Der Essay selbst kommt wortgewaltig daher, startet mit der klassischen Lobhudelei über sein Objekt ("An Nietzsche, Novalis und Kafka geschult, kommt dieser Feinkalibreur der Worte in Fragen der Nation wesentlich differenzierter daher als viele seiner Bewunderer und Befürworter") und spielt dann partikulares Empfinden gegen universelle Gültigkeit aus. Walser war vielleicht in der Tat etwas vorschnell, als er sagte, er könne in der Paulskirche (1998) nicht anders reden als im Literaturhaus Stuttgart. Damit sprach er sich im Grunde selbst die notwendige Fähigkeit der Improvisation bzw. Adaption ab.
Was mich beim Lesen aufhorchen lies, war die Einleitung zum Essay. Da heißt es:
- Wegsehen oder Hinschauen? Welche Haltung der Deutschen gegenüber dem Holocaust - und den TV-Bildern, die ihn präsentieren - wäre die angemessene?
Und dann wird klar, daß die Meute der Holocaust-Leugner oder gar -Befürworter sich nicht nur gerne und mit Genuß auf den Schlips getreten fühlt ("Hey! Ich hab' schon keinen Job, keine Bildung und kein Leben, dann laßt mir wenigstens meine Meinung, auch wenn ich sie von Anderen habe!"), wenn ihnen nach adäquater Übersetzung der Inhalt der Worte klar wird, sondern daß sie auch nicht ohne Widerwillen sich Aktivitäten hingeben, die dem Gesagten krass widersprechen. Schließlich braucht man, um als Schocker von sich reden zu machen, keine geistige Autorität. Da reicht die Bereitschaft, genau das Gegenteil von dem zu tun, was die durch Essayberieselung gestreamlinete, schweigend betroffene Mehrheit als das Richtige empfindet (oder, wie gestern in Rom, ein Nonnenkostüm und ein geklautes Durutti-Zitat, aber dazu später).
Es gibt wohl keinen Weg aus der Zwickmühle, der den denk- und empfindungsfähigen Individuen ein Leben in ruhiger Überzeugtheit ermöglicht. Und das ist okay. Denn solange es noch Leute gibt, die den Holocaust leugnen und verharmlosen oder im Geiste schon vom nächsten Völkermord träumen, sollte man das Grauen nicht unter den Teppich kehren, nur weil die Anständigen wissen, daß so etwas nie wieder passieren darf. Daher kriegt Kohn von mir auch zwei erhobene Daumen.
Schön (aber wohl nicht machbar) wäre es, wenn man eine Möglichkeit fände, den Irrläufern die Falschheit ihrer Wege aufzuzeigen, ohne ihnen dabei gleichzeitig das Gefühl zu geben nach anderer Leute Pfeiffe zu tanzen. Denn das tun sie ja bereits jetzt, und die Doppel-Belastung macht sie natürlich kaputt.
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