Tuesday, February 06, 2007

Ethik (Reprise)

Ich habe auf meinen "Straßenbahn-Ethik"-Artikel einen Kommentar von Frank erhalten. Es klingt ziemlich nach Physik und ich neige fast zur Annahme, daß es sich um Frank Timphus handelt, könnte aber auch falsch liegen. Solltest Du es sein: "Hi! Schön, mal wieder von Dir zu hören. Ich freue mich auf den 15. September!"

Okay, ich mache den Kommentar hier publik und antworte auch darauf. Nicht nur aus Eitelkeit, sondern weil es ein großes und breites Thema ist und vielleicht andere Leute Interesse haben, darüber ein wenig zu lesen oder vielleicht gar sich einzuschalten.

Also, zuerst einmal der Kommentar:
    "Hmh, der Bogen zur Ethik ist sehr interessant, aber ich möchte auf den naturwissenschaftlichen Aspekt des ersten Absatzes zurückkommen. Der deutsche/österreichische Ansatz sieht auf den ersten Blick menschenfreundlicher aus, aber ist das nicht nur eine Frage der Effizienz? Nicht weniger, aber auch nicht mehr, beschreibbar mit den Gestzen der Hydrodynamik, d.h. alles eine Frage des Druckunterschieds und eine Frage der Sequenz, wann wo der Druck auftritt. Die Verhaltensweise hängt dann davon ab, was man als Gemeinschaft erreichen will UND welche Diziplin man dafür aufbringen möchte. Ethik ist dabei für mich recht weit hergeholt. Oder lässt sich schließen, dass die Italiener weniger Ethik haben als die Deutschen, während letztere weniger Ethik haben als Engländer, die eine Schlange bilden, um einzusteigen?

    Nun stehe ich aber vor einem Problem, denn ich würde ja mal gerne etwas über die fundamentalen Normen und Werte lernen. Bisher habe ich da ein sehr naives Verständnis, dass mir sagt, dass wir auf der Suche nach fundamentalen Werten noch lange nicht zuende ist. Ok,Ok, alles geht zurück auf einen unendlich gütigen Gott, aber der hat sich in den vergangenen 3000 Jahren sehr unterschiedlich manifestiert, bzw. wurde sehr unterschiedlcih interpretiert. Je nach Umgebung, sozialer, wirtschaftlicher Situation, Herrschaftsform, Informationsstand, usw.usw. gibt es auch eine sehr unterschiedliche Ethik. Was sind denn z.B. diese extremen Umstände, die es erlauben einen Menschen zu töten?

    Um die Kurve zu kriegen: Das Handeln von Menschen ist evtl. nur dadurch bestimmt das eigene Leben zu verbessern (gemeinsam sind wird stark, ich helfe damit mir geholfen wird). Das ist eine logische Folge, ein Naturgesetz. Wo aber ist die Grenze, an der darüber hinausgehenend eine (göttliche) Ethik anfängt?"
So weit, so gut. Es gibt einige interesante Punkte hier, die ich nun ansprechen möchte:

Ich muß vielleicht erst einmal voranstellen, daß sich Gott für mich als Katholischen Christen nur einmal manifestiert hat, nämlich in der uns in Form der Heiligen Schrift zur Verfügung stehenden Offenbarung. Einzuräumen, daß andere "Manifestationen" vergleichbare Gültigkeit besitzen ist nicht etwa deswegen undenkbar, weil ich so ein Sturkopp bin, sondern weil dies Gott schlicht und einfach zu einem Lügner machte, was er aber nicht sein kann.

Die Grenze, wo die (göttliche) Ethik beginnt, ist dort, wo der absolute Wert der individuellen Person erkannt wird. Ein dem Utilitarianismus anhängender Verfechter des Kommunismus hätte keine Probleme damit, 2.000 reiche Grundbesitzer zu töten, wenn dies zur Errichtung eines kommunistischen Staates und somit - seiner Meinung nach - zur Verbesserung unseres Lebens beiträgt. Tatsächlich könnte dies nicht nur unter dem "Gemeinsam sind wir stark"-Aspekt sondern auch unter "Ich helfe, damit mir geholfen wird" eingeordnet werden (Ich helfe, indem ich die Order gebe, die Grundbesitzer zu töten und mir wird geholfen, indem mir entweder im künftigen kommunistischen Paradies die entsprechenden Credits angerechnet werden oder ich zumindest als Gleicher unter Gleichen ohne irgendwelche Repressionen ein bestimmtes Ideal verfolgen kann). Wenn man um den Wert anderer Personen weiß und sie tatsächlich als - wenn auch nur potentiell - an Gottes Liebe und Weisheit teilhabende Individuen erkennt, dann läßt man sie leben.

