Friday, May 05, 2006

Das Ende der Renaissance in Rom

Heute jährt sich zum 479sten Mal einer der schwärzesten Tage in der Geschichte der Stadt Rom: Der Beginn des „Sacco di Roma“, jenes Ereignisses, welches innerhalb weniger Tage das sonnenumglänzte, prunkvolle Rom der Hochrenaissance mit seinen zu sehr auf Selbstvergötterung bedachten Päpsten und Prälaten einem blutigen und trümmerreichen Untergang zuführte.

Kaiser Karl V. und der französische König Franz I. führten von 1521 bis 1525 Krieg über die Vorherrschaft in Norditalien. 1525 nahm der Kaiser den König gefangen und zwang ihn zur Unterzeichnung des Vertrags von Madrid, in dem Frankreich auf alle Ansprüche in Norditalien verzichtete. Nach seiner Freilassung brach Franz den Vertrag und es gab ein Rematch. Nun wurde auch der Kirchenstaat in die wüste Welt der Allianzpolitik und Diplomatie hineingezogen. Papst Clemens VII trat 1526 der „Heiligen Liga von Cognac“ bei, stellte sich somit an die Seite von Frankreich, Mailand, Florenz und Venedig und gegen den Kaiser.

Ein 20.000 Mann starkes Heer, bestehend aus spanischen und italienischen Söldnern und deutschen Landsknechten, stand dann am 5. Mai 1527 vor den Toren der Ewigen Stadt. Dieses Heer war allerdings nicht irgendein Heer. Man war nach der erfolglosen Belagerung von Florenz gegen Rom gezogen, weil man keinen Sold mehr hatte und weil die Nahrung ausging. Und die Deutschen waren größtenteils Lutheraner. Sie hatten Jahre zuvor wahrscheinlich Luther-Sätze wie
    "...warum greifen wir nicht viel mehr an diese schädlichen Lehrer des Verderbens als Päpste, Kardinäle, Bischöfe und das ganze Geschwür der Römischen Sodoma mit allerlei Waffen und waschen unsere Hände in ihrem Blut ...?"

    oder

    "Der Papst ist der Teufel; könnte ich den Teufel umbringen, warum wollte ich's nicht tun?"

    (in "Zwo harte ernstliche Schriften", 1518, Tomos I, Punkt II, 24 und 24b)
zugeraunt bekommen. Vor den Toren der damals drittreichsten Stadt Italiens stand also eine Meute beutegieriger, ausgehungerter und zum Teil tollwütig papstfeindlicher Söldner und Landsknechte.

Wer genügend Phantasie besitzt, der kann sich nun selbst ausmalen, wie es zuging, als am Morgen des 6. Mai dieser (zu diesem Zeitpunkt führerlose und jeglicher Disziplin verlustige) Haufen sich in die Stadt ergoß. Diese Kerle waren zum Plündern nicht nur bereit, sondern nach ihrem Selbstverständnis auch berechtigt. Und sie standen nun in der Stadt des Papstes (ergo des Teufels), in der Stadt der von verfeinerten, verwöhnten, prunkliebenden Prälaten (ergo dem Geschwür der Römischen Sodoma) bewohnten Paläste. Sie fanden sich inmitten der aus allen Ländern der Christenheit zusammenfließenden Reichtümer und Schätze (ergo dem unrechtmäßigen Besitz des Antichristen). Und all dies wurde ihnen auf dem Silbertablett hingehalten, denn Stadtmiliz und Schweizargerde waren auf schon beinahe anrührende Art zahlenmäßig unterlegen. Es ist heute wahrscheinlich komplizierter und gefährlicher, einem Jugendlichen einen iPod wegzunehmen, als damals den Kardinälen ihre Schätze zu rauben. Da es aber teilweise scharfgemachte Lutheraner waren, die sich an Papst, Kurie und Kirche vergriffen, kam es nicht zu simplem Raub, sondern zu den raffiniertesten Gräueln und zu Kunstzerstörungen, die so hemmungslos wie sinnlos waren.

Im ersten Sturm wurde erst einmal alles niedergemacht, was sich noch auf der Straße fand, seien es Männer oder Frauen oder Kinder oder Greise. Dann ging es in die Paläste und Villen der Kardinäle, Bischöfe, Adligen, Bankiers und Kaufleute. Der deutsche Landsknecht und Augenzeuge Sebastian Schertlin von Burtenbach berichtet in seiner Autobiographie über den ersten Tag des Sacco:
    "Den 6. Tag im Mai haben wir Rom mit dem Sturm gewunnen, ob 6000 Mann darin zutot geschlagen und die ganze Stadt geplündert; haben in allen Kirchen und ob der Erd genommen, was wir gefunden, einen guten Teil der Stadt abgebrannt..."

