Hallo Ihr Lieben!
Clemens ist seit Dienstag in Rom und sorgt im Kolleg für Stimmung. Er, Joseph und meine Wenigkeit haben heute einen Tagestrip nach Frascati gemacht. Logo, da fällt einem natürlich sofort einer der bekanntesten italienischen Weißweine ein. Zurecht, denn der Tropfen ist in der Tat nicht übel und zudem ausgesprochen traditionsreich, wurden doch in römischen Weinschenken schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts größtenteils Weine aus dem Anbaugebiet Frascati angeboten.
Heute geht es aber nur um das Städtchen und um einen seiner Bewohner. Frascati ist ein in den Hügeln gelegener Flecken östlich von Rom. Es ist eines der sogenannten suburbikanen Bistümer, einer Reihe von Bischofssitzen im Latium, allesamt in der Nähe der Stadt Rom und somit des Papstes gelegen. Die Bischöfe dieser Städte waren immer eng in die Leitung der Kirche miteinbezogen. Wenn ich recht informiert bin, so setzte sich die bis 1958 übliche Zahl von 70 Kardinälen zusammen aus 14 Kardinaldiakonen, 50 Kardinalpriestern und sechs Kardinalbischöfen. Diese Kardinalbischöfe waren eben die Bischöfe der sechs suburbikanen (urbs = lateinisch für Stadt oder auch Rom) Bistümer: Albano, Frascati, Ostia und Velletri, Palestrina, Porto und Santa-Rufina, Sabina.
Frascati ist recht reizend. Es bläst einen nicht mit unvergleichlichen Kunsstschätzen weg, aber es hat einen gewissen Charme und unglaublich liebenswerte Einwohner, die einem wißbegierig am Sarockel hängen und erst wieder loslassen, wenn man ganz genau erklärt hat, warum man mit so einer abgefahrenen, superlangen, weißen Krawatte herumrennt, was genau die Augustiner-Chorherern sind und wo zum Henker Klosterneuburg liegt. Das Mittagessen war ein wenig durchschnittlich, vor allem, weil ich wegen meines diesjährigen "Kein Alkohol während der Fastenzeit"-Plans nicht von dem Wein kosten konnte.
Frascati hat aufgrund seiner Funktion als Bischofsstadt nicht nur eine hübsche Kathedrale (die leider während der Stunden, die wir in der Stadt waren, geschlossen hatte), sondern auch eine Reihe von schicken Renaissance-Villen, die ringsherum auf den Hügeln liegen. Besonders hervorzuheben ist unter diesen sicherlich die Villa Aldobrandini, die Ihr hier in etwas marodem Zustand abgebildet seht. Die Villa wurde ab 1603 von Kardinal Pietro Aldobrandini erbaut. Dieser war ein Neffe von Papst Klemens VIII und somit eine dieser historischen Gestalten, die dem Begriff "Nepotismus" den Namen gaben, oder wenigstens dafür sorgten, daß er in aller Munde blieb.
Berühmtester Bewohner dieser Villa nach Kardinal Aldobrandini war wahrscheinlich Henry Benedict Stewart, Kardinal und Duke of York (1725-1807), in Jakobiten-Kreisen auch bekannt als Henry IX, König von Großbritannien, Schottland, Frankreich und Irland (Bild links). "Hä? Wie kann denn ein Kardinal gleichzeitig König sein?" werden sich jetzt einige Leute fragen. Nun ja, er war nie wirklich König, er war nur ein im Exil lebender Prätendent der Stuart-Linie, dessen Stunde vielleicht irgendwann einmal hätte schlagen können. Da dieses "irgendwann einmal" allerdings ausgesprochen vage war, und da die Stuart-Restaurations-Träume des Jahres 1745 sich in Luft auflösten, beschloß er, eine kirchliche Laufbahn einzuschlagen, ging nach Rom und begnügte sich mit dem Kardinalstitel, den er bereits 1747, im Alter von 22 Jahren verliehen bekam. Er nahm dann im darauffolgenden Jahr die Weihen entgegen, wurde Erzpriester der Vatikanischen Basilika und im Jahre 1761 Kardinal-Bischof von Frascati. Quellen zufolge war Henry Benedict sehr fromm und ernsthaft, trat als eifriger Verwalter in seinem Bistum auf, brachte einige Reformen des Klerus zustande und gründete ein Seminar, welches er mit einer großartigen Bibliothek ausstattete. Er lebte größtenteils in seinem Bistum, wo er sich eben die Villa Aldobrandini zugelegt und standesgemäß ausgestattet hatte. Naja, es passierte dann das Übliche: Die Revolutionäre beraubte den Kardinal zuerst aller französischen Besitzungen. 1798 wurde Rom von den Franzosen eingenommen. Der Papst wurde nach Frankreich verfrachtet, die Kardinäle entweder eingesperrt, gefügig gemacht oder in alle Winde verjagt. Etwas vorlaut und vorschnell jauchtze der "aufgeklärte" Teil Europas damals über den "endgültigen Untergang des Papsttums". Kardinal Stuart mußte 1799 unter Mithilfe ausländischer Mächte vor den Franzosen nach Venedig fliehen. Seine Villa wurde selbstsverständlich restlos ausgeräumt. Jedoch konnte er 1800 wieder nach Frascati zurückkehren, wo er 1807 verstarb.
Warum erzähle ich das alles? Henry Benedict Stuart war einer der Wohltäter des Schotten-Kollegs. Im Hause hängen zwei seiner Portrsaits und - viel wichtiger - an einer Wand in der Krypta ist sein Original-Grabstein angebracht. Ihr seht ihn links abgebildet. Es ist für mich ein ziemlich eigenartiges Gefühl, hier in Rom immer und immer wieder mit Geschichte und Geschichten in Berührung zu kommen. Aus naheliegenden Gründen interessiere ich mich besonders für die Geschichte der Kirche und für die Schicksale einzelner Personen, die im Laufe der Jahrhunderte in ihr wirkten. Und da ist Rom schon ein recht ergiebiges Plätzchen. Wenn ich hier und heute erkenne, plötzlich - sei es auch auf noch so bescheidene und unbedeutende Art - ein Teil dieser Geschichte geworden zu sein, dann verstehe ich sofort, was die Kirche mit "Tradition" meint: Es ist nicht das sture und starre Festhalten an Dingen, denen die Zeit und die Welt schon längst davongelaufen sind. Es ist vielmehr der nie versiegende Schatz an Erfahrungen, Fehlern, Triumphen, Lehren und Einsichten, der von Generation weitergereicht und vermehrt wird, und einen befähigt, Zeit und Welt in gebührender Relation zu ihrem Schöpfer zu sehen.
Alles Liebe,
Alipius
1 day ago
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