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Monday, December 19, 2005
Das zwanzigste Türchen...
Tagchen!
Der zwanzigste Dezember war immer der Tag, an dem ich als Kind wußte, daß ich weihnachtsmäßig auf der Zielgeraden bin. Wenn es überall in der Wohnung nach frisch gebackenen Plätzchen roch, wenn unten im Hof schon die Nordmann-Tanne stand, wenn die Ferien endlich begonnen hatten, dann wurde ich so richtig zappelig und die Schrift auf den für Papa, Mama, Oma, Tanten usw. gemalten und geklebten Weihnachtskarten wurde Tag für Tag krakeliger.
Ich muß grad an die Heiligabende denken, die ich als Kind so gefeiert habe. Und ich muß schon sagen, daß das immer ganz herrliche Momente waren. Wir haben damals mit drei Generationen und sieben Familienmitgliedern (meine Großmutter und ihre zwei Schwestern, Vater, Mutter, meine Schwester und ich) auf zwei, später drei Etagen unter einem Dach gewohnt. Heiligabend kamen dann noch andere Verwandte mit Kind und Kegel vorbei, also wurde es immer eine richtig nette Familienfeier. Traditionell wurde nach der (Kinder-) Christmette erst einmal bei meinen Eltern Bescherung gemacht, dann zwei Stockwerke darüber bei meiner Oma, bei der wir auch aßen.
In diesen Jahren waren mit ganz hoher Wahrscheinlichkeit die Geschenke immer etwas wichtiger als alles Andere (nicht ganz: Ich war immer ganz wild darauf, das Christuskind aus der Krippe meiner Großmutter zu nehmen, einmal kurz in meinen Händen hin und her zu drehen, zu gucken ob auch noch alle Ärmchen und Beinchen dran sind und es wieder zurückzulegen). Bevor wir Kinder uns allerdings auf die Päckchen stürzen durften, wurden erst einmal die Kerzen am Weihnachtsbaum angezündet, ein oder zwei Gedichte aufgesagt ("Zugebunden bis obenhin! Doch war gewiß was Schönes drin...") und dann noch einige Weihnachtslieder gesungen. Dann endlich die pure Gesetzeslosigkeit: Mit fachmännischem Auge sich unauffällig und langsam den Stapeln nähernd wurde an der Größe und Form der Pakete deren möglicher Inhalt abgeschätzt. Dann stürzte man sich auf die Päckchen, öffnete eines der Kärtchen ("Mist... Falscher Stapel... Das ist ja für meine Schwester!"), hechtete zur richtigen Ecke, fetzte mit hunnenhafter Gier das Papier vom ersten (in der Regel größten) Paket und krähte dann strahlend dem edlen Schenker ein "Boah! Danke!" zu. Es war auch wirklich immer für alles gesorgt: Bücher gab's, Spiele, Stofftiere, Lego, Klamotten und nicht zu vergessen die von meiner Oma immer ausgewogen und kunstvoll zusammengestellten Weihnachtsteller mit Nüssen, Äpfeln, Orangen, Mandarinen, selbstgebackenen Plätzchen, Schokolade, Nougat, Marzipan undsoweiter. Später gab's dann ein richtig festliches Essen mit Gequatsche, Diskussionen und Gelächter. Irgendwann sind die Damen dann in die Küche ("Wir machen nur mal fix das Gröbste weg!") und die Herren haben sich was angezündet und eingegossen. Wir Kinder sind hurtigst wieder zurück zu den Geschenken gerannt und haben sie einem ersten Härtetest unterzogen.
Ich stelle mir grade so vor, daß einige Leute bei der Vorstellung eines solchen ultraklassischen, experimentefreien und "normalen" Weihnachtsfestes einen mehr oder weniger krassen Anflug von Spießer- oder Miefigkeitsalarm kriegen könnten. Das ist als erste, spontane, irgendwie anerzogene und nicht bis ins Letzte durchdachte Reaktion nicht unverständlich. Aber wenn man sich mal so ein wenig in seinem eigenen Leben umguckt, dann kommt man, glaube ich, ziemlich flott zu der Erkenntnis, daß es einen ganz gewaltigen Unterschied macht, ob man am Heiligabend nun mit seiner Skater-, Mosher-, Slacker-, Goth-, Kiffer-, Singles-, Künstler-, Aussteiger- oder Sonstwas-Bande sauber einlocht, oder ob man Erfahrungen wie diese mit Leuten sammelt, die einem auch Jahre und Jahrzehnte später noch sehr viel bedeuten (und die Jahre und Jahrzehnte später auch noch für einen da sind), und dies nicht obwohl, sondern gerade weil man sie sich nicht aussuchen kann. Ich selbst kann mir keine schöneren Heiligabende vorstellen, als die, die ich im Kreis der Familie erleben durfte und ich bin daher auch recht dankbar dafür, daß ich im Stift eine zweite Familie gefunden habe, die den Feierlichkeiten zu Weihnachten einen ganz ähnlichen Geschmack gibt, wie jenen, die ich damals erlebte.
Und vor dem Hintergrund der Tatsache, daß irgendwann in den 90er-Jahren in Amerika der "Christmas-Tree" aus "Rücksichtnahme" von einigen üblichen Verdächtigen in "Holiday-Tree" umgetauft wurde, wünsche ich mir nichts sehnlicher, als daß Weihnachten auch "Weihnachten" bleibt.
Alles Liebe,
Alipius
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