Saturday, February 17, 2007

Das wir's eben von 80er-Pop hatten...

Auch in den Neunzigern gab's noch anständiges Zeugs.

1993 veröffentlichte der Jazz Butcher (zu diesem Zeitpunkt bereits Jazz Butcher Conspiracy, fortan kurz JBC) mit “Waiting for the Love Bus“ das - moment, mal nachzählen... - neunte offizielle (also nicht "Live" oder "Compilation" oder "Best of" oder so) Studioalbum in zehn Jahren. Ich war vom Butcher immer ziemlich angetan. Die Musik lag genau auf meiner Wellenlänge und die Texte waren clever, schwarzhumorig und tief. 1991 wurde die Fangemeinde dann durch "Condition Blue" ein wenig gespalten, weil es einigen Aficionados nicht JBC-ig genug war und man gleich was von "Sell out" maulte. Der "Love-Bus" dürfte diese Leute dann endgültig aus der Bahn geworfen haben.

Ein erstaunlicher Widerspruch macht dieses Album so großartig: Der "Love-Bus" ist middle-of-the-roadigster Rock/Pop. Harmoniefolgen aus der Mottenkiste, Rhythmen aus dem Paläolitikum, Melodien aus dem Second-Hand-Shop. Und trotzdem haut mich jeder Song weg. Keine Ahnung, was deren Mojo ist, aber es funktioniert.

Los geht’s mit "Rosemary Davis World of Sound". Da ich nicht weiß, wer diese Rosemary Davis ist, kann ich mir zu dem ruhigen, leicht geisterhaften Tune prima eine blinde Omi vorstellen, die auf ihrer Terasse sitzt und einfach all das hört, was in dem Song besungen wird ("Church bell tolling, alsatian barking, radio static, engine running at 18 knots..." usw). Ein schöner und wie gesagt ruhiger Song. Dann wird ein bischen aufgedreht. "Bakersfield" startet mit simplem Gitarrenwirbel, dann setzten mit einem Mini-Break die auf Persil-Trommel-Stil runtergemumpften Drums ein und ein rotzordinäres Gitarrensolo frißt sich trotzdem gleich in Herz und Seele. Und auch der Rest vom Lied macht Spaß. "Kids in the Mall/Kaliningrad" beschäftigt sich inhatlich mit Waffenhandel. Musikalisch hat der Song einen schon fast kriminell abgegriffenen Beat, und trotzdem werden wahrscheinlich nicht mal Biologie-Lehrer still sitzen, so böse swingt es. Klasse! "Waddya?" ist dann die erste von mehreren äußerst empfehlenswerten Balladen, die dieses Album zieren. Schneebesendrums und ein monoton durchlaufendes Echolot-Bing zusammen mit quirlig gezupften Klampfen und unterwassriger Orgel verleihen dem Song seine besondere Note und machen ihn zum ersten eigentlich originellen Stück auf dem Album. Dann folgt mit "Sweetwater" einer dieser perfekten Popsongs, die JBC immer wieder mal ausspucken. Eingängig bis zum Weinen, locker daher-sechachtelnd mit perligen Gitarren und einem "Und jetzt alle!"-Chorus verbreitet dieser Song pure gute Laune, oder, um es mit den Lied selbst zu sagen: "Havanna cigars on the back seat, and I wouldn't have it any other way". Und weil man grade in Pop-Stimmung ist, wird mit "Ghosts" gleich noch einer nachgelegt. Eine simple Keyboardschleife läuft im Hintergrund durch und davor wird eine steinalte Harmoniefolge schamlos ausgebeutet, um einen überraschend flockigen und witzigen Song zu präsentieren. Und dann das große, das schöne, das atemberaubende "Baltic". Ein Lied, so dramatisch und edel, daß ich wirklich nicht weiß, warum man es nur auf der CD findet. Pech für die Vinyl-Freaks. Um eine Ahnung von der Stimmung des Songs zu bekommen, hier erst einmal ein paar Zeilen des Textes:
    " Thinking in squares in binocular time.
    Trailing admirers who all look too young for her.
    Talking in French in unsuitable restaurants.
    Keeping a lost age alive with her perfume.
    Her glamour, her scandal, her dreams and her smokescreens,
    the Church and the veil and the old Russian cigarettes.
    Always impeccable, never in daylight.
    The pale sun of midnight was all that she wanted."
Ja, genau. Und die Mucke paßt einfach eins zu eins. Schleppend, ein wenig düster, mit synthetisch-kühlen Streichern, warmen gezupften Saiteninstrumenten und einem hin und wieder eingestreuten Break, der dem Song immer an der richtigen Stelle neues Leben einpumpt. Das ist das zweite durchaus eigenständige Lied des Albums. Ober-Klasse! Dann aber heißt es "Aufwachen!", denn "Killed out" ist wieder JBC-Rock wie man ihn kennt und liebt. Augen zu und gradeaus! Und als konnte man sich nicht so recht entscheiden, gibt's danach wieder eine Ballade: "Ben" handelt von Ben Silcock, der - nachdem er vom "National Health Service" keine Hilfe gegen seine Schizophrenie bekam - Weihnachten 1992 versuchte, sich selbst im Londoner Zoo den Löwen zum Fraß vorzuwerfen und dabei - wenn auch nicht getötet - so doch ziemlich durchgewalkt wurde. Und selbst dieses nicht eben spaßige Thema versteht die Conspiracy noch in einer Ballade mit etwas Augenzwinkern zu behandeln ("It just can't be done, they weight half a ton and they don't want you going in there..."). Musikalisch ist es ein ruhiges Stück mit ganz klassichem Aufbau und ganz klassischer Instrumentierung, aber auch wieder mit dem klitzekleinen bißchen JBC-Extra. "Penguins" ist dann ein liebes, poppiges Stückchen mit zittrigen Gitarren und Synthie-Glöcken über Pinguine, die ein wenig von der Antarktis erzählen. "President Chang" bietet nochmal mumpfigen Butcher-Rock über Politik und Wahlen. Mit über sech Minuten ein wenig zu lang, aber wer beklagt sich. Abgeschlossen wird das Album dann von "Angel Station", einer weiteren Ballade, die sehr luftig und weit gemixt ist, mit Hall hier und dort und sparsam instrumentiert und so weiter. Sehr angenehm, sehr schön. Und dieser Song geht dann in ein Reprise von "Rosemary Davis" über, in dem das Lied einfach nochmal nur mit einer konstant durchjängernden Klampfe und hin und wieder in den Vordergrund drängendem Gezupfe und Geperle und Gewirre anderer Saiteninstrumente dargeboten wird. Nicht super-überflüssig, aber auch nicht essentiell.

Tja und dann hat es sich. "Waiting for the Love Bus" ist sicher nichts für Leute, die sich zum Frühstück schon Tool reinziehen und dann aber erstmal was komplexeres brauchen. Es ist Rock/Pop ohne Ecken und Kanten oder übergroße Ideen aber trotzdem auf seltsame Art einnehmend und mit richtig guten Texten. Kurz: Eine Scheibe, die Spaß macht!

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