist Head over Heels das Produkt des Duos Liz Fraser und Robin Guthrie.
Was macht dieses Album so groß? Es ist das perfekte Zwischenstadium. Die Songs sind einerseits nicht mehr so beunruhigend wie auf Garlands und andererseits noch nicht so unantastbar und erhaben schön wie auf Treasure und späteren Alben. Sie sind oft zwischen den Extremen hin- und hergerissen und in ihren besten Momenten vereinen sie beide.
Der Opener When Mama was Moth zum Beispiel ist gleich so ein Glanzstück. Über einen gelegentlichen Drum-Knall mit unendlichem Hall sägt eine monotone Klampfe begleitet von einem fiepsigen Arpeggio. Dann setzt Liz Fraser's Stimme ein. Man weiß bei den Cocteau Twins nie so recht, was denn da nun eigentlich gesungen wird, und dieses Album ist da keine Ausnahme. Es ist aber eigentlich auch nicht so wichtig. Es ist die Stimme selbst, auf die es ankommt. Denn die ist nicht nur gar hübsch anzuhören, sondern auch ganz eigenartig. Da kommt manchmal so ein Gurren, so ein Trällern, so ein imitiertes Reverb, ganz schwer zu erklären, wenn man es nicht selbst hört. Aber es ist Fraser's Markenzeichen und paßt einfach toll zur Musik.
Das zweite Stück Five Ten Fiftyfold schiebt die Vocals ein wenig in den Hintergrund und zieht sie dafür breiter, so daß sie mit dem wühlenden Bass, den leicht nebligen Drums und dem Sahnehäubchen-Saxophon im Refrain eine gute Harmonie bilden.
Sugar Hiccup, der dritte Song, ist erster Höhepunkt des Albums und bis heute - glaube ich - ein Favorit bei den Fans. Hier zeigt sich zum ersten Mal, daß die von Fraser gesungenen Melodien tatsächlich oft den Part eines Instruments übernehmen, denn das Lied ist ansonsten eigentlich recht monoton.
Der nächste Track - In your Angelhood - beweist, daß die Cocteau Twins es auch mit Tempo können. Flotte Computer-Drums, zwei Akkorde, umphtah-Bass, zerrende Gitarre, fünfzehntausend Gesangsspuren und fertig ist ein Klasse-Song.
Heftig aber grandios wird's dann in Song fünf, Glass Candle Grenades. Die schrägen Gitarren schleifen die scheppernden Drums fast ab und darüber zetert Fraser gar nicht mehr so melodiös. Im Chorus werden dann die Akkorde mit solchem Nachdruck empfohlen, daß der Song so etwas wie eine schmutzige Hymne wird. Nach 2 Minuten und 40 Sekunden kann man sich dann aber den Schweiß schon wieder von der Stirne wischen.
Der nächste Track, In the Gold Dust Rush, erwischt die Twins beim tanzbar-sein, was auch funktioniert.
The Tinderbox (of a Heart) lädt xylophonige Synthies, Brumm-Bass und perlende Gitarren zu einem Fast-Walz mit Vocals, die mal ganz weit hinten drohen, mal ganz weit vorne feenhaft gurren und mal in der Mitte Fraser-typisch singen.
Spaßig wird's dann auf Multifoiled. Bar-Piano und Bass lassen eine quasi-jazzige Atmosphäre aufkommen, zu denen die Maschinen-Drums so gar nicht passen wollen. Das schert aber weder den Song noch den Hörer und am allerwenigsten die Band, die sich mit Fraser's "Bah-dah-baba-dah-baba-dah..." verabschiedet.
Auf My Love Paramour wühlt ein richtig schöner und eloquenter Bass sich zusammen mit Liz erhaben über dem Gitarrenteppich schwebender Stimme durch einen sehr stimmungsvollen Song.
Das letzte Stück, Musette and Drums, hat einen entscheidenden Nachteil: Das Outro ist zu kurz! Alles beginnt mit einer schlierigen Gitarrensuppe, die von schleppenden Drums und langgezogenen Liz-Lauten in Form gehalten wird. Wenn der Chorus zum ersten Mal kommt ("Tragedienne, Meridian", was auch immer das heißen soll), denkt man sich gleich "Hmm, irgendwie hat das Ding Potential". Und dann schifft der Song nach drei Minuten quasi unbemerkt in seine Endphase, wo klagende, fuzzende Gitarrenfäden mit Liz Feengesang ein solch herrlich-tragisches Zusammenspiel eingehen, daß ich beim ersten Hören über den Fade-out ganz empört war.
Die Cocteau Twins haben sich 1998 aufgelöst. Ihre Musik lebt natürlich weiter und hat im Laufe der Jahre so einige andere Tonkünstler inspiriert, unter anderem The Sundays, Lush und die Cranberries. Die Schublade, in der die Twins zu finden sind, heißt wahrscheinlich Dream-Pop. Das ist aber nur eine Seite. Es müßte auch noch - zumindest für die frühen Alben - Verweise in die Goth-, Wave- und Simply Weird-Ecke geben.
1 week ago
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