Beim florentinischen Chronisten Guicciardini, in Pastors Papstgeschichte und in der Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter von Gregorovius kann man in streckenweise mehr als unappetitlichen Details nachlesen, was damals zuerst die Reichen und Vornehmen Roms, bald aber so ziemlich jeder Bürger mit Hab und Gut zu erleiden hatte. Raub, Zerstörung, Brandschatzung, Vergewaltigung, Folter, Verstümmelung und Mord bis hinein in die Klöster und Krankenhäuser zusammen mit den besonders für Prälaten reservierten Demütigungen verwandelten die Stadt erst durch das Eintreffen der deutschen Landsknechte in das, was diese dort vorzufinden behaupteten: Die Hölle.

Gregorovius schreibt:
    "Der Morgen des 7. Mai enthüllte einen Anblick zu furchtbar für jedes Wort: die Straßen bedeckt mit Trümmern, mit Toten und Sterbenden; brennende Häuser und Kirchen, widerhallend von Geschrei; ein gräßliches Gewühl von Raub und Flucht; trunkene Kriegsknechte belastet mit Beute oder fortschleppend Gefangene. ... Geräte, Gewänder, Tapeten, Bilder, eine ganze Welt von Kunstwerken der Renaissance, wurden wie Plunder aufgehäuft und so auch behandelt. Spanier und Landsknechte teilten sich Perlen mit Schaufeln zu; der elendeste Knecht besaß 3-4.000 Dukaten. ... Auf zwanzig Millionen Goldgulden schätzte man die Beute der Stadt. ... Kardinal Caetanus ... wurde von Landsknechten durch Rom geschleppt, bald mit Fußtritten fortgestoßen, bald herumgetragen, eine Sackträgermütze auf dem Kopf. So zerrte man ihn fort zu Wechslern oder Freunden, sein Lösegeld aufzubringen. ... Auch der alte kaiserlich gesinnte Kardinal Ponzetta von S. Pancrazio wurde erst seiner 20.000 verscharrten Dukaten beraubt, dann mit auf den Rücken gebundenen Händen durch Rom geschleppt. Nach vier Monaten starb er elend in seinem leeren Hause. Cristoforo Numalio, der Franziskaner-Kardinal, wurde aus seinem Bett gerissen, auf eine Totenbahre gelegt und in Prozession fortgetragen. Die Landsknechte sangen ihm dabei, Kerzen in den Händen, possenhaft die Exequien. So brachten sie ihn nach Aracoeli, wo sie ihn niedersetzten und ihm die Leichenrede hielten. Sie öffneten ein Grab, in welches sie ihn zu versenken drohten, wenn er nicht das Verlangte zahlte. Der Kardinal bot seine ganze Habe; die Peiniger trugen ihn in sein Haus zurück, um ihn dann wieder zu allen denen umherzuschleppen, von welchen er Geld aufzunehmen hoffen konnte.

Das Schicksal der vornehmen Damen und der Nonnen male sich bitte jeder selbst aus.

Es genügte selbstverständlich nicht, die Großen der Kirche zu berauben, zu demütigen, zu verletzen oder gar zu töten. Man wollte, so gut es eben ging, die Kirche selbst schädigen und legte insgesamt ein Verhalten an den Tag, welches den Papst dazu verleitete, die Deutschen zu bitten „das Licht der Kirche nicht auszulöschen“. Denn die Schändungen, Verwüstungen und Zerstörungen der Gotteshäuser und der in ihnen aufbewahrten Heiligtümer, Reliquien und Schätze nahmen streckenweise so groteske und fiese Ausmaße an, daß die Landsknechte von ihren spanischen Mitplünderern mit Waffengewalt von ihrem Treiben abgehalten werden mußten. Die Deutschen verlegten sich dann auf den Hohn, kleideten sich in Kardinals- und Papstroben und ritten in Spottprozessionen bis vor die Engelsburg, in die der Papst sich geflüchtet hatte. Dort rief man Luther zum Papst aus und präsentierte die Stricke, an denen man die Kardinäle aufknüpfen wollte. Ein Strick war aus Seide. Er war für den Papst gedacht.

Auch der Verlust an Quellenmaterial ist unermeßlich: Bücher, Bullen, Akten, Dokumente aus der Buchhaltung der Apostolischen Kammer und der Vatikanischen Bibliothek wurden zerfetzt und in der Sixtinischen Kapelle, die während des Sacco als Pferdestall diente, als Streu verwendet.

