Tuesday, February 26, 2008

Anti-Klerikalismus in Italien

Italien ist eines der europäischen Länder mit einer gewissen anti-klerikalen Tradition. Und - klar - Rom, die Stadt der Päpste, hat das natürlich auch zu spüren bekommen. Schon bevor den Päpsten 1870 ihr weltliches Territorium endgültig entrissen wurde und sie sich fortan mit dem Vatikan begnügen mußten, begann in der Ewigen Stadt mit der Ermordung des Premierministers der päpstlichen Staaten, Pellegrino Rossi, am 15. November 1848 eine Revolution, die sich gegen die päpstliche Regierung und somit gegen die Kirche und deren Symbolfiguren und Vertreter richtete. Hier gibt es weit auseinandergehende Berichte, was das tatsächliche Ausmaß des Antiklerikalismus betrifft. Sie reichen von gelegtenlichem Zertrümmern von Prälatenkutschen über Plünderung und Verwüstung von Kardinalspalästen und Zerstörungen in Kirchen bis hin zur Schändung und Ermordung von Nonnen, Mönchen und Priestern. Tatsache war, daß Papst Pius IX nach der Revolution ein wenig eingeschnappt war, waren viele ihrer Rädelsführer doch Männer, die der Papst bei seinem Amtsantritt 1846 durch eine Amnestie hatte auf freien Fuß setzen lassen. "Danke" auf "republikanisch" nennt man das wohl.

1870 - nachdem nationale und internationale antikatholische Presse zwei Jahrzehnte Zeit hatten, Pius IX als den Public Enemy #1 aller freiheitsliebenden Durchschnittsbürger zu portraitieren - fiel dann der Vorhang für den Kirchenstaat, und acht Jahre später starb der doch arg geplagte letzte Papst-König. Selbst im Tode allerdings wollte man ihm noch keine Ruhe gönnen. Radikale Antiklerikale versuchten, den Leichnam des Papstes in den Tiber zu werfen. Dies natürlich nicht, weil der Heilige Vater tatsächlich solch ein Scheußal gewesen war und man somit eine solche Tat - wenn auch aus pervertiertem Blickwinkel - noch rechtfertigen könnte, sondern weil man wahrscheinlich die Flamme nicht erlöschen lassen wollte. Schließlich wäre die Verpflichtung, nach Absterben der ganz großen Antiklerikalismus-Welle sich ein wirkliches Leben suchen zu müssen, doch ein wenig übermenschlich.

Tatsächlich wurde italienischer Antiklerikalismus später dann auch exportiert, vielleicht, weil es daheim "keine Arbeit" gab. Giuseppe Guarnacoto, italienischer Schuhmacher und Anarchist, erschoß am 23. Februar 1908 in Denver den Priester Leo Heinrichs (hyper-dramatische zeitgenössische Illustration links), dies auf besonders geschmackvolle Art: Der Täter ging vor, um die Kommunion zu empfangen. Er kniete sich an der Chorschranke hin, empfing den Leib des Herrn, spuckte ihn sofort darauf wieder aus, setzte dem Priester die Pistole über dem Herzen direkt an die Kasel und drückte ab. Guarnacoto wurde noch an der Kirchentüre gestellt und eingebuchtet.

Leo XIII, Pius X, Benedikt XV und Pius XI hatten eher mit europa- bzw. weltweitem als mit heimischem Anti-Klerikalismus zu ringen (Frankreich, Spanien, Mexiko). In Italien selbst wurde es etwas stiller zwischen Kirche und Staat. Die Lateranverträge verwandelten den Vatikan in einen souveränen Ministaat und selbst die Sozialisten entschärften ihre Einstellung gegenüber dem Klerus ein wenig. Unter der Oberfläche brodelte es vereinzelt, aber wenn, dann heftig, wie die nebenstehende Illustration zeigt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahmen Kommunisten und Sozialisten erneut die Rolle der Anti-Klerikalen. Einen Erfolg konnten sie 1984 mit der Revision der Lateranverträge durch die Craxi-Regierung verbuchen, die dem Katholizismus den Status der "offiziellen Religion" absprach.

Heute kommt der Löwenanteil der antiklerikalen Schwingungen aus verschiedenen Richtungen: Die Partei der Radikalen, die sich selbst als laizistisch betrachtet, ist immer als erste Gewehr bei Fuß, kräftig und lautstark unterstützt von einigen Alt-Kommies, von den Atheisten, von diversen Wissenschaftlern und von der Masse der Anhänger "alternativer Lebensformen in Familie und Beziehung".

Dies war eine ziemlich lange Einleitung für zwei kleine Pointen:
  1. Carrara war bereits Ende des 20. Jahrhunderts die Anarchisten-Hochburg Italiens. Ich habe nun bereits zweimal folgende Geschichte gehört: Zur Zeit Pius X kam ein mittelrangiger sozialistischer Politiker in die Stadt, der vor einer Annäherung zwischen Vatikan und Staat warnte. Er schmierte den Leuten in Carrara ein wenig Honig ums Maul und drängte dann auf Agitation und Wahlerfolge, denn irgendwann müßte man ja die Massen anständig mobilisieren, um auf Rom zu marschieren, den Papst zu erschießen und den Vatikan niederzubrennen. Anstelle von Jubelgeschrei gab es eine Abreibung, die sich gewaschen hat. Der Mann kam zwar grade noch mit dem Leben davon, aber er hat sicherlich nie wieder einen Fuß in die Stadt gesetzt.
  2. Ich weiß nicht, wie hoch der Anteil der mittelmäßig bis heftig antiklerikal empfindenden Italiener tatsächlich ist. Aber das Verhältnis von Leuten, die, wenn sie an mir vorbeigehen, ausspucken zu denen, die mich - beim Betreten eines Geschäfts sowieso, aber auch manchmal auf offener Straße - freundlich mit "Buon giorno, Padre!" begrüßen ist ungefähr 1 zu 10.000.
Antiklerikale Tradition mag es in Italien geben, aber irgendwie scheint die katholische Tradition schwerer zu wiegen. Oder ist es der gesunde Menschenverstand?

5 comments:

dilettantus in interrete said...

"durch eine Amnesie hatte auf freien Fuß setzen lassen"

Beeindruckend was die eingeschläferten Republikaner noch alles unternamen!

O.k., o.k. ich bin blöde und rechthaberisch - ich "Scheußal"!

Der Herr Alipius said...

Huch!

Amnesie war in der Tat eine Unachtsamkeit (die ich jetzt auch korrigiere), aber Scheußal schreibe ich (ebenso wie Kardinal Meißner) aus Überzeugung mit scharfem s, blöderweise auch gegen besseres Wissen.

dilettantus in interrete said...

Ich hoffe, Du hast mein "unternamen" bewundert!

Anonymous said...

Scheußlich schön. Aber das ist nicht blöde, sondern kreativ. Und wenn dilettantus den Unter-Namen (Gegensatz zu Übername, altmodisch für Spitzname) klein schreiben darf, darfst Du Scheußal mit ß schreiben.

Der Herr Alipius said...

@ Thomas:
Quasi angebetet hab ich's und daher auch nicht kommentiert, da ich mich für unwürdig hielt.

@ Claudia: Ungewollt kreativ. Ich finde Scheußal mit "ß" sieht schöner aus, aber ich hätte schon nichts dagegen, es instinktiv erst einmal richtig zu schreiben.