Philosophisch betrachtet ist das Gute (auf eine rauhe, primitive, vor-moralische Art) das, was geliebt wird. Wird etwas geliebt, ist es gut (etwa analog zu: Wird etwas gesehen, ist es Farbe). Nun hat alles, was existiert, eine gewisse Inklination im Hinblick auf seine eigene Existenz. Natürlich kann man bei einem Stein nicht im strengen Sinne von einer Affinität zur Existenz reden, aber zumindest bei animierten (Pflanzen), empfindenden (Tieren) und vernunftbegabten (Menschen) Substanzen sieht man, daß sie den Weg gehen, der der Erhaltung ihrer Existenz förderlich ist. Und daher - weil es geliebt wird - ist das Sein als solches gut. Das bedeutet natürlich nicht, daß alle Dinge einfach so wie ein Puzzle sich reibungslos zusammenfügen. Aber es heißt, daß dort, wo das Sein an sich ist, auch das Gute ist. Und das hebt die Aussage über einen vermeintlichen metaphysischen Optimismus reicher Konservativer ("Die Dinge sind gut, so wie sie sind") hinaus auf eine Ebene, wo das Sein als solches tatsächlich nicht nur einen berechtigten Ruf nach Unversehrtheit in die Welt schickt, sondern - der Dynamik des Guten folgend - auch der Empfänger dieses Rufes die Verpflichtung hat, ihm nachzukommen.

Und hier erreichen wir die fundamentalen ethischen Normen: Es gibt Dinge, die im Umgang mit anderen Existenzen absolut zu unterlassen sind und Dinge, die zu tun wir uns anderen Existenzen gegenüber verpflichtet sehen. Hier spielt natürlich der andere Mensch eine übergeordnete Rolle. Grundsätzlich ist aber auch z. B. das Leben einer Mücke zu schonen und es geht nicht an, daß wir sie einfach aus Lust und Laune zerquetschen. Wenn die Mücke sich aber anschickt mich anzuzapfen, dann ist es ethisch vertretbar sie zu pürieren, da ein der Schöpfungsordnung und auch dem Baum des Porphyrus zufolge unter dem Menschen stehendes Wesen sich nun mal dem Wohle des Menschen zu beugen hat. Deswegen ist nach katholischem Verständnis übrigens auch Fleischgenuss keineswegs ein Irrweg (mit diversen abartigen Formen der Massentierhaltung ist das anders). Das Problem hier: Wo ziehen wir die Bremse? Klar, die Schöpfung ist für den Menschen gemacht. Aber ist der Mensch reif genug, mit ihr verantwortungsvoll umzugehen? Momentan sieht es nicht so aus. Und auch hier betritt wieder die (göttliche) Ethik die Bühne: Gott verneinend wird man nicht weit kommen, wenn man den Leuten so etwas sagt wie: "Haltet den Ball mal flach, sonst ist für die nächsten Generationen wenig übrig". Da kann die Antwort leicht lauten: "Na und? Wer soll mich dafür bestrafen? Hauptsache, es reicht noch für mich!" Erst wenn man erkennt, daß nachfolgende Generationen nicht nur das Bedürfnis, sondern auch das Recht haben in einer einigermaßen intakten Welt zu leben, wird man ethisch korrenkt handeln können. Im "Gemeinsam sind wir stark"-Modus sind die nächsten Generationen nur ein Hirngespinst, da sie, als noch nicht Geborene, noch nicht ihren Beitrag zum Gemeinsamen leisten können. Im "Jeder Mensch besitzt einen absoluten Wert"-Modus sind die nächsten Generationen - von denen man weiß, daß sie existieren werden - eingeschlossen (vorausgesetzt unser momentanes Verständnis vom Beginn des Lebens läßt künftig noch Geburten zu).

Aber zurück zum berechtigten Ruf nach Unversehrtheit: Je früher man beginnt, hierfür ein Verständnis zu entwickeln, desto besser. Und je niedriger das Level, auf dem dieses Verständnis in die Tat umgesetzt wird (aus der Straßenbahn aussteigen lassen), desto größer die Wahrscheinlichkeit, auch auf anspruchsvollerem Niveau (Verzicht auf Rufmord, Diebstahl, Gewalt) korrekt zu handeln.

Und noch etwas: Wenn man den Fall setzt, daß physikalische Gesetze zur Erklärung gewisser zwischenmenschlicher Phänomene ausreichen, wie liegt es dann zum Beispiel mit den Horden von Teens und Twens, die sich sowohl in Deutschland und Österreich als auch in Italien in den Bussen und Bahnen bequem auf Sitzplätzen herumlümmeln, währen vor ihren Augen ein altes Mütterchen sich mit Händen und Füßen und dritten Zähnen an die Haltestangen klammert? Würden physikalische und biologische Intuition hier nicht verlangen, daß ich als Kid oder junger Erwachsener aufspringe und die Oma sitzenlasse, damit der unkoordiniertere Körper nicht (aufgrund nicht vorhandener Trägheitspuffer) plötzlich nach einer Vollbremsung auf meinem Schoß landet oder beim Herumstolpern mit dem Ellbogen gegen meinen Kopf schlägt? Eigentlich sollte es doch so sein. Trotzdem sind es aber in der Regel 40 bis 60-jährige Damen und Herren (die in ihrer Erziehung noch mit (göttlicher) Ethik konfrontiert wurden), die entweder ihren Platz räumen, oder die Kurzen wenigtens auf ihre Pflichten aufmerksam machen (und sich dann hin und wieder noch eine schräge Anmache einfangen).