Wie hoffnungslos die Lage für Rom war, wird deutlich, wenn man liest, daß die Plünderer erst Anfang Juli 1527, als wegen tausender unbegrabener Leichen die Pest ausbrach, die Stadt verließen und dann Ende September wieder zurückkehrten und ungestört ihr Treiben wieder aufnahmen, Quellen zufolge noch furchtbarer als zuvor, da man nun schon zu jedem nur erdenklichen Mittel greifen musste, um überhaupt noch Beute machen zu können. Endlich wurde am 6. Dezember ein Kapitulationsvertrag ausgehandelt. Am 17. Februar 1528 verließen die kaiserlichen Soldaten Rom, nachdem sie die Ewige Stadt in eine mit Trümmern und Leichen übersäte, rußgeschwärzte Schutthalde verwandelt hatten.

Noch einmal Gregorovius:
    "In der menschlichen Geschichte gibt es kaum ein gleich furchtbares Schauspiel vom Wechsel des Glücks als dieses im Sacco Roms. ... Es verwandelte sich plötzlich übervolles Glück in jammervolles Elend, zerlumpte Armut in prangenden Reichtum. Jene Krieger Frundsbergs und Bourbons, welche wie hungernde Wölfe bei Regen und Sturm durch die Provinzen Italiens gewandert waren, zogen jetzt in Rom einher in Purpurkleidern, die Taschen gefüllt mit Edelsteinen, funkelnde Bänder um die nervigen Arme, den Hals umwunden mit dem goldenen Schmuck edler Frauen oder heiliger Madonnen. Man sah Landsknechte, welche die kostbarsten Perlen in ihre Schnurrbärte eingeflochten hatten. Sie tafelten in Prachtpalästen vom Gold und Silber der Kardinäle, bedient von zitternden Großen. In einer einzigen Nacht war die glänzende Hülle von Rom gefallen."

Es scheint unter Historikern abgemacht, daß zur Zeit des Sacco
    „diese Schwärme von Pharisäern und Höflingen, Kardinäle, Bischöfe, Monsignoren, Protonotare, Ordensgenerale, Richter, Barone und Signoren, alle diese im Pomp der Etikette mit Protektormienen einherwandelnden Herren und Herrendiener, welche gewohnt gewesen, sich für die Blüte der Welt zu halten und auf Nichtrömer mit Geringschätzung herabzusehen“,
ein wenig zu sehr dem irdischen Glück und dem materiellen Besitz nacheiferten. Dennoch brachte der Sacco das katastrophale Ende einer glänzenden Epoche, von der Ranke schreibt, sie sei trotz ihrer Laster
    „nicht minder von edlem Bestreben, Geist und Bildung, produktiv geschmückt mit unübertrefflichen Kunstwerken, wie sie die Welt nicht wieder hervorgebracht, einem Reichtum, durch das Gepräge des Geistes geadelt und von lebendiger Fortwirkung.“
Und mir fällt es wirklich schwer, kein Mitleid mit denen zu empfinden, die nach Meinung vieler „selbst Schuld“ waren. Wenn ich mir so vorstelle, wie ein an Sicherheit, Wohlleben und Überfluß gewöhnter Prälat sich plötzlich auf der Folter wiederfindet, oder wie er grün und blau geprügelt wird, oder wie er rückwärts auf einem Esel sitzend gefesselt unter Hohnrufen und durch die Stadt geführt wird, oder wie er mit seiner Amtstracht bekleidet in eine Kotgrube gestoßen wird, um dort nach vielleicht verborgenen Schätzen zu suchen, oder wie er in seinem eigenen verwüsteten und geplünderten Palast in Lumpen gehüllt rohem Kriegsvolk als Stallknecht oder Wasserträger dient, dann wird mir nicht grade warm ums Herz.

Mit dem Rom der Renaissance war es jedenfalls aus und vorbei und die Stadt hat sich erst mit der Gegenreformation wieder erholt. Papst Clemens VII ließ sich als Antwort auf den Ruin einen Büßerbart stehen, den er für den Rest seines Lebens trug.

Insgesamt geht man davon aus, daß im Sacco 30.000 Römer starben, daß eine Beute von 10 Millionen Golddukaten entstand (nach einer Umrechnungstabelle, die den Wert des Dukaten im Jahre 1700 berücksichtigt, sind dies - wenn man es denn glauben kann - 3 Milliarden Euro) und daß 90% der Kunstschätze Roms verlorengingen.

Die Schweizergarde hat den 6. Mai, den Tag, an dem fast die ganze Truppe in Erfüllung ihres Auftrages gefallen war, als hohen Gedenktag beibehalten. Auch heute noch werden im Gedenken an den Sacco di Roma jedes Jahr am 6. Mai die neuen Rekruten in Rom vereidigt.

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