Ich habe mir so gegen 9:30 einen Zweit-Kaffee geholt. Dazu gehe ich in einen kleinen Raum, welcher direkt an das Refektorium anschließt. In früheren Zeiten war dieser Bereich Teil des Refektoriums, bis dann - ich glaube nach dem Zweiten Weltkrieg - eine Wand eingezogen wurde und so ein Raum entstand, in dem zwei Stifts-Angestellte die aus der Küche im Lastenaufzug hochgebeamten Speisen auf Rollwagen stellen und dann zum Auftischen ins Refektorium fahren. Zudem gibt's dort Kühlschränke, aus denen man sich Joghurts und Milchreis und Actimel und kaltes Mineralwasser etc besorgen kann, eine Espresso-Maschine und auch einen Tisch, um den sich immer wieder mal ganz gemischtes Volk versammelt. Der Raum heißt - politisch ebenso unkorrekt wie phänomenologisch stimmig - "Dienerkammer". Dort steht auch ein kleines Radio, aus dem manchmal unerwartete Stücke erschallen. Zum Beispiel heute: Während ich meinen Espresso zapfte, wippte mein linker Fuß plötzlich im Takt zu
Twilight vom
Electric Light Orchestra, kurz
ELO.
Von der Sexta bis zur Untertertia gab es auf dem Gymnasium eine Phase, in der das
ELO der kleinste gemeinsame Nenner war, bevor die Wege sich dann trennten in Richtung Hardrock der Geschmacksrichtungen Whitesnake, Scorps, Deep Purple und Rainbow (ein nicht kleiner Haufen von Klassenkameraden hielt Ritchie Blackmore für Gott), (Post-)Punk (Siouxsie und The Cure ließen die ganz Mutigen schon im Alter von 13 Jahren mit Schwarz liebäugeln) und New Wave (Depeche Mode, OMD, B 52s, Human League, Devo und wie sie nicht alle heißen und hießen). Ich fuhr so ein wenig Zweigleisig auf den Postpunk und Wave-Schienen, war aber vorher auch ein unerbittlicher
ELO-Fan. Das war mir dann später eine Zeit lang peinlich. Heute steh ich wieder mit stolzgeschwellter Brust zum Orchestra und werde mir nun, wo das Alter schwer wiegt und die Jugenderinnerungen immer kostbarer werden ☺, auch entweder eine Compilation oder wenigstens
A New World Record,
Out of the Blue und
Discovery zulegen.
Ich folge dabei nicht dem schon Mitte der 80er eigentlich ausgelutschten und langweiligen "uncool ist cool"-Prinzip, welches Schlaghosen, Plateauschuhen, Afros, Flokati-Westen und der Farbe Orange ein erschreckendes Comeback ermöglichte und somit Netzhautpeitschen wie dem gesamten Emsemble von Lenny Kravitz' 1995er-Tour zu Stil-Ikonen-Status verhalf, sondern stützte mich schlicht und einfach auf die Qualitäts-Frage. Und da komme ich nüchtern zu dem Schluß, daß Alben wie
Out of the Blue oder
A New World Record einfach Pflicht sind. Es mag Leute geben, die bei Tunes wie
Mr. Blue Sky,
Turn to Stone,
Livin' Thing,
Jungle oder
Sweet Talkin' Woman nicht mitsummen und mitwippen müssen. Aber die gehen sicherlich zum Grinsen auch in den Keller. Selbst auf dem von der Kritik schon wieder übersehenen
Discovery (wegen dem nicht zu überhörenden Disco-Einfluß von Keyboarder Richard Tandy scherzhaft "Disco? Very!" genannt) gibt es Perlen wie
Shine a Little Love,
Confusion,
The Diary of Horace Wimp und natürlich den
ELO-Erkennungstune
Don't Bring Me down.
Ich habe mir im
ELO-Rausch als Pimpf dann natürlich auch noch
Time zugelegt und fand das Album wegen seiner New-Wave-Anbiederung anfangs rasend cool, verlor aber ebenso schnell wieder das Interesse an den Songs, weil sie irgendwie nicht Vintage ELO waren und weil der New Wave nun mal anderen Bands gehörte. Als 1983
Secret Messages erschien, mußte ich der Beziehung dann ein Ende setzen, weil die
ELO-Jungs irgendwie im Nebel herumspielten und weil mittlerweile auch ganz andere Bands sich in mein Herz geschlichen hatten. Heute, als weiser Pop-Greis, lerne ich die
ELO-Songs wieder zu schätzen. Die simplen, aber effektiven Rock-Nummern - mal schnell, vergnügt stampfend und tanzbar, mal langsam, melancholisch und schluchzend - die sich entweder durch Streicher-Suppen oder durch Keyboard-Schwaden hindurchkämpfen müssen, haben es mir irgendwie angetan und klingen im Jahr 2009 plötzlich wieder urst originell.
Das
Electric Light Orchestra ist ja nun eher eine der bekannteren Bands der Rockgeschichte, also muß ich Empfehlungen oder Warnungen wahrscheinlich nicht aussprechen. Wer
ELO liebt, der weiß warum. Ebenso wie diejenigen, die um das Orchestra eher einen großen Bogen machen. Sollte es jüngere Leser geben, die sich grade denken 'Wovon faselt der Opi da eigentlich?', denen sei als Reinhörtip das Doppelalbum
Out of the Blue empfohlen, welches die Band auf dem Höhepunkt ihres kreativen Schaffens zeigt. Die dritte Seite der Doppel-LP ist gar ein "Concerto for a rainy day", sprich eine Konzept-Seite, die sich mit miesem Wetter befasst und mit dem irre guten
Mr Blue Sky einen zapplig-vergnügten und versöhnlichen Abschluß findet.
Party-Fact: Die Vocoder-Stimme am Ende von
Mr. Blue Sky sagt nicht etwa "Mr. Blue Sky, why?" wie immer wieder fehlgehört wird, sondern "Please turn me o-ver", eine Bitte an die Hörer des Vinyl-Albums, die Scheibe doch bitte umzudrehen.