Impliziert der physikalische Ansatz nicht, daß die Menschen überall auf der Welt die gleiche Chance haben, gewisse Mechanismen zu verstehen und zu durchschauen, da kein Gott ihnen hilft und sie erleuchtet? Und ist es dann nicht mindestens ebenso absurd zu behaupten, Italiener seien weniger physikalisch begabt als zu sagen, sie besäßen weniger Ethik?

Logo, der physikalische Ansatz ist nicht von der Hand zu weisen. Aber er reicht meiner Meinung nach nicht aus, um ethische Phänomene zu erklären. Denn wo ist z.B. die Physik, wenn Ordensleute sich in die dritte Welt begeben und im Dienste Anderer Leib und Leben riskieren? Wo ist die Physik, wenn man als Geschäftsmann nicht auf Umsatz, sondern ausschließlich auf Profit schielt und das Wohl der Arbeiter diesem unterordnet? Wo ist die Physik, wenn sich bei "Vera am Mittag" Mutter und Tochter unter Zuhilfenahme derbster verbaler Nuklearbomben über eine zerquetschte Zahnpastatube streiten? Hier handelt es sich um vorhandenes oder mangelndes ethisches Verständnis.

Der einzige mir einleuchtende und bekannte Fall, in dem es erlaubt wäre, einen Menschen zu töten ist der der Selbstverteidigung. Aber auch hier sollte man natürlich erstmal versuchen, dem Anderen das Messer aus der Hand zu schießen, bevor man aufs Herz zielt ;-)

Naja, soweit meine fünf Pfennig an Weisheit.

Alles Liebe,
Alipius

8 comments:

Anonymous said...

Das ist alles sehr einleuchtend. Nur ist ethisches Verhalten keine genuin christliche Angelegenheit. (Ich kenne eine Vielzahl hochmoralischer und ethisch handelnder Atheisten.) Das ist ja auch klar, wenn man sieht, daß ethisches Handeln dem Leben förderlich ist und dem Handelnden Freude verschafft. Um das zu wollen, muß man nicht an Gott glauben.
Versteh mich recht: ich bin überzeugt, daß man ohne Glauben an den gütigen Gott jedenfalls hinter seinen seelischen Möglichkeiten zurückbleibt.
Übrigens: Selbstverteidigung ist nicht der einzige sinnvolle Grund für Gewalt - sondern auch und vor allem Fremdverteidigung. Wenn ich sehe, daß ein Schwächerer angegriffen wird (und selbst dazu imstande bin), greife ich ein. Wenns nicht anders geht, recht grob.

Anonymous said...
This comment has been removed by a blog administrator.
Charlotte said...

Also auf einem Blog herrscht Ruhe. Die melden sich nicht an, trauen sich nur anonym zu posten, die traurigen Würste.

Was ist denn das mit September? Rauft ihr euch zusammen? Bestattungen Frankenheim?

Der Herr Alipius said...

Yup, 20-jähriges!
Wo es stattfindet weiß ich noch nicht. Wird aber sicher spaßig.

Anonymous said...

Spaßige Bestattungen? Naja - mit der Aussicht, die wir als Christen haben - trotzdem werde ich den Verdacht nicht los, daß ich etwas falsch verstehe.

Der Herr Alipius said...

So isset!

Petra said...

@Irene:
Ethisches Verhalten ist in seinen Grundlagen Teil des Naturrechts und dadurch von jedem Menschen - auch Atheisten (die aber natürlich auch stark durch die Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind, geprägt wurden, Anm.) - erkennbar. Alipius argumentiert dagegen, dass es gar keine Ethik geben soll.

Zudem ist die Idee, dass jeder Mensch einen inhärenten Wert hat (etwas, was auch viele Atheisten glauben - obwohl tw. etwas inkonsequent, siehe Abtreibung usw.) etwas genuin aus dem Christentum Kommendes. So kann der westliche Atheist auch nicht aus seiner Haut bzw. seiner Kultur schlüpfen... (Das sieht man ja etwa an Marxismus usw., der z. T. sehr stark am christlichen Menschenbild angelehnt ist, auch wenn er manche Sachen verdreht.)

Anonymous said...

Überflüssig wird Ethik m.E. erst dann, wenn der Messias wiederkommt. Übrigens noch n Widerspruch, Ihr seids ja gewohnt von mir: das mit dem inhärenten Wert des Menschen kommt zunächst mal aus dem Judentum. Auf dessen Schultern die Christen stehen und sich das n bißchen öfter klarmachen sollten